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Unternehmer brauchen Illegale

Seit sechs Monaten streiken in Frankreich über 6000 Illegale. Frauen und Männer, die keine Aufenthaltspapiere besitzen, und daher unter falschem Namen arbeiten. Die Jobs, die sie machen, sind vielen Franzosen zu hart. Jetzt haben sich verschiedene Arbeitgeberverbände erstmals zu der Streikbewegung geäußert.

Von Bettina Kaps | 15.04.2010
    Geneviève Roy hat Glück: In ihrem kleinen Hotel im Pariser Intellektuellenviertel Saint Germain des Près beschäftigt sie zwar Ausländer, aber sogenannte Illegale, ohne Arbeitserlaubnis, sind nicht dabei. Als Vizepräsidentin des Arbeitgeberverbandes der kleinen und mittleren Unternehmen in Frankreich steht Roy mit 550 Unternehmern aus allen Branchen in Kontakt. Daher weiß sie genau, dass viele ihrer Kollegen auf die ausländischen Arbeitskräfte angewiesen sind.
    "Für den Arbeitgeber stellt sich ein enormes Problem, wenn er plötzlich feststellt, dass ein Arbeitnehmer, den er guten Glaubens eingestellt hat und für den er alle Sozialabgaben zahlt, mit falschen Papieren angemeldet ist. Manchmal arbeitet der Beschäftigte schon seit Jahren in der Firma und erfüllt bestimmte Aufgaben, die für das Wohlergehen der Firma unersetzlich sind."
    Noch größere Probleme haben jedoch die Beschäftigten selbst. Zwischen 200.000 und 400.000 Ausländer, so die Schätzungen, leben illegal in Frankreich. Die meisten haben eine Arbeit, viele sind gemeldet, meistens unter falschem Namen. Wie der Malier Koné Faganda. Er ist in einem Pariser Restaurant beschäftigt, aber seit sechs Monaten hat er die Arbeit jetzt schon niedergelegt.

    "Wir streiken seit dem 12. Oktober. Wir fordern Aufenthaltspapiere und eine Arbeitserlaubnis. Ich arbeite seit acht Jahren in Frankreich, mit falschen Papieren, die auf meinen Namen ausgestellt sind. Ich zahle Einkommenssteuer und Sozialabgaben und sehe nicht ein, warum ich nicht legalisiert werden kann."

    Um diese Grundrechte zu erkämpfen, sind über 6000 Ausländer wie Faganda in Streik getreten. Über 2000 Betriebe, vor allem Baufirmen, das Hotel- und Gaststättengewerbe, Zeitarbeitsagenturen und Pflegedienste sind von dem Ausstand betroffen. Theoretisch können die Arbeitgeber zur Präfektur gehen und dort die Legalisierung ihrer Beschäftigten beantragen, aber die Praxis sieht anders aus, sagt Genevieve Roy.
    "Die Arbeitgeber zögern, den Antrag zu stellen, denn sie sind im Unrecht, selbst wenn sie von ihren Beschäftigten getäuscht wurden. Die Prozedur zur Legalisierung eines ausländischen Arbeitnehmers ist für uns riskant. Unser Verband verlangt hier eine Änderung."
    Genevieve Roy will nicht offen zugeben, dass manche Betriebe ernsthaft unter dem Streik der Ausländer leiden. Doch nur so erklärt sich, dass der Arbeitgeberverband jetzt zusammen mit den Gewerkschaften einen Aufruf an die Regierung unterschrieben hat, klare Kriterien für die Legalisierung ausländischer Arbeiter festzulegen.

    Der Soziologe Nicolas Jounin hat sich für seine Doktorarbeit als Arbeiter auf dem Bau anstellen lassen. Er weiß, dass gerade in dieser Branche viele Firmen dank der willigen Kräfte aus dem Ausland Sozialdumping betreiben können.
    "Manche Firmen greifen seit Jahren auf illegale Arbeiter zurück und sind jetzt dem Druck der Regierung ausgesetzt, die Jagd auf Ausländer ohne Aufenthaltspapiere macht. Nur Ausländer sind bereit und fähig, so harte Arbeit für wenig Geld dauerhaft auszuüben. Über die Jahre hinweg haben sie Kompetenzen erlangt, auf die die Arbeitgeber nicht verzichten können."
    Die französische Wirtschaft hat seit jeher auf ausländische Arbeitskräfte zurückgegriffen. Vor 150 Jahren kamen Belgier, Italiener, aber auch Deutsche zum Arbeiten nach Frankreich, nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten Portugiesen ein und bald darauf Nord- und Schwarzafrikaner aus den Kolonien. Kaum einer von ihnen besaß eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, dennoch wurden die Einwanderer bis in die 70er-Jahre schnell legalisiert. Und auch danach konnten Ausländer ohne gültige Papiere weitgehend unbehelligt in Frankreich arbeiten. Doch seit fünf Jahren bekämpft die Regierung die sogenannte erlittene Einwanderung. Der Einwanderungsminister soll auch dieses Jahr wieder 27.000 Ausländer ausweisen. Das macht die Lage der ausländischen Arbeiter noch unsicherer, sagt Nicolas Jounin.
    "Es gibt immer mehr Kontrollen in den Firmen, es gibt immer mehr Kontrollen bei der Krankenkasse und im Arbeitsamt. Die Unternehmer müssen die Aufenthaltsberechtigung überprüfen lassen. Obwohl die meisten Ausländer schon seit Jahren hier arbeiten, zieht sich das Netz um sie zu. Diese Menschen stehen mit dem Rücken zur Wand, deshalb sind sie in Streik getreten."
    Arbeitgeber und Gewerkschaften fordern den neuen Arbeitsminister Eric Woerth jetzt zu pragmatischem Handeln auf. Alle Unterzeichner des Appells betonen, dass es ihnen nicht um eine neue Einwanderungspolitik gehe, sondern schlicht darum, die Realität zu akzeptieren, dass die Ausländer zum wirtschaftlichen Reichtum des Landes beitragen und für viele Betriebe unersetzlich sind.