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Unter Krebsverdacht

Nonylphenol ist ein Stoff, der das Hormonsystem von Fischen stört, und das von Menschen vermutlich durcheinanderbringen kann. Deshalb soll der Stoff eigentlich nicht mehr in europäischen Gewässern vorkommen. Doch Greenpeace hat jetzt festgestellt, dass Deutschland die Nonylphenol-Belastung weitgehend ignoriert.

Von Ralph Ahrens | 14.05.2010
    Die Waschmaschine ist voll bepackt. Hosen, Hemden, T-Shirts werden gereinigt. Von einigen Kleidungsstücken gelangen dabei unerwünschte Schadstoffe in die Gewässer. Stefan Scheuer, Wasserfachmann und Berater des Brüsseler Büros von Greenpeace:

    "Untersuchungen haben gezeigt, dass importierte Textilien zum Teil sehr hohe Konzentrationen von Nonylphenolethoxylaten enthalten, die dann beim Waschvorgang zu Hause ausgewaschen werden, über die kommunalen Abwassersysteme in die Gewässer eingeleitet werden."

    Nonylphenolethoxylate sind Tenside, die bei Herstellung von Textilien für Reinigungsprozesse eingesetzt werden. Sie werden abgebaut zu Nonylphenolen. Das wiederum sind Chemikalien, die für Fische giftig sind, und männliche Fische zudem verweiblichen. Ob diese Stoffe auch das Hormonsystem von Menschen stören können, darüber streiten Umweltschützer und Industrievertreter.

    Die EU beschloss 2001, diese Substanzen bis etwa 2020 aus Flüssen und Seen zu bannen. Geschehen ist zu wenig, meint Stefan Scheuer. Messdaten zeigten keinen Abwärtstrend.

    "Was wir finden, sind Konzentrationen in den Gewässern knapp unterhalb des Grenzwerts. Gut, da kann man stolz darauf sein als Mitgliedsland, dass man das erreicht hat. Aber das hat noch nichts damit zu tun, ob man auf dem Weg Richtung Nullemission ist, was natürlich auch als Endresultat Nullkonzentration von diesem Stoff zur Folge haben sollte."

    Jährlich spülen Klärwerke bis zu zwei Gramm Nonylphenol pro EU-Einwohner in die Flüsse.

    "Dabei ist schon berücksichtigt, dass die Kläranlagen einen Teil herausfiltern von diesem Nonylphenolethoxylat, was dann weiter abgebaut wird zu Nonylphenol - und ein Teil von dem bleibt im Klärschlamm. Das ist auch noch ein ungelöstes Problem. Denn der Klärschlamm, der Nonylphenol enthält, sollte nicht auf die Felder ausgetragen werden. Also hier haben wir zwei Probleme: die Flüsse und den Austrag auf die landwirtschaftlichen Flächen."

    Die Belastung durch diese hormonell wirksamen Substanzen ist altbekannt, doch noch nicht gelöst. Die deutsche Wirtschaft hat sich schon vor 24 Jahren bereiterklärt, auf offene Anwendungen von Nonylphenolethoxylaten zu verzichten. Alex Föller von TEGEWA, einem Industrieverband, der Hersteller von Tensiden, blickt zurück.

    "In Deutschland hat man im Jahr 1986 eine freiwillige Verzichtserklärung abgegeben. Damals gab es noch kein Umweltministerium. Das ging ans Innenministerium, damals an den Innenminister Zimmermann. Da haben sich mehrere Branchen aus der Chemie bereiterklärt, auf den Einsatz dieser Tenside zu verzichten."

    Aus chemischen Reinigungen etwa sollten diese Substanzen daher nicht mehr in Gewässer gelangen. 2003 folgte sogar ein EU-weites Verbot. Aber, so Stefan Scheuer:

    "Die Einfuhr von Konsumprodukten wie zum Beispiel Textilien wird hier nicht erfasst. Das heißt, Nonylphenol kann natürlich außerhalb Europas in der Produktion von - zum Beispiel - Textilien verwendet werden und kommt dann über die Textilien wieder in die Europäische Union und wird damit auch wieder in die Gewässer eingetragen."

    Es ist schwierig, chemische Rückstände in eingeführten Textilien etwa aus China, Indien oder der Türkei zu regulieren, weiß Wasserexperte Scheuer. Aber es weist auf eine Lösung hin:

    "Die Wasserbehörden müssen dieses Problem klar aufzeigen, mit Ihren Kollegen von der Chemikaliensicherheitsseite reden und dafür sorgen, dass auf der europäischen Ebene auch gehandelt wird in diesem Fall. Ganz sicher müssen Restriktionen über REACH eingeführt werden."

    Denn REACH - das neue europäische Chemikaliengesetz - erlaubt, Rückstände an Schadstoffen etwa in Textilien streng zu begrenzen. Die deutsche Wirtschaft hätte damit keine Schwierigkeiten. Alex Föller:

    "Sicherlich ist es so, dass unsere Firmen sich der Mühe unterziehen mussten, Ersatzstoffe zu entwickeln und die einzusetzen. Und dann wäre es im Wettbewerb natürlich nur fair, wenn es die Konkurrenten außerhalb Europas auch täten. Das heißt, das kann man aus Sicht der Chemie auf jeden Fall sagen."

    Die Greenpeace-Studie Heads in the sand over Europes most dangerous chemicals ist auf Englisch nachzulesen.