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Sachsen
Wahlkampf am Grill

In Sachsen wird am kommenden Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Seit 1990 stellt dort die CDU den Ministerpräsidenten, doch die Selbstgewissheit des Landesverbandes wurde in letzter Zeit erschüttert. Michael Kretschmer hat seit seinem Amtsantritt die Aufgabe, Wähler von der AfD zurückzugewinnen.

Von Bastian Brandau | 26.08.2019
Michael Kretschmer (CDU, r), Ministerpräsident von Sachsen, grillt während einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei anlässlich der bevorstehenden Landtagswahl im Freistaat Bratwürste
Kurze Rede, dann an den Grill: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (r) versucht mit den Leuten ins Gespräch zu kommen (picture alliance/Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa)
"Ich freue mich dass Du hier bist, lieber Michael, und ja, vielleicht hast Du ja ein paar nette Worte für uns", sagt CDU-Kandidat Holger Gasse.
Der Stadtteil Thekla im Leipziger Norden, Häuserblocks stehen neben Einfamilienhäusern. Eishockeyspieler und Feuerwehrleute sind da. Der örtliche CDU-Landtagsabgeordnete hat Vereine eingeladen - zu einem Wahlkampfauftritt mit Michael Kretschmer am Naturbad "Bagger".
"Und ich bin wirklich schwer beeindruckt über 18 Monate jetzt als Ministerpräsident, über Freunde wie den Holger, die mir gesagt haben, was die wichtigsten Dinge sind. Wir haben uns zusammengesetzt mit den Kollegen in der Landtagsfraktion, haben uns Prioritäten gesetzt und können nach 18 Monaten sagen, all das was wir uns vorgenommen haben, was wir den Menschen gesagt haben, was ich in meiner Regierungserklärung erklärt habe, haben wir gehalten."
AfD lag zuletzt in Sachsen vor der CDU
Es ist Kretschmers Erzählung, seitdem er angetreten ist, die Fehler seiner Vorgänger wieder gut zu machen. Eisern sparte man zuvor in Sachsen, war stolz darauf. Nun fehlen zum Beispiel Lehrerinnen und Polizisten. Der öffentliche Nahverkehr ist schlecht ausgebaut, viele Menschen fühlen sich abgehängt. Und in den Kohlegebieten blicken die einen unsicher in die Zukunft – während andere sauer sind, weil der Strukturwandel zu spät angegangen wurde. Die wirtschaftlichen Zahlen sind gut, die Arbeitslosigkeit auf Rekordtief.
Spitzenkandidaten in Sachsen: Holger Zastrow (l-r), (FDP), Katja Meier, (Bündnis 90/Die Grünen), Jörg Urban, (AfD), Martin Dulig, (SPD), Rico Gebhardt, (Die Linke) und Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
Was Sie über die Wahl in Sachsen wissen müssen
Am 1. September wählt Sachsen ein neues Landesparlament. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will Regierungschef in Sachsen bleiben – aktuell ist seine Partei stärkste Kraft im Land. Sollte es jedoch die AfD auf Platz 1 schaffen, dürfte das Wellen bis nach Berlin schlagen.
Doch da ist diese Stimmung in Sachsen: Pegida, Heidenau, Freital, Clausnitz, Bautzen, Chemnitz, Partei geworden in der AfD. Die lag zuletzt bei Bundestagswahlen und Europawahl vor der CDU, auch Kretschmer verlor sein Bundestagsmandat an einen AfD-Politiker.
"Wir müssen die, die jetzt eine Minderheit sind, die alles mies und madig machen, die am liebsten dieses ganze Land abreißen wollen, den müssen wir ein Stoppzeichen setzen, sagen, nein, es gibt eine Mehrheit, die ist viel, viel größer. Die will etwas Gutes für dieses Land. Wir machen keine Protestwahl am 1. September wegen irgendetwas, was in Berlin gerade nicht funktioniert, sondern wir machen eine Sachsenwahl, meine Damen und Herren."
Kretschmer gibt sich bürgernah
Keine zehn Minuten redet Kretschmer auf der Bühne, dann stellt er sich an den Grill, versucht mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Und einige, so die Hoffnung, von der AfD zurückzuholen. Kann er überzeugen?
"Musste mich nicht überzeugen, einfach 'ne Sympathie, und das was er vorgehalten hat, hat er auch gehalten bisher." – "Die Bürgernähe, und dass er das, was er sagt, dazu steht er auch. Und das finde ich gut."
Das sehen längst nicht alle so: "Die CDU mit ihren Spitzenleuten, die haben uns 30 Jahre verscheißert, da frage ich mich, warum soll ich die wieder wählen? Die werden zwar mit Bratwürsten angefüttert, ist jedem sein Niveau."
Landtagswahl Sachsen 2019
Früher immer CDU – jetzt AfD. Das hört man auch bei CDU-Veranstaltungen im Wahlkampf in Sachsen. Mal verklausuliert, mal ganz offen: "Ist mit Sicherheit aus Protest, um hier mal einen Wechsel zu machen. Es geht so nicht weiter, es braucht einen Dämpfer. Ist auch meine Meinung. Nicht, dass ich die jetzt als Politik befürworte."
"Man sollte die AfD nicht so abseits stellen"
Der rassistische Grundton der AfD, die Positionen eines Björn Höcke, der auch für die sächsische AfD Wahlkampf macht: Für viele hier kein Grund, die Partei als Partner auszuschließen. Er sei sich zu 80 Prozent sicher, die CDU zu wählen, sagt dieser Mann. Aber: "Ich bin da etwas anderer Meinung als Herr Kretschmer. Ich bin der Meinung, dass man die AfD nicht so abseits stellen sollte. Man muss mit ihnen reden. Es geht ja nicht darum, dass da ein paar Idioten in der Partei und in der Leitung sind. Es sind Millionen Menschen, die sie gewählt haben. Handwerker, einfache Leute, auch intelligente Leute, die sie gewählt haben. Ich finde es nicht gut, dass aus Berlin die Weisung kommt: ‚Mit denen reden wir nicht‘".
Mit dem Vereinsgrillfest und dem Besuch von Michael Kretschmer sei er sehr zufrieden, sagt der Leipziger CDU-Abgeordnete Holger Gasse, der vor fünf Jahren das Direktmandat geholt hat. Die CDU siegte 2014 in 59 von 60 Wahlkreisen. Wie viele der direkt gewählten CDU-Abgeordneten muss Gasse nun um sein Direktmandat bangen – bei den Kommunalwahlen im Mai erlebte er einen Dämpfer in einem sich wandelnden Leipziger Stadtteil.
"Jedenfalls haben wir 5.000 neue Wähler gehabt. Die haben alle links und grün und wenige die AfD gewählt. Die Entwicklung des Gebietes, sich dort eingesetzt, 15 Jahre den Arsch aufgerissen, hat ein CDU-Abgeordneter gemacht. Und da muss es erlaubt sein, dass man ein bisschen betrübt ist. Ich stand natürlich zur Kommunalwahl nicht auf dem Zettel, ich hoffe dass zur Landtagswahl, wo mein Name auf dem Zettel steht, vielleicht sich einige daran erinnern, dass ich immer jemand war, der sich für dieses Gebiet – unabhängig von Parteipolitik – habe ich dafür gekämpft."