Donnerstag, 18. April 2024

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Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden
Schimmelpfennigs Odyssee fragwürdig inszeniert

Der deutsche Dramatiker Roland Schimmelpfennig hat Homers berühmte Irrfahrten des Odysseus ins Heute übersetzt. Entstanden ist ein Stück über Sinnsuche auf dem Meer, aber auch über Flüchtlinge, Entfremdung und Heimat. Am Staatsschauspiel Dresden wurde das Werk uraufgeführt.

Von Eberhard Spreng | 18.09.2018
    Ein Mosaik am Flughafen der tunesischen Insel Djerba mit einer Darstellung der Irrfahrt des Odysseus
    Die Irrfahrt des Odysseus dargestellt auf einem Mosaik (imago / UIG)
    Die Odyssee, das ist die Erfindung eines Lehrers. Penelope, die einsame Gattin des Odysseus, hat sich diesen Lehrer als Liebhaber genommen. Der erzählt ihr nach dem Beischlaf in seinem Kleinwagen oben in den Bergen, fernab der Stadt, Geschichten ihres verschollenen Mannes. Diesen Zugang zum Epos wählt Roland Schimmelpfennig in seiner Überschreibung des Sagenstoffs. Und wie auch das antike Original ein aus unterschiedlichen Erzählperspektiven, Rückblenden und Einschüben komplex zusammengesetztes Gefüge ist, so ist auch bei Schimmelpfennig jeder Erzählstrang, jede Einstellung, jede Meinung immer nur eine mögliche Variante.
    Figuren treten in dem achtköpfigen Ensemble immer nur sporadisch in Erscheinung, indem die Akteurinnen und Akteure aus der Erzählerrolle aus- und in eine kurz skizzierte Figurenrolle eintreten.
    "Die vierte Möglichkeit, die Penelope erwägt, ist, dass ihr Mann nicht nach Hause kommen will. Von allen möglichen Erklärungen erscheint Penelope diese Erklärung als die wahrscheinlichste. Er will nicht zurückkommen."
    Welterkundung im offenen Würfel
    Roland Schimmelpfennig hat die Odyssee bis zur Formelhaftigkeit verdichtet. Uraufführungsregisseur Tilmann Köhler inszeniert dies im weitgehend abstrakten Dekor seines Bühnenbildners Karoly Risz: Das sind holzgetäfelte Grund- und Seitenflächen eines offenen Würfels. Dieser abgeschlossene Spieltrichter soll also trotz seiner klaustrophobischen Anmutung zum Raum für Welterkundungen werden. Der Regisseur vertraut auf nichts als die Gabe der Sprache, Bilder und Geschichten in der Phantasie des Zuschauers hervor zu rufen, erspielt wird dabei eigentlich nichts.
    Das mag noch gelingen, wenn es um die Rahmenhandlung geht, nicht mehr aber, wenn Ungeheuer, Nymphen, Zyklopen oder ähnliche Märchengestalten ins Spiel kommen. Dann wird viel gebrüllt und gekreischt, ohne dass sich dadurch das Ungeheure herbeirufen ließe, Rollenkoffer werden - rums !! - gegen die Holzwand gefeuert. Später laufen die Akteure aufgeregt mit diesen zeitgenössischen Plastikscheußlichkeit auf der Bühne umher. Es soll um den Verlust der Heimat gehen, den die jetzt schon seit mehr als einem Jahrzehnt im Trojanischen Krieg eingesetzten Männer um den Städtezerstörer Odysseus erleiden.
    "Die Heimat - was ist das?" "Die Vergangenheit." "Die Familie." "Die Zukunft." "Und viele konnten sich nach all den Jahren im Krieg nicht mehr an das erinnern, was Heimat für sie einmal war und sein könnte." "In einer Zeit der Ortlosigkeit, da muss der Begriff Heimat neu erfunden werden."
    Soldat wird zum Flüchtling
    Im Kern steht die Figur des abendländischen Soldaten, der im Zuge der Kriegshandlung selbst zum heimatlosen Flüchtling wird. Er weiß nicht mehr, was Heimat ist, und fordert zunächst einmal ein Grundrecht ein auf Land unter den Füßen, ein Land, das nicht aus Asche ist. Roland Schimmelpfennig will das antike Epos in die nachaufgeklärte Gegenwart und, nun ja, auch ins Tagesaktuelle übersetzen.
    Da ist etwa von gesellschaftsfremden Zyklopen die Rede, die von den griechischen Eindringlingen sagen, dass diese "mit bösen Absichten" und "unter falschem Namen" gekommen und "Einbrecher, Diebe, Mörder" seien. Pegida also. Und da gibt es die Geschichte von Aelos, dem Herrscher über die Winde. Die tragen mit sich alle Nachrichten der Welt, aber plötzlich fangen sie an, sich zu widersprechen, sich gegenseitig als Lügner zu bezeichnen und in den Köpfen der Zuschauer ein heilloses Durcheinander anzurichten. Das Postfaktische also.
    Odysseus als rachsüchtiger Warlord
    Was aber dieser aufs Konzeptuelle zusammengeschnurrten Odyssee-Überschreibung fehlt, ist eine narrative Sinnlichkeit. Und so sieht man tatsächlich auf der Bühne keine imaginäre Geschichte, sondern verzweifelte Regieideen, von denen die spektakulärste die Öffnung des Raums ist, und drei an Seilen hängende Akteure in der freien Bühnenluft, während von der Morgenröte Eos die Rede ist, der ewigen Verheißung auf immer neue Abenteuer.
    Odysseus hingegen ist hier einmal kein listiger Abenteurer, sondern ein abgehalfterter, rachsüchtiger Warlord. Und auch vom im Programmheft angesprochenen Odysseus des Theodor W. Adorno, dem Urbild des bürgerlichen Geschäftsmannes, will diese Aufführung nichts wissen. "Schmerz, Blut" sind die ersten Worte des Textes. Am Ende hat Odysseus alle Männer ermordet, die seine Penelope umgarnten und zuletzt auch den Geschichten erfindenden Lehrer. Jetzt bleibt nur noch die Morgenröte, und die flüstert von "Glück" und "Aufbruch", aber für wen denn?

    Fürs Zeitalter ohne den Menschen? Ein schwieriger Text, der nach der fragwürdigen Uraufführung eine zweite Chance verdient hat.