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Unternehmen zum Holocaust-Gedenktag
"Wir haben uns schuldig gemacht"

76 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung haben dieses Jahr Volkswagen, Daimler, die Deutsche Bahn, die Deutsche Bank und der Fußballclub Borussia Dortmund gemeinsam mit dem Freundeskreis der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem den Opfern des Holocaust gedacht und sich auch zu ihrer eigenen Schuld bekannt.

Von Sebastian Engelbrecht | 27.01.2021
Wachturm und Stacheldrahtzaun am Rande der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen deutschen Konzentrationslagers Auschwitz.
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das KZ Auschwitz (dpa/picture alliance/dpa-Zentralbild/Britta Pedersen)
Über "das Haus am Gleis" singt die Berliner Schauspielerin Ruth Rosenfeld. Eigentlich sollte das Lied am Gleis 17 zu hören sein, am Mahnmal auf dem Bahnhof Berlin-Grunewald, von wo 50.000 Juden in die Todeslager der SS deportiert wurden. Wie so vieles aber findet auch dieses Gedenken in einer Videokonferenz statt. Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, will die sechs Millionen ermordeten Juden "dem Vergessen entreißen".
Schuster sagt: "Wir erinnern heute an die ausgelöschten Leben, die zerstörten Träume von Menschen. Wir erinnern an Männer, Frauen und Kinder, deren Leben auf grausame Weise zerstört und vernichtet wurden. Wir erinnern an die verlorenen Generationen, denen wir es schuldig sind, entschieden zu handeln, wenn Antisemiten wieder ihre Stimme erheben."
Eine ältere Frau wirft eine Rose zum Gedenken in das Wasser des Schwedtsees am 19.04.2015 in der Mahn- und Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers Ravensbrück bei Fürstenberg (Brandenburg), anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Lagers. 
Geplanter Polen-Gedenkort in Berlin
Ein separater Gedenkort für polnische NS-Opfer in Berlin zur Erinnerung und Aussöhnung – das hat der Bundestag im Herbst 2020 beschlossen. Skeptiker sehen darin ein falsches Zeichen für die Gedenkkultur.
Für Daimler antwortet der Vorstandsvorsitzende Ola Källenius, man schicke jedes Jahr Auszubildende zu Austauschprogrammen in die Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz.
Källenius sagt: "Unsere Rolle während der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges ist auch ein Grund für unser Engagement. Wir haben uns insbesondere durch den Einsatz von Zwangsarbeitern damals schuldig gemacht, und auch wenn wir diese Schuld aufgearbeitet haben, verpflichtet sie uns weiterhin zu einer besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Leben."
Und Bahnchef Richard Lutz bekennt: "Die Deutsche Reichsbahn war Teil der Mordmaschinerie von Nazi-Deutschland, hat mit den Deportationen ganz wesentlich zur Ermordung von Millionen von Juden in Europa beigetragen."
Bau eines "Hauses der Erinnerungen"
Alle fünf Unternehmen finanzieren den Bau eines "Hauses der Erinnerungen" in der Holocaust-Gedenkstätte "Yad Vashem" in Jerusalem. An der Grundsteinlegung vor zwei Jahren nahm auch Bahnchef Richard Lutz teil. Er erinnert sich: "Ja, da läuft mir ehrlich gesagt jetzt noch ein Stück weit die Gänsehaut über den Rücken. Es war unheimlich bewegend, berührend und beeindruckend."
Mit großer Sorge blickten sie auf den wachsenden Judenhass, erklären die fünf Unternehmenschefs. Deshalb unterstützen sie die "Antisemitismus"-Definition der "Internationalen Holocaust-Erinnerungsallianz". Sie bezieht auch den Israel-bezogenen Judenhass ein. Für die Deutsche Bank unterstützt der Aufsichtsratsvorsitzende Paul Achleitner die Definition, der sich 2018 auch der Deutsche Bundestag schon angeschlossen hat.
Achleitner erklärt: "Letztlich kann es natürlich nicht nur darum gehen, was in der Vergangenheit geschehen ist – obwohl gerade für ein Haus, wo einer von zwei Gründern und drei von sechs CEOs vor 1933 jüdischen Glaubens waren, das moralische und sonstige Totalversagen der Führungskräfte umso unnachvollziehbarer ist."
Wie Familienunternehmen NS-Zwangsarbeit aufarbeiten
Viele traditionsreiche Familienunternehmen beschäftigten in der NS-Zeit Zwangsarbeiter. Die Aufarbeitung erfolgt häufig nur auf medialen Druck und dauert bis heute an.
Workshops gegen Diskriminierung
Volkswagen beschäftigte 32.000 Zwangsarbeiter, die meisten waren jüdische KZ-Häftlinge. Heute sagt VW-Vorstandsmitglied Gunnar Kilian: "Wir haben uns sehr intensiv auch mit dem dunklen Kapitel der Zwangsarbeit bei Volkswagen auseinandergesetzt."
Und Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, berichtet, "dass wir Workshops machen, für junge Menschen anbieten, erklären zu was diese Dinge wie Diskriminierung und Rassismus führen können, dass wir Besichtigungen von Konzentrationslagern durchführen immer wieder aufs Neue. Ich war selbst schon selbst mit Mitarbeitern in Auschwitz. Das ist jedes mal extrem berührend."
Borussia Dortmund will anderen Fußballclubs ein Beispiel geben, ebenfalls die erweiterte Antisemitismus-Definition anzunehmen. Tennis Borussia, ein Berliner Regionalligist, hat sich schon angeschlossen.