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Unterfinanzierte Hochschulen in Italien
Heißer Herbst in Lehre und Forschung

Befristete Arbeitsverträge, geringer Lohn: Italiens Lehr- und Forschungspersonal leidet unter immensen Finanzkürzungen. Lehrbeauftragte sind enttäuscht, weil die seitens der neuen Regierung angekündigte "Revolution" an den Hochschulen wohl ausbleibt. In einigen Instituten wird bereits gestreikt.

Von Thomas Migge | 14.11.2018
    Das Hauptportal der Universität La Sapienza in Rom
    Auch Europas größte Universität ist betroffen von der schlechten Finanzsituation: die Hochschule La Sapienza in Rom (dpa/Imagebroker hwo)
    Rom, Universität La Sapienza, Fakultät für politische Wissenschaften. Flure und Aulen wirken heruntergekommen. In manchen der Aulen kann man nicht mal vernünftig sitzen und es fehlt technisches Gerät, um Vorlesungen zu halten. Der Lehrbeauftragte Carlo De Matteis:
    "Die Situation dieser Hochschule aber auch vieler anderer öffentlicher Universitäten ist die der absoluten Unterfinanzierung. Wir leiden seit Jahren unter Finanzkürzungen der verschiedensten Regierungen. Nicht selten wissen wir nicht mehr, wie wir in Sachen Didaktik und Forschung weitermachen sollen."
    Noch nicht einmal ein "Revolutiönchen"
    So oder so ähnlich klingt es fast überall in Italien und diejenigen, die große Hoffnung in die neue Regierung gesetzt hatten, vor allem in die populistische 5-Sterne-Bewegung, sind schwer enttäuscht. War es doch vor allem diese Partei, die aus landesweitem Bürgerprotest gegen die Politik der traditionellen Parteien entstanden ist, die auch in Bildung und Forschung von einer, Zitat, "Revolution" gesprochen hatte. Doch noch nicht einmal ein "Revolutiönchen" sei in Sicht, klagt De Matteis, der seit 14 Jahren als Lehrbeauftragter arbeitet, mit einem Zeitvertrag, der jedes Jahr erneuert werden muss:
    "Ein Lehrbeauftragter wie ich oder ein Wissenschaftler mit Zeitvertrag bekommt pro Monat höchstens 1.350 Euro brutto. Und dass, obwohl wir mindestens genauso viel arbeiten wie festangestelltes Lehrpersonal. Maximal können wir 1.550 Euro brutto verdienen".
    Seit diesem Frühjahr ist Marco Bussetti Bildungsminister. Seinen Namen kennen nur die wenigsten, denn er gehört zu den stillsten Ministern der ansonsten laut gegen Einwanderer und gegen die EU herumpöbelnden Regierung in Rom.
    Hohe Zahl befristeter Zeitverträge für das Personal
    Dass inzwischen 56 Prozent des gesamten Lehr- und Forschungspersonals an staatlichen Hochschulen nur befristete Zeitverträge hat, die nach einigen Jahren auslaufen und nicht mehr verlängert werden, und dass überall in Italien die Studenten auf die Straßen gehen, scheint ihn und seine Regierung nicht zu interessieren. Marco Bussetti in einem Fernsehinterview vergangene Woche: "Wir haben ja schon damit begonnen, bei einigen Themen uns Gedanken zu machen, um einiges zu korrigieren, denn das ganze Hochschulsystem ist ja sehr fragil."
    Doch konkret hat der Minister bis jetzt nichts unterkommen. Versprochen wurden, während des Wahlkampfs, 100 Millionen Euro als erster Finanzschub für die Hochschulen. Jetzt ist davon keine Rede mehr. Im Gegenteil: um andere Wahlversprechen zu finanzieren, werden sämtliche Ausgaben für Lehre und Forschung eingedampft.
    Auch beim Nationalen Forschungsrat, CNR, dem größten italienischen Forschungsinstitut, in etwa vergleichbar mit der deutschen Max-Plank-Gesellschaft, ist man verzweifelt. Ein Forschungsgigant mit 102 Einzelinstituten. Die Mehrheit der Beschäftigten des CNR unterzeichnete einen Appell an den Staatspräsidenten: Sie fordern die, Zitat, "Rettung des CNR". Es fehlen mindestens 150 Millionen Euro, um weiterforschen und -arbeiten zu können. Auch im Fall des CNR hatte die 5-Sterne-Bewegung während des Wahlkamps das Blaue vom Himmel versprochen.
    "Wir haben nicht studiert, um wie Bettler zu leben"
    In einigen Instituten des CNR wird bereits gestreikt. So etwa im süditalienischen Bari. Unter den Streikenden ist auch die Chemikerin Martina Corce:
    "Für uns ist unsere Forschung eine Mission. Wir sind ja schon bereit, mit wenig Geld auszukommen. Aber noch weniger können wir nicht akzeptieren! Wir haben ja nicht studiert, um hier wie Bettler zu leben und zu arbeiten."
    Corce und ihre Kollegen haben ihre CNR-Forschungseinrichtung auch besetzt bis auf weiteres, bis aus Rom endlich Signale kommen. Doch die werden nicht kommen, weil, "im Moment andere Dinge wichtig sind" - wie Innenminister Matteo Salvini von der rechtsradikalen Partei Lega erklärte.
    Kein Wunder, dass sich Italiens Spitzenforscher anderweitig umschauen. Ein Beispiel von vielen: Mauro di Battista arbeitet seit 14 Jahren in Bologna als Astrophysiker am Euclid-Satellitenprogramm der europäischen Raumfahrtbehörde. Ein international anerkannter Fachmann. Jetzt wird aus Geldmangel sein befristeter Arbeitsplatz nicht mehr verlängert. Di Battista sucht jetzt im Ausland neue Arbeit. Die NASA zeigte bereits Interesse an dem hochqualifizierten Experten.