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Uraufführung am Schauspielhaus Düsseldorf
Licht und Schatten der Modewelt

Elfriede Jelinek ist meist die erste, die dem Theater Gegenwartsphänomen wie Terrorismus, Banken- und Flüchtlingskrise nahebringt. In "Das Licht im Kasten" beschreibt die Literatur-Nobelpreisträgerin die Zumutungen, Glücksgefühle und Sehnsüchte der Mode. In der Inszenierung in Düsseldorf geht es aber auch um den Tod Jelineks.

Von Dorothea Marcus | 15.01.2017
    epa05583485 (FILE) A file picture dated 07 October 2004 shows Austrian novelist and playwright Elfriede Jelinek facing the media at her house in Vienna, Austria. Jelinek will celebrate her 70th birthday on 20 October 2016. EPA/ROLAND SCHLAGER *** Local Caption *** 00290064 |
    Die Literatur-Nobelpreisträgerin bringt immer wieder Gegenwartsthemen auf die Theaterbühne. (APA / EPA FILE)
    Mode treibt jeden an. Sie verrät die soziale Klasse, ist eine Verheißung von Schönheit und Veränderung. Zugleich terrorisiert sie mit Diktaten, Gesetzen und Idealen, denen niemand je genügen kann. Und sie verdeckt nur mit Mühe den unvermeidlich lauernden Tod des Körpers darunter. Diese Gedanken variiert Elfriede Jelinek in ihrem neuen Text "Das Licht im Kasten".
    "Diese Jacke wäre lieber bei jemand anderem. Mit dieser Jacke haben Sie sich geirrt. Sie glauben, diese Jacke könnte Sie dem Abgrund des Nichtseins entreißen? Träumen Sie weiter!" (Szene aus dem Theaterstück)
    Im Düsseldorfer Schauspielhaus arbeiten sich sechs Schauspielerinnen an dem Fließtext von 90 Seiten ab, in verschiedenen Altersklassen, in Chören und Dialogen, später kommt noch ein kleines Mädchen hinzu. Denn dem Diktat der Kleidungswahl sind wir in allen Lebensaltern ausgeliefert.
    Zu Beginn stolpern sechs perfekt gekleidete Frauen mit Taschenlampen, Pumps und Trenchcoats durch wüstes Unterholz und schlagen sich dabei mit Selfie-Sticks fast tot. Auch in der vermeintlichen Natur muss eben immer auf künstliche Außenwirkung geachtet werden. Das, was auf der Bühne von Marie Roth anfangs wirkt wie ein hyperrealer, wilder Wald mit riesigen Plüschtieren, erweist sich dann aber bald doch nur als Vorgarten.
    Kein Entkommen vor dem Modeterror
    Hinter einem Vorhang erscheint ein kühler Designer-Bungalow mit Loft-Fenstern, wo sie sich alsbald auf Designer-Sofas räkeln, mit Designer-Löcherpullis strangulieren, in Kartons vom Modelieferservice vergraben. Zwar kündet der Untertitel des Stücks "Straße? Stadt? Nicht mit mir!" an, dass der einzige modelose Ort das eigene Zuhause ist. Doch in Wirklichkeit gibt es den Rückzug vor dem Modeterror nicht mehr, seitdem es Online-Versandfirmen gibt.
    "Alles was ist, endet. Alles was gekommen ist, das kann auch wieder gehen. Diese fünf Parkas hier, die gehen alle zurück. Die passen zwar doch die Kapuze ist einfach zu groß! Die wollten ja selbst nie hier hin. Die sind ja selbst in die Irre gegangen. Und das müsst ihr ja noch nicht mal selber zu tun. Gebt euch zurück!" (Szene aus dem Theaterstück)
    Und dann wieder defilieren die Schauspielerinnen vor der Bühne und räsonieren über arme Textilarbeiterinnen aus Bangladesch – und enthüllen dabei glitzernde Kleider mit Che-Guevara-Köpfen. Oder allerlei Ethnokitsch-Zitate in den schönen Kleidern. Denn immer werden an diesem Abend zwar auch die Opfer von Modeindustrie, Wegwerfgesellschaft und Globalisierung erwähnt – aber eigentlich nur, um sie zynisch als Leerstelle auszustellen. Als das, was man eben täglich so ausblendet, um der Selbsterhöhung durch Bekleidung hinterherzujagen – um sie dann doch als pseudoauthentische Inspiration zu nutzen.
    Immer wieder werden im Text auch Kants und Heideggers Denken über das Nichts und den Tod thematisiert. Regisseur Jan-Philipp Gloger lässt sie als barocken Tennisspieler und grünen Waldschrat durchs Bühnenbild hüpfen.Und natürlich sind alle Frauen auch Klone von Jelinek selbst, mit Zöpfen, Toupierungen und Kopien ihrer japanischen Outfits. Das ist stellenweise sehr lustig und selbstironisch.
    Ein tiefer Einblick ins Jelinek-Universum
    Letztlich ist "Das Licht im Kasten" jedoch auch ein zutiefst autobiografischer Text, der sich mit dem Selbst-Verschwinden, der Einsamkeit und letztlich - dem Tod der Autorin beschäftigt.
    Im letzten Teil erscheint die Schauspielerin Manuela Alphons als Jelinek und spricht einen gebrochenen Trauermonolog vor einer schwarz-flimmernden Wand. Sie erweist sich als Buchstaben-Meer, das immer mehr heran gezoomt wird, so lange, bis es ins Leere entwischt. Allen kurvenden, kalauernden, tiefschürfenden Sprachannäherungen an die Wirklichkeit zum Trotz – am Ende bleiben Mode und eben auch das Schreiben ein Bekleidungsversuch des Nichts.
    "Ich gehe in die Leere. Wenn schon mein Sein zum Tode hineilt, dann soll dieser Anzug wirklich notwendig sein. Und zwar all der Stoff. Wäre er notwendig mein Sein zu verbergen, nicht zu entbergen? Das sind die Bezüge zu meiner Welt jetzt. Da ich bald sterben werde. Der Tod findet einen immer - auch wenn man sich gerade ganz neu eingekleidet hat und glaubt, jetzt erkennt er einen nicht mehr." (Szene aus dem Theaterstück)
    Am Schauspiel Düsseldorf ist ein kluger, kurzweiliger und glänzend gespielter Abend gelungen, der bildlich tief ins gedankliche Jelinek-Universum surft.