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Unwetterwarnungen
"Im schlimmsten Fall zehn Minuten im Voraus"

Meteorologen können sehen, ob sich Unwetter verstärken oder abschwächen, sagt Clemens Simmer, Professor für Experimentelle Meteorologie an der Uni Bonn. Die darauf basierenden Vorhersagen können aber unter Umständen dann nur sehr kurzfristig herausgegeben werden.

Clemens Simmer im Gespräch mit Arndt Reuning | 08.06.2016
    Das Foto zeigt die schrägliegende Windhose, die aus dem Himmel über einem Parkplatz herausragt
    Eine Windhose, möglicherweise ein Tornado, ist am 07.06.2016 über Hamburg im Stadtteil Bramfeld zu sehen. (dpa / Monika Zucker)
    Arndt Reuning: Hat sich das Frühwarnsystem in Deutschland bewährt?
    Clemens Simmer: Das kann ich so nicht sagen. Ich weiß nicht, ob die Leute sich zu spät gewarnt fühlen. Die Möglichkeiten der Warnung gibt es. Der Deutsche Wetterdienst hat eine Warnapp, die finde ich sehr gut. Die zeigt, wo was los ist. Das wird kurzfristig aktualisiert. Wenn jemand das weiß und sich diese Information holt und ist etwas gebildet, was passieren kann bei solchen extremen Niederschlägen, dann hilft so etwas.
    Reuning: Sie sprechen das Vorwissen der Bürger an. Welche Personengruppen sollten ihrer Ansicht nach überhaupt eine Warnung erhalten? Nur die Feuerwehr oder die Polizei oder die gesamte Bevölkerung?
    Simmer: Das kommt immer darauf an in welchem Maß. Das Problem ist hierbei immer ein bisschen: Man könnte vor vielen Dingen warnen. Aber wenn man vor allem Möglichen warnt, gibt es viele Fehlalarme. Dann ist die Frage, ob es viel nutzt, wenn man die Bevölkerung immer wieder warnt, "Da kann was passieren". Wie jetzt in den letzten Tagen gibt es auch sicherlich Gegenden wo nichts passiert ist. An einigen Bächen gab es die katastrophalen Niederschläge und an einigen eben nicht. Nur warnen müsste man wohl, wie der DWD das wohl auch tut, für die ganze Gegend.
    Reuning: Wie genau lassen sich solche Sturzfluten, wie wir sie in den vergangenen Tagen erlebt haben denn überhaupt zeitlich und räumlich vorher sagen?
    Simmer: Auch Räumlich kommt das auf die Zeitskala an. Sie können das nicht zwei bis drei Stunden vorher vorhersagen. Das ist ganz, ganz schwierig. Es sei denn, es handelt sich um einer außergewöhnlich großes System. Das hatten wir hier nicht gehabt. Es handelte sich um ganz viele kleine Systeme. Diese haben eine Lebensdauer von einer halben Stunde bis zu zwei Stunden und das wäre schon lang. Die Entstehung dieser Systeme vorhersagen, das geht nicht. Das ist wie in Zufallsprozess. Das sie hier oder dort entstehen.
    Das heißt also: Wir können etwas darüber Aussagen, wenn ein System bereits sichtbar ist. Wir können sehen wohin es zieht, wir haben eine Idee ob es sich verstärkt oder abschwächt. Darauf basierend kann man dann eine Vorhersage machen. Die kann aber unter Umständen sehr kurzfristig sein. Im schlimmsten Fall zehn Minuten im Voraus, wie wir das beispielsweise vor der Haustür in Wachtberg am Samstag hatten. Dieses System hat sich sehr, sehr schnell entwickelt. Hat dann das ganze Tal ausgefüllt. Der Regen fiel nur in dieses Einzugsgebiet. Dass eine Zelle sich so entwickelt und so den Niederschlag generiert, dass es zu Sturzfluten kommt, kann man nur als Wahrscheinlichkeit formulieren. Aber niemals als Vorhersage: "Das kommt jetzt."
    Reuning: Kann man das System aus ihrer Sicht noch verbessern?
    Simmer: Ja. Was wir jetzt als Warnung bekommen sind letztlich Warnungen vor Wetter. Wir bekommen aber nicht die Meldung, dass der Boden entsprechend nass ist. Oder dass der Niederschlag in bestimmten Einzugsbereichen, wenn er dort fällt, zu katastrophalen Schäden führt. Das erfordert detaillierte Modellierungen. Man könnte zum Beispiel für ganz Deutschland diese kleinen Einzugsgebiete, die Sturzflutträchtig sind, die kennt man schon, dafür könnte man im Berechnungen machen über das Gefährdungspotential in Abhängigkeit vom Niederschlag der fällt und über welche Zeit. Damit könnte man Gefahrengebiete identifizieren für die man ganz gezielt warnen könnte, falls eine solche Situation noch einmal kommt.
    Reuning: Hätte man in den Gebieten in denen die Schäden entstanden sind nicht mit den Überflutungen rechnen müssen? Allein aus der historischen Erfahrung heraus. Gab es dort nicht bereits früher solche Ereignisse.
    Simmer: Natürlich. In Wachtberg haben wir vor ein paar Jahren schon ein Ereignis gehabt. Da hat es sogar noch mehr geregnet. Aber der Regen fiel ein bisschen anders und dieser Regen hat auch zu ordentlichen Schäden geführt. Das hat dazu geführt, dass Rückhaltebecken gebaut worden sind. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass nach drei Jahren in dem selben Einzugsgebiet so ein Unwetter zu bekommt ist vernachlässigbar. Das ist einfach Zufall.
    Reuning: Solche Extremwetterereignisse, sind die in den vergangenen Jahren häufiger Aufgetreten oder fühlt sich das nur so an?
    Simmer: Das fühlt sich eigentlich immer nur so an. Die Situation die wir jetzt hatten war gewissermaßen außergewöhnlich. In dieser Art wie wir das jetzt hatten, das liegt schon etwas länger zurück. Wir hatten über mehrere Tage immer wieder Niederschlag, das war ja überall. Der Boden war dadurch sehr nass. Und wenn das dann anhält, dann ist jedes Gewitter ein Impakt. In dieser Art war das ein außergewöhnliches Ereignis. Aber das gilt für jedes Wetterereignis. Sie sind so vielfältig, dass sie nie aus der Erfahrung heraus sagen können "Ja jetzt kommt das und das und ich erwarte für Wachtberg oder fürs Rheinland eine solche Situation." Das Wetter ist zu variabel dafür.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.