Dienstag, 19. März 2024

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Uraufführung der Oper "Die Weiden"
Dieser Weihnachtskarpfen schmeckt vergiftet

Ins Herz Europas führt die neue Oper von Johannes Maria Staud. Und dort, im Herzen, sieht es zunehmend unwirtlich aus. Der österreichische Komponist hat gemeinsam mit dem Lyriker Durs Grünbein ein politisch-aktuelles Werk geschaffen, das von Regisseurin Andrea Moses mit großem Aufwand in Szene gesetzt wurde.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Kathrin Hondl | 09.12.2018
    Männer mit Karpfenmäulern zielen mit Gewehren auf einen Mann.
    Gefährliche Karpfen in der Oper "Die Weiden" von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein (Wiener Staatsoper / Michael Poehn)
    Düster fängt alles an, dunkel endet es. Mit viel grummeligen Schlagwerkklängen, knisternd atmosphärischer Elektronik und oft kantigen, harten Orchestermomenten arbeitet Johannes Maria Staud in seiner rund zweieinhalbstündigen neuen Oper "Die Weiden". Die erdigen Grundfarben der Partitur stehen für eine insgesamt schwermütige bis bedrohliche Stimmung, für das Innenleben zweier Paare, die allerlei gegenwärtige und erinnerte Konflikte zu lösen haben.
    In mehreren Stationen an einem großen Fluss spielt das Ganze, da treiben Vergangenheitsbilder vorbei, trifft man auf seltsame Gesellschaften mit rechtslastig-hetzerischen Ansichten und Karpfenmäulern, bis die Hauptprotagonistin Lea, exzellent gesungen von Rachel Frenkel, sich einem Chor ihrer Ahnen gegenübersieht und mit diesen sanft entschwindet.
    Inszenierung für Hirