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Unterhaltung an Bord
Kreuzfahrt-Künstler immer mehr gefragt

Die Kreuzfahrt-Branche boomt. Immer mehr und immer größere Schiffe kreuzen mit Urlaubern über die Weltmeere. Ein ausgeklügeltes Unterhaltungsprogramm sorgt dafür, dass an Bord keine Langeweile aufkommt. Dafür werden auch immer mehr Künstler gebraucht, die gerne auch schwankenden Planken spielen.

Von Andreas Becker | 10.03.2016
    Ein Gondoliere mit zwei Touristen in seiner venezianischen Gondel vor dem riesigen Rumpf des 1.800 Passagiere fassenden Kreuzfahrtschiffes "Splendour of the Seas" (Royal Caribbean Cruise Line) auf dem Canale di San Marco, Venedig.
    Ein Gondoliere mit zwei Touristen vor dem riesigen Rumpf des 1.800 Passagiere fassenden Kreuzfahrtschiffes "Splendour of the Seas" in Venedig. (Andreas Engelhardt)
    Rund ein Dutzend Tänzer und ein Sänger quälen sich vor einer Spiegelwand und mehreren kritischen Beobachtern zur immer gleichen Musik ab.
    Die Coaches des TUI-Cruises-Entertainment-Centers beäugen, wie sie gerade noch etwas ungelenk für die neue Show proben. Regisseur Castro schaut streng. Immer wieder greift sein Choreograf ein, um die Schrittfolge zu optimieren. Ein wenig mehr Dynamik bitte!
    In wenigen Tagen werden die Künstler zu einer Karibik-Kreuzfahrt aufbrechen. Aber nicht als Passagiere.
    "Wir haben auf jedem Schiff ungefähr 60 Künstler, die einen Vier- bis Fünfmonatsvertrag fahren, … damit sind wir bei fünf Schiffen bei ungefähr 300 Mitarbeitern."
    Thomas Schmidt-Ott, hat in seinem Büro einen drei Meter langen bunten Plan an der Wand. Auf diesem Kalender kann er sehen, wann welches Schiff der Flotte gerade wo ankert.
    Er führt durchs hochmoderne Show-Ausbildungszentrum in Berlin-Treptow. 4.000 Quadratmeter in Fabriketagen von 1920, mit angenehm hohen Räumen. Im Hof drei neue Theatersäle ohne störende Pfeiler. Das Unternehmen beschäftigt sogar einen eigenen Komponisten:
    "Eine Firma, die jährlich ein neues Schiff braucht, braucht ja auch eine eigene Melodie. Wenn der Gast einen Urlaub macht, das erste was er hört, an Bord, ist eine Hymne. Jeder Fußballverein hat eine Erkennungsmelodie, warum nicht wir auch eine Hymne?"
    Komponist Jakob Vinje hat das Erkennungs-Liedchen mit dem Filmorchester Babelsberg aufgenommen. Hochprofessionell und hochemotional ist das Entertainment-Konzept. Auf dem Bug der Schiffe stehen meterhoch Begriffe wie "Leidenschaft" und "Wohlfühlen". Man ist im Illusionsgewerbe, deshalb wird in der Hymne auch vom Segeln und Schweben gesungen.
    Dagegen schippern die Passagiere, Crewmitglieder und Schiffskünstler mit riesigen, bei vielen Reedern immer noch ohne Filter betriebenen Motoren durch die Weltmeere. Und parken ihre hochhaushohen Dampfer gern mal mitten in der Altstadt von Venedig. Die Schiffe werden immer mehr zu schwimmenden Hotelkästen.
    Sänger Benjamin Eberling, heute im sportlichen Joggingoutfit, probt grade mit Tänzern eine Musikshow für Jedermann.
    "Wir arbeiten ja grad an einer Premiere, das ist die Deutschrock-Show 'Mein Ding'. Ich bin hier so ein bisschen der Zuhälter, die gute Seele vom Kiez. Das spielt ja alles ein bisschen in Hamburg, auf der Reeperbahn. Ich sing von Peter Fox ‚Haus am See‘, am Schluss noch ‚Sexy‘ von Westernhagen."
    Für die Künstler ist der Job an Bord attraktiv. Aber sie müssen fensterlose Mehrbett-Kabinen, wenig Landgang, dafür manchmal umso mehr Seegang und Eintönigkeit ertragen:
    "Es ist Geschmacksache, es gibt Kollegen, die werden sozusagen Senioren, die gehen dann Essen, Schlafen, Show."
    Ententanz mit Animateuren – das reicht hier nicht. Auf die Bühne kommen gestandene Musiker, Akrobaten und Tänzer, oftmals mit einer beachtlichen Vita. Das Engagement an Bord bringt dem Künstler rund 100 Euro am Tag. Entertainment-Chef Schmidt-Ott macht für seine Firma aber keine exakten Angaben. "Die Bezahlung ist in etwa nach dem deutschen Bühnentarifgesetz. Aber sie haben ja noch zusätzlich freie Kost und Logie. Und freien Transport."
    Der Chef führt durch den verzweigten Komplex ins Fitnessstudio und den Kostümfundus. Gerade wird unter Hochdruck gebügelt und genäht: "Jede Show hat bis zu zehn Kostümwechsel, dann sind sie schnell bei 2.000 Kostümen, die zwischen dem Schiff und dieser Kostümabteilung hin und her gehen."
    Wenn sich die Sicherheitslage irgendwo auf der Reiseroute verschlechtert – wie kürzlich in Istanbul – wird der Hafen einfach nicht mehr angelaufen. Von Problemen soll auf dem Wasser nichts zu spüren sein – für Entertainment ist ja gesorgt.
    Die Kreuzfahrtanbieter sind große, internationale Arbeitgeber. Auf einige Schiffe der TUI-Flotte passen bis zu 2.500 Passagiere und rund 1.000 Mitarbeiter. Ein besserer Betreuungsschlüssel als im Altenheim!
    Arthur Castro ist Autor und Regisseur – er hat auch den Text zur Schiffs-Hymne verfasst. Würde er ein Titanic-Musical aufführen, oder sogar politisches Kabarett?
    "Man könnte vielleicht sagen, wir halten Abstand von politischen oder religiösen Themen. Wir wollen in erster Linie Shows produzieren, für ein Publikum, nach einem Landausflug, nach einem Essen. Die Show rundet den Tag ab."
    Kreuzfahrten boomen. Das nächste Schiff der TUI läuft schon im Sommer vom Stapel. Es wird im Moment von der deutschen Meyer-Werft im finnischen Turku gebaut. Und so wird auch der Bedarf an Künstlern für die leichte Unterhaltung an Bord anhalten.