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"Unverantwortliches Deich-Wettrüsten"

Es gilt als unbestritten, dass nicht höhere Deiche, sondern Deichrückverlegungen am effektivsten vor Hochwasser schützen. Auch die Politik scheint in diese Richtung umzudenken. In der Praxis setzt man jedoch trotzdem weiter auf technischen Hochwasserschutz und nicht auf ökologischen.

Von Christoph Richter | 04.07.2013
    "Worum es uns jetzt geht, Barmittel, also Cash, ganz schnell an die Menschen herankommen."

    Ex-Kanzler Gerhard Schröder während der Jahrhundertflut 2002. Damals stellte die Bundesregierung etwa sieben Milliarden Euro Fluthilfe zur Verfügung. Bilder und Botschaften: Im Jahr 2013 sind es die Gleichen.

    "Mit acht Milliarden sind wir jetzt nicht kleinlich an die Sache rangegangen, sondern, glaube ich, schon sehr realistisch."

    Bundeskanzlerin Angela Merkel über den geplanten Hilfsfonds für die Flutopfer. Morgen soll der Bundesrat grünes Licht geben. Geld, von dem Bürgermeister Peter Müller hofft, dass es dieses Mal auch in der sachsen-anhaltinischen Gemeinde Elster im Landkreis Wittenberg ankommt. Allein in den letzten zehn Jahren wurde der knapp 3000 Einwohner große Ort am Zusammenfluss von Schwarzer Elster und Elbe viermal geflutet. Nach 2002 fühlten sich die Menschen von der Politik völlig im Stich gelassen, erinnert sich Bürgermeister Peter Müller:

    "Wir haben doch etliche Kosten selber getragen als Kommune. Und deswegen hoffe ich, dass es bei diesem Mal bei dem Versprechen bleibt."

    Nach 2002 wollte die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern den Hochwasserschutz schnellstmöglich verbessern, optimieren. Bereits 2003 wurde daher ein Fünf-Punkte-Programm verabschiedet. Die Hauptforderung lautete damals schon, dass man den Flüssen mehr Raum geben solle. Doch gerade da ist wenig passiert, sagen Naturschützer. Stattdessen habe man viel zu viel in den Deichausbau gesetzt. Unterstreicht Iris Brunar, Mitarbeiterin beim Elbe-Projekt des BUND:

    "Wenn man sich jetzt zum Beispiel die Mittel anschaut, ist für den technischen Hochwasserschutz ausgegeben worden 2002 über eine Milliarde Euro. Für den ökologischen Hochwasserschutz ein bis zwei Prozent. Wenn überhaupt."

    Ein unverantwortliches Deich-Wettrüsten sei das. Denn gerade wenn die Deiche am Oberlauf verstärkt werden, erhöht das die Fließgeschwindigkeit und den Wasserdruck. Wenn dann die Deiche der stromabwärts liegenden Gemeinden nicht auch bestens ausgestattet sind, wird es gefährlich. Ganze Ortschaften können binnen Minuten überflutet werden, wie es in Elster bei Wittenberg erst kürzlich wieder passiert ist. Hätte nicht sein müssen, sagt Bürgermeister Peter Müller und rechnet vor:

    "Das würde ungefähr zehn Millionen Euro kosten. Und wenn man dagegen die Schäden von 2002 setzt, in dem Bereich Elster, Listerfehrda, 19,5 Millionen Euro Schaden. Und in etwa der gleichen Höhe erwarten wir den Schaden 2013. Dann weiß man, dass sich der Betrag schon nach wenigen Jahren rentiert hätte."

    Selbst bei staatlichen Stellen setzt jetzt ein Umdenken ein. Dass den Flüssen in Zukunft mehr Raum gegeben werden muss, scheint mittlerweile unbestritten. Theoretisch. Praktisch sieht es anders aus. Denn obwohl die "Internationale Kommission zum Schutz der Elbe" in Bezug auf den Hochwasserschutz 35.000 Hektar Überschwemmungsflächen allein für Sachsen-Anhalt empfiehlt, wurden in den letzten zehn Jahren 140 Hektar realisiert. Die seien eben kein Allheilmittel, kontert Burkhard Hennig vom sachsen-anhaltinischen Landesbetrieb für Hochwasserschutz.

    "Wir setzen eher darauf, dass man die steuerbaren Flutpolder errichtet. Damit konnten wir jetzt 40 Zentimeter Wasserstand absenken. Indem wir praktisch den Scheitel der Elbe zwischengestapelt haben, in diesem Polder. Und jeder Zentimeter hilft."

    Größter Widerstand gegen Deichrückverlegungen, aber auch beim Bau von Flutpoldern, kommt von den Landwirten, die ungern ihre fruchtbaren Ackerböden im Schwemmland der Flüsse aufgeben. Auch die flussnahen Kommunen stehen der Renaturierung skeptisch gegenüber, weil sie in den früheren Überschwemmungsflächen vielerorts Gewerbegebiete ausgewiesen haben, auf die Kommunen ungern verzichten, da sie Geld einbringen. Fazit: Man hat etwas aus der Flut 2002 gelernt. Die Informationen über Hochwasserlagen und Evakuierungen werden heute im Internet - schon allein durch soziale Netzwerke - besser gestreut als noch vor elf Jahren. Auch die Deiche wurden verstärkt. Dennoch: Ein nachhaltiger Hochwasserschutz wurde damit keinesfalls erreicht. Stattdessen verschränkt man sich auf den technischen Hochwasserschutz, anstatt auf den ökologischen Umbau zu setzen. Wichtig ist daher ein länderübergreifendes wirksames Krisen- und Hochwassermanagement. Ansonsten werden wir den Kampf Mensch und Sandsack, gegen Wasser und Welle ewig führen. Versprochen.



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