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Untere Havelniederung
Brandenburgs einzigartiges Auengebiet wird renaturiert

Seit rund 15 Jahren setzt sich der Naturschutzbund Deutschland (NABU) in Westbrandenburg für die Renaturierung eines der bedeutsamsten Binnen-Feuchtgebiete Mitteleuropas ein. Eigentlich sollte das Renaturierungsprojekt 2021 abgeschlossen sein, jetzt hat der NABU eine Verlängerung erreicht.

Von Vanja Budde | 13.08.2019
Buchta fährt im Boot von Wolfgang Schröder - einem der letzten Havelfischer - durch die Flußarme der Unteren Havelniederung - Im Hintergrund die Wiesen des Feuchtgebiets sichtbar
Untere Havelniederung: Rocco Buchta leitet für den NABU das größte Renaturierungsprojekt an einem Fluss in ganz Europa (Vanja Budde)
Seit 2005 befreit der Naturschutzbund Deutschland - NABU - auf 90 Flusskilometern die Sandufer der Unteren Havel von Steinen, schließt Altarme an den Hauptstrom an und pflanzt viele Hektar neuen Auenwald. Zwischen Pritzerbe in Brandenburg und Havelberg in Sachsen-Anhalt umfasst das Projektgebiet rund 19.000 Hektar. Einst war die untere Havelniederung rund 500.000 Hektar groß, die Ausläufer dieses Feuchtgebietes reichten bis vor die Tore Berlins.
"Heute sind davon etwa noch 150.000 Hektar übrig. Das ist nur noch ein gutes Drittel, aber dieses Drittel, was übrig ist, hat mit über 1.100 vom Aussterben bedrohten Arten die größte Schutzwürdigkeit, die ein Feuchtgebiet in Deutschland, wohlgemerkt im Binnenland überhaupt haben kann."
Bei Hochwasser war ganz früher alles Land zwischen Elbe und Havel komplett überflutet, erzählt Rocco Buchta, der hier für den NABU das größte Renaturierungsprojekt an einem Fluss in ganz Europa leitet. Dann aber rückten Preußens Könige der Havel mit Dämmen, Stauwehren und Kanälen zu Leibe, um Grünland zu gewinnen. Zu DDR-Zeiten war der Fluss hier dreckig und eine wichtige Industrie-Wasserstraße.
Friedliche Wasserlandschaft mit Libellen und Kiebitzen
Heute ist die Landschaft zumindest in einem Rest-Gebiet wieder so friedlich wie einst: Wasservögel sind an sandigen Uferbuchten auf Futtersuche, Libellen schwirren durchs Schilf, die Hechte beißen unterhalb von Havelberg fast schneller als man die Angel auswerfen kann. Seltene Insekten und Vögel wie Kiebitze und Trauerseeschwalben kehren zurück ins Auenland.
"Von den etwa 150 Kilometern Uferdeckwerken werden knapp 30 Kilometer zurückgebaut. Zwei Deiche werden zurückgebaut, da werden über 500 Hektar Überflutungsraum wieder angeschlossen. 34 Altarme werden angeschlossen. Es werden mindestens 145 Hektar Auenwald wieder etabliert."
Letztere Maßnahme dient neben dem Arten- auch dem Hochwasserschutz. Es ist ein rund 20 Millionen Euro teures Mammutprojekt, das hauptsächlich das Bundesamt für Naturschutz finanziert, aber anteilig auch die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Brandenburg kann auch den einzigen Auennationalpark in Deutschland sein eigen nennen: Das Untere Odertal im Nordosten des Landes. Jens-Uwe Schade, Sprecher des SPD-Umweltministeriums in Potsdam, betrachtet die Havelniederung ganz im Westen Brandenburgs als weitere Ergänzung:
"Also da sind eben sehr viele kleine Gewässer, die teilweise aber auch wiederangeschlossen werden müssen. Man kann also im Grunde genommen so ein vielfältiges Delta bilden. Und gerade in heutiger Zeit, wo es ja drauf ankommt, dass wir uns so viel mehr mit dem Oberflächengewässer beschäftigen müssen, auch aus Gründen des Klimawandels, um lokal also erstens natürlich auch Wasser überhaupt verfügbar zu haben, aber auch natürlich mit Blick auf die Artenvielfalt. Und in der Folge im Rucksack immer all dessen sind Landwirtschaft und Tourismus."
Die Auenlandschaft vom Bungalow-Boot aus genießen
Lokalpolitiker und Unternehmer im Havelland fürchteten zunächst, dass der Naturpark abgeschottet wird, kein Tourismus mehr möglich sein wird, weil Schifffahrt und Baden verboten werden. Als Kompromiss ist die Havel hier Bundeswasserstraße geblieben. Touristen können die idyllische Auenlandschaft am besten vom Bungalow-Boot aus genießen, lockt Rocco Buchta vom NABU. Und an den renaturierten Ufern finden sich jede Menge kleine, lauschige Badebuchten.
"Können wir mal kurz anhalten hier? Also das hier ist ein solches Uferdeckwerk, was im letzten Jahr zurückgebaut wurde. Ich muss mir mal ganz kurz hier unter Wasser einen Blick verschaffen, Wolfgang."
Der Fischer Wolfgang Schröder mit Sonnenhut in seinem Boot auf der Havel
Einer der letzten seines Berufs: Wolfgang Schröder ist Fischer in der Unteren Havelniederung (Deutschlandradio / Vanja Budde)
Rocco Buchta ist im Boot von Wolfgang Schröder unterwegs, einem der letzten Havelfischer. Schröder begrüßt die Renaturierung.
"Der Rocco muss mich immer ausbremsen, weil ich sage: Für die Fischerei ist das eigentlich, was wir jetzt machen, dann so wie als wenn ein Lauflahmer eine Krücke kriegt und kann dann wieder einigermaßen."
Überflutungsgebiete dienen als Kinderstube für Jungfische
Fischer Schröder würde sich nämlich wünschen, dass noch viel mehr Flächen unter Schutz gestellt werden und wieder als Überflutungsgebiet dienen könnten: Eine Kinderstube für Jungfische.
"Wir müssen noch viel mehr machen, gerade was die Deiche hier rechts und links der Havel angeht, die müssten noch weiter zurückgebaut werden. Das würde auch die ganzen Hochwasserextremsituationen auch sehr stark entlasten, wenn wir dem Fluss wieder mehr Raum geben, nicht bloß der Havel, der Elbe auch und andere große Flüsse auch."
Eigentlich sollte das Projekt Renaturierung 2021 abgeschlossen sein, doch es ist klar, dass die Zeit nicht reicht. Eine Verlängerung bis 2025 sei bereits vereinbart, sagt Ministeriums-Sprecher Schade. Teurer wird es dadurch nicht: Anders als beim Flughafen BER ist man an der Havel noch im Budget.