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"Unzufriedenheit ist sehr groß" unter den Iren

Die Iren haben verstanden, dass sie den Fiskalpakt nicht alleine blockieren können, sagt Derek Scally Korrespondent der "Irish Times". Der Frust sei groß in der Bevölkerung, aber die Regierung habe vermitteln können, dass es ohne den Fiskalpakt keine Finanzierung für Irland gebe.

Derek Scally im Gespräch mit Sandra Schulz | 31.05.2012
    Sandra Schulz: Mit ihrem Nein haben die Iren Europa schon des Öfteren ins Stocken gebracht. Nein hat eine knappe Mehrheit im Referendum über den Vertrag von Nizza gesagt. Anfang des Jahrtausends war das, da ging es um die EU-Erweiterung. Und Nein hieß es aus Irland dann noch einmal vor vier Jahren zum Vertrag von Lissabon, mit dem sich Europa nach der gescheiterten Verfassung eine neue organisatorische Grundlage geben wollte. Beides wurde um lange Monate verzögert. Heute schaut Europa darum wieder nach Irland, wegen des Referendums über ein weiteres europäisches Großprojekt: den Fiskalpakt. Zwar sind die Vorzeichen dieses Mal andere, Irland kann den Fiskalpakt nicht im Alleingang blockieren, aber als Testfall für die europäische Finanzpolitik gilt die Abstimmung natürlich trotzdem. – Frage an den Kollegen Derek Scally, er arbeitet in Berlin als Korrespondent der "Irish Times": Die jüngsten Umfragen prognostizieren jetzt knapp eine Zustimmung. Gibt es da noch eine Überraschung?

    Derek Scally: Nein – guten Morgen, Frau Schulz – ich glaube nicht. Die Iren, ich glaube, sie wissen jetzt, es ist alles anders als bei anderen Volksabstimmungen. Das Ja-Lager hat einen Zehn-Prozent-Vorsprung, aber es gibt immer noch die Unentschiedenen. Jeder fünfte Wähler war bei unserer letzten Umfrage bei "Irish Times" unentschieden. Und wie sie sich entscheiden könnte alles beeinflussen und natürlich die Wahlbeteiligung. Aber noch mal: Ich glaube, dieser Punkt ist wirklich sehr gut bei den Iren angekommen, wir können nichts aufhalten, und zweitens, wir sind immer noch von Finanzhilfen von unseren Nachbarn abhängig. Frau Merkels Verknüpfung zwischen einem Ja zum Fiskalvertrag und der künftigen Finanzierung der Bailout-Fonds, ich glaube, diese Botschaft ist in Irland sehr gut angekommen.

    Schulz: Sie meinen, ein Nein hieße für Irland was?

    Scally: Bei den Iren gibt es natürlich die Befürchtung, solange wir 13 Milliarden Euro mehr Geld ausgeben pro Jahr, als wir einnehmen, trotz aller Sparbemühungen in den letzten zwei Jahren, wir sind natürlich auf die Großzügigkeit unserer Nachbarn angewiesen. Und ein Nein zum Fiskalvertrag heißt ganz klar aus europäischen Kreisen, bedeutet eine Sperre zum ESM-Fonds, wenn das im Juli so weit sein wird. Das bedeutet, dass die Iren nicht einfach so weiter von der Großzügigkeit ihrer Nachbarn leben können.

    Schulz: Es war bei Referenten in Europa ja schon häufig so, dass die Abstimmungen eigentlich eine Entscheidung über die Innenpolitik des jeweiligen Landes waren. Jetzt hat es nach Ausbruch der Krise in Irland schon einen Regierungswechsel gegeben. Wie groß ist denn die Unzufriedenheit mit der Sparpolitik?

    Scally: Die Unzufriedenheit ist sehr groß. Aber dieses Mal haben wir das Gefühl, dass die Leute wissen, dass es gezielt um was anderes geht, also um was Langfristiges. Das kann man durchaus als Erfolg der Bundeskanzlerin sehen. Die Regierung hat den Leuten gesagt, schaut mal, es geht um langfristige Regeln, um zu verhindern, dass so was wieder vorkommt. Vorgestern gab es in unserer Zeitung einen Redaktionsbrief von einer Frau, die gesagt hat, lustig, die Männer brauchen einen Vertrag, um einen ausgeglichenen Haushalt zu bringen, wir Hausfrauen haben das seit Jahren gewusst. Und ich dachte hoppla, die schwäbische Hausfrau ist jetzt nach Irland gezogen und kauft die "Irish Times". – Das ist schon angekommen, dass es hier um was Längerfristiges geht, also eine Verhinderung, dass irgendwie so was wiederholt wird. Das Problem ist, viele Leute wissen, mit diesem Fiskalvertrag wird nicht gerade viel für die Gegenwart gemacht, aber die Regierung hat anscheinend diesen Frust, den man in Frankreich und vor allem in Griechenland sieht, halbwegs unter Kontrolle gehalten und gesagt, sie dürfen durchaus mit der geballten Faust abstimmen, aber sie müssen mit Ja abstimmen, sonst gibt es keine Finanzierung für Irland in den kommenden Jahren.

    Schulz: Trotzdem hat die Partei Sinn Fein, die ja lange Zeit der politische Arm der IRA war, mit ihrer Werbung für ein Nein im Referendum auch ganz erheblichen Zulauf gehabt in den letzten Wochen. Tun sich die Iren schwer mit Europa?

    Scally: Das könnte man sagen. Ich sage, die Beziehung wird jetzt für viele Iren neu verhandelt, also Europa ist nicht mehr ganz so positiv besetzt wie in den letzten Jahren. Was die Wirkungen sein werden, werden wir erst in den kommenden Jahren sehen. Aber wie Sie zurecht sagen: Sinn Fein, das ist eine kleine Revolution für Irland. Sie haben ihre Beliebtheit seit der Wahl 2011 verdoppelt. Jeder vierte würde für Sinn Fein abstimmen, wenn es morgen eine Wahl gäbe. Also das ist schon relativ revolutionär. Gerry Adams, der Chef von der Partei, die früher der politische Flügel der IRA war, ist ein Punkt vor Enda Kenny. Also es könnte durchaus so kommen, dass wir Kräfte im Spiel sehen wie in Griechenland, aber im Moment ist die Stimmung relativ kontrolliert und ich glaube, die Regierung hat zunächst einmal eine relativ konzentrierte Kampagne, sie sind wirklich fokussiert auf den Vertrag. Es gab nicht Streit über Abtreibung oder Körperschaftssteuer, die Regierung hat einfach gesagt, es geht um neue Regeln für den Euro und es geht um finanzielle Sicherheit, wir wollen nicht die Finanzmärkte abschrecken, weil wir nächstes Jahr wieder auf eigenen Füßen stehen wollen, wir wollen wieder finanzieren, und wenn die Finanzmärkte sehen, dass wir Nein zu diesen Regeln sagen, dann werden sie abgeschreckt abspringen und wir werden keine Staatsanleihen verkaufen können.

    Schulz: Derek Scally, Korrespondent der "Irish Times" in Berlin und heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen.

    Scally: Danke.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.