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Unvergessliche Konzerte der Salzburger Festspiele

Wie die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth, gehören auch die Salzburger Festspiele zu den Brennpunkten der internationalen Musikszene. Das Münchner Label Orfeo hat dem traditionsreichen Musikfestival eine eigene CD-Edition gewidmet, die mittlerweile mehr als 200 Veröffentlichungen umfasst.

Am Mikrofon: Norbert Hornig | 09.10.2011
    Es ist ein Glück, dass künstlerische Glanzleistungen, die in den vergangenen Jahrzehnten auf diesem Podium geboten wurden, in derart sorgfältig edierten Live-Aufnahmen des österreichischen Rundfunks einem großen Hörerkreis zugänglich gemacht werden. Denn exemplarisch wird hier deutlich, dass historische Aufnahmen gewissermaßen das Gedächtnis der neueren Musikgeschichte sind. Ohne Kenntnis dieser wertvollen Tondokumente sind Entwicklungen und künstlerische Leistungen im aktuellen Musikbetrieb kaum richtig zu einzuschätzen.

    Für diesen Herbst hat Orfeo wieder ein ganzes Bündel mit Live-Mitschnitten von den Salzburger Festspielen geschnürt, drei herausragende Konzerte aus den 60er-Jahren stehen im Mittelpunkt der heutigen Sendung. Am 17. August 1960 waren die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Joseph Keilberth im Großen Festspielhaus zu Gast, auf dem Programm stand unter anderem Bruckners neunte Sinfonie:

    Anton Bruckner
    Aus: Sinfonie Nr. 9
    2. Satz: Scherzo (Ausschnitt)
    CD 2 Track 02
    Berliner Philharmoniker
    Leitung: Joseph Keilberth
    LC 08175 Orfeo 2 CD C 838 112 B

    Klangvoll und majestätisch stellte Josef Keilberth 1960 mit den Berliner Philharmonikern das Scherzo aus Bruckners neunter Sinfonie in den Raum des Großen Festspielhauses.
    Für das Salzburger Publikum war Keilberth kein Unbekannter. Schon 1957 hatte ihn der gerade neu bestellte Festspieldirektor Herbert von Karajan nach Salzburg eingeladen. Insgesamt 17 Mal trat Keilberth in den folgenden fünf Jahren bei den Salzburger Festspielen auf, vor allem als Operndirigent.

    Die Aufführung der Oper "Arabella" von Richard Strauss unter seiner Leitung schrieb Operngeschichte. Die Inszenierung wurde sofort von der Wiener Staatsoper übernommen und galt über Jahre hinweg als modellhafte Strauss-Interpretation.

    Die Berliner Philharmoniker dirigierte Keilberth in Salzburg nur ein einziges Mal. Außer der Ouvertüre zu Rosamunde von Franz Schubert und Bruckners neunter Sinfonie stand in diesem denkwürdigen Konzert vom August 1960 auch das Violinkonzert von Alban Berg auf dem Programm. Solist war der erst 27-jährige französische Geiger Christian Ferras, der zu diesem Zeitpunkt bereits den Sprung in die internationale Karriere geschafft hatte. Das Berg-Violinkonzert gehörte zu Ferras Favoriten, sein Spiel steigerte sich zu beklemmender Intensität:

    Alban Berg
    Aus: Violinkonzert
    2. Teil (Allegro - Adagio)(Ausschnitt)
    CD 1 Track 3
    Christian Ferras (Violine)
    Berliner Philharmoniker
    Leitung: Joseph Keilberth
    LC 08175 Orfeo 2 CD C 838 112 B

    Der Auftritt des jungen Christian Ferras im Violinkonzert von Alban Berg bei den Salzburger Festspielen 1960 fand große Beachtung. Die Kritik bescheinigte ihm, das er den "immens schwierigen Solopart geistig, technisch und musikalisch" beherrschte. Doch zwischen den Zeilen war auch eine gewisse Reserviertheit herauszulesen: "Berlin nahm von Österreich Besitz" hieß es da, dass "Österreichische Musik von einem Berliner Orchester unter einem Münchener Dirigenten und einem französischen Geiger" gespielt wurde, damit hatte man im konservativen Salzburg Anfang der 60er-Jahre scheinbar noch Probleme.

    Eine Adresse, die auch an den neu bestellten Festspieldirektor, Herbert von Karajan, gerichtet war. Karajan setzte durch, dass neben dem Hausorchester der Festspiele, den Wiener Philharmonikern, in Salzburg zukünftig auch andere Spitzenorchester auftreten konnten, einschließlich der Berliner Philharmoniker, deren Chefdirigent er war.

    Diese Öffnung nach außen bereicherte die Salzburger Festspiele ungemein. Sie machte auch den Weg frei für ein anderes deutsches Spitzenorchester: die Staatskapelle Dresden. Unter der Leitung von Franz Konwitschny gab sie im August 1961 ihr Salzburger Festspieldebüt. Zum Auftakt erklang Beethovens vierte Sinfonie, als Solist kam dann der junge Friedrich Gulda auf die Bühne des Großen Festspielhauses und begeisterte in Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV 488.

