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Unterschätzter Meister

Der DDR-Fotograf Arno Fischer beherrschte die Grautöne, die schwarzen Tiefen, die weißen Lichter. Seine Bilder sind "von bildlicher Meisterschaft, wie sie nur wenige Schwarz-Weiß-Fotografen erreicht haben", urteilt der Autor und Kulturkritiker Ulf Erdmann-Ziegler.

Ulf Erdmann-Ziegler im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 14.09.2011
    Rainer Berthold Schossig: Heute ist Arno Fischer, der bedeutende DDR-Fotograf, 84-jährig gestorben, kein Jahr nach seiner Frau, der Fotografin Sibylle Bergemann. Arno Fischer war nicht nur Chronist Berlins, sondern auch ein Vorbild für den Nachwuchs. Er lehrte Fotografie in Berlin, Leipzig und später auch in Dortmund. Und vor zehn Jahren gründete er gar noch seine eigene Fotografenschule "Fotografie am Schiffbauerdamm", wo er lange Jahre gewohnt hat. Seine Bilder aus dem Osten und Westen Berlins, aber auch seine späten Stadtveduten aus New York, gehören zu bleibenden Fotozeugnissen der DDR. Vor der Sendung habe ich mit Ulf Erdmann-Ziegler gesprochen. Arno Fischer arbeitete, habe ich ihn gefragt, ja zunächst für die Stilbildende DDR-Modezeitschrift "Sibylle". Aber er war ja viel mehr als ein Modefotograf?

    Ulf Erdmann-Ziegler: Nein, er war eigentlich überhaupt gar kein Modefotograf, geradezu ein Anti-Modefotograf. Aber fast alle bedeutenden Schwarz-Weiß-Fotografen der 50er-Jahre, auch sein großes Vorbild Robert Frank, haben irgendwann mal Modefotografien gemacht. Die "Sibylle" war eine Möglichkeit, in der DDR zu publizieren, wie man sie sonst überhaupt nicht hatte. Im sozialistischen Schnittmusterblatt war nämlich eine soziale Nische eingerichtet worden im Kontrollsystem der DDR, und dort erschienen Reportagen und Bilder, die sonst nirgendwo zu sehen waren, eben auch welche, die auf keinen Fall Jubelbilder waren. Und daher die Verbindung zur Zeitschrift "Sibylle".

    Schossig: Fischers hatte einen wunderbaren Leitsatz. Der hieß: "Wenn ich einen Mann an einer Bushaltestelle fotografiere, dann muss da mehr auf dem Bild zu sehen sein als ein Mann an einer Bushaltestelle." Also das heißt ja, wenn ich das richtig interpretiere, er erzählte in seinen Bildern nicht nur Geschichten, sondern Geschichte. Aber wie machte er das?

    Erdmann-Ziegler: Ja, er wartet die Metapher ab, so würde ich es versuchen auszudrücken. Es ist immer schwierig, über Fotografen zu sprechen, die heimliche Techniken haben, Techniken der Heimlichkeit, sich einem Objekt zu nähern. Man ahnt, wie sie es machen, aber man weiß es eben nicht wirklich. Es bleibt am Ende ein Geheimnis. Was er auf jeden Fall wollte ist, dass er etwas Bedeutsames im kleinen sah, aber dieses wollte er nicht überhöhen, dramatisieren, auf keinen Fall so eine Art fotografische Wichtigtuerei hineinbringen. Also er hat sich von Henri Cartier-Bresson nur so eine gewisse grafische Eleganz geliehen, aber nicht dieses Triumphieren des Augenblicks. Und insofern war natürlich der Mann, der wartet - das ist ja klar, das ist ja ein existenzielles Bild -, der Mann, der auf den Vollzug der Geschichte wartet, und in dieser Situation war in gewisser Weise Arno Fischer in Ostberlin auch.

    Schossig: Er machte zwar Schwarz-Weiß-Fotos, wie es damals ja auch fast nur ging, aber doch fernab jeder Schwarz-Weiß-Propaganda. Ist es dies - Sie haben es angedeutet -, das Unspektakuläre, das Einfangen des Alltags, was ihn wichtig machte?

    Erdmann-Ziegler: Ja, das Schwarz-Weiße war damals, glaube ich, mehr Technik als Bekenntnis. Aber er hat diese Technik eben gemeistert. Er kann eben alle Graus, er kann die schwarzen Tiefen, er kann die weißen Lichter, und die kann er eben bedeutsam einsetzen. Zum Beispiel gibt es ein Bild von ihm von einem Mann, der in einem Budapester Café sich eine Notiz macht, neben sich das Wasserglas, und draußen hinter einer Scheibe geht ein Mann mit einem Regenschirm vorbei und dieser Regenschirm ist eigentlich so was wie ein Drittel Globus, oder ein Kafkascher Käfer. Und dadrüber übrigens in der Scheibe sitzt noch ein schwarzer Kreis, der in diesen Regenschirm hineinragt und insofern eine Kontraform ist, und das ist eben diese Art von bildlicher Meisterschaft, die nur wenige Schwarz-Weiß-Fotografen erreicht haben. Ich meine, Schwarz-Weiß ist ja als solches kein ästhetisches Konzept.

    Schossig: Sie sagen es: ein Meister der Fotografie, und das in Deutschland. Er hat ja erst vor einem Jahr den Berliner Hannah-Höch-Preis für sein Lebenswerk bekommen. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach, dass Arno Fischers Bilder hier - ich sage mal hier, immer noch im Westen - so gut wie unbekannt blieben?

    Erdmann-Ziegler: Vielleicht hat er sie auch ein bisschen zu sehr gehütet. Er hat extrem ausgewählt, nur weniges publiziert. Er durfte irgendwann reisen in einem kuriosen Rechercheprojekt, wo es um ein sozialistisches Denkmal ging. In den 70er-Jahren konnte er reisen, und dann hat er eben Bücher gemacht über Indien zum Beispiel und sehr, sehr spät, '88, über New York, als die DDR endlich ihn das New-York-Buch machen ließ. Aber das sind so Bücher, die doch mehr in Richtung der Reisefotografie gehen, obwohl er genau das vermeiden wollte. Es ist mehr Handwerk, aber das hat er auch zugegeben. Und deshalb ist er sozusagen nicht wie große Fotografen, andere große Fotografen, in großen Büchern niedergelegt und er hat auch nicht die große Retro mit dem Katalog bekommen, die er vielleicht verdient hätte. Er hat sich darüber ja auch beklagt, und diese gewisse Larmoyanz hat vielleicht der Sache auch nicht unbedingt gut getan. Aber es stimmt, dass er unterschätzt war, und seine Bedeutung in der DDR-Gesellschaft liegt in der Lehre, die er privat und über Institutionen betrieben hat, sehr erfolgreich. Er hat den ersten Lehrstuhl an der Hochschule für Grafik und Buchkunst 1985 besetzt, für Fotografie. Die letzten zehn Jahre hat er in Dortmund einen Lehrauftrag gemacht. Klar ist er unter Fotografen bekannt, aber er hat eben nicht die Mittel zur Verfügung gehabt, um wirklich ans große breite Publikum zu kommen. Da ist sozusagen die Geschichte an ihm vorbeigerast.