    Wolfgang Amadeus Mozart
    Aus: Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 488
    3. Satz (Allegro assai)
    CD 1 Track 7
    Friedrich Gulda (Klavier)
    Staatkapelle Dresden
    Leitung: Franz Konwitschny
    LC 08175 Orfeo 2 CD C 839 112 B

    Dem Salzburger Debüt der Staatskapelle Dresden folgte in den Feuilletons eine erstaunlich widersprüchliche Resonanz, bei der auch Friedrich Gulda nicht ungeschoren bleiben konnte. Man gestand ihm zwar höchste "technische Vollendung" zu, die "letzte Vertiefung" sei er Mozarts A-Dur-Konzert jedoch schuldig geblieben, bemerkte der Rezensent des "Salzburger Tagblattes". Das Orchester kam besonders schlecht weg in der Wiener Zeitung "Die Presse". Da stand Erstaunliches zu lesen:

    "Die Dresdner Staatskapelle, die sich nun mit unseren Philharmonikern in den Festspielaufgaben teilt, hatte keinen sehr glücklichen Start. Mit Franz Konwitschny an der Spitze kam ein Konzert von durchschnittlicher Güte zustande, dem besondere Vorzüge kaum nachzusagen sind."

    Der Kritiker des "Wiener Kurier" schien dagegen ein anderes Konzert gehört zu haben. Er berichtet von Wunderdingen:

    "Den beherrschenden Abschluss des schönen Abends bildete Straussens "Domestica", die Konwitschny mit weit ausholenden Steigerungen prächtig entfaltete. Die Schilderung der häuslichen Streitigkeiten wurde überaus dicht und reich. Einzigartig, wie diese feudalen Musiker zu dem befriedigenden Schluss aushalten und wie sie diesen dann verklärt ins Licht hoben. Der Applaus war enorm - Herbert von Karajan fiel vor Begeisterung fast aus der Loge."

    Richard Strauss
    Sinfonia Domestica
    (Ausschnitt)
    CD 2 Track
    Staatkapelle Dresden
    Leitung: Franz Konwitschny
    LC 08175 Orfeo 2 CD C 839 112 B

    Der Schluss der "Sinfonia Domestica" von Richard Strauss, wurde in ihrer ganzen Klangpracht dargestellt von der Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Franz Konwitschny bei den Salzburger Festspielen 1961.

    Von funkelnder Brillanz geprägt war auch das Solistendebüt des Pianisten Van Cliburn bei den Salzburger Festspielen im August 1964. Der junge US-Amerikaner war nach seinem sensationellen Sieg beim Tschaikowsky-Wettbewerb 1958 in eine internationale Karriere durchgestartet. Nur ein einziges Mal kam er nach Salzburg, hinterließ aber mit seinem Auftritt im Mozarteum einen nachhaltigen Eindruck.

    Nicht nur seine stupende Technik und gestalterische Eigenwilligkeit sorgten für Aufsehen, sondern auch sein gewichtiges Programm, zu dem neben zwei Klavierstücken von Johannes Brahms, Beethovens "Appassionata" und Chopins dritter Klaviersonate auch die Klaviersonate op. 26 von Samuel Barber gehörte. Die Reaktionen auf das Konzert waren jedoch äußerst gespalten. Van Cliburn beeindruckte das Publikum, das ihn euphorisch feierte, weit mehr als die Kritik. Die bemerkte unter anderem:

    "Van Cliburn hält die halsbrecherischen Tempi durch und klopft nur ein einziges Mal daneben - damit man merkt, hier ist keine Maschine, sondern doch noch ein Mensch am Werk. Davon abgesehen aber begibt es sich, dass der Pianist aus der neuen Welt Brahms, Beethoven und Chopin plötzlich mit dem in unseren Breiten nicht mehr glaubhaften Sentiment füllt, das gewiss in ihren Werken zu finden ist - freilich stets um eine Spur zu glänzend, zu poliert, zu intensiv für europäische Ohren."

    Die Ohren der Zuhörer im Salzburger Mozarteum schienen jedoch an diesem 3. August 1964 Van Cliburns Klavierspiel ein wenig anders wahrzunehmen.

    Ludwig van Beethoven
    Aus: Klaviersonate Nr. 23 f-Moll "Appassionata"
    3. Satz (Allegro ma non troppo - Presto)(Ausschnitt)
    Track 05
    Van Cliburn (Klavier)
    LC 08175 Orfeo 2 CD C 81 111 B

    Das war "Die Neue Platte im Deutschlandfunk", heute mit Veröffentlichungen aus dem Bereich "Historische Aufnahmen". Ausgewählt haben wir drei Konzertmitschnitte von den Salzburger Festspielen aus den 60ern, die in der Reihe "Festspieldokumente" bei Orfeo erschienen sind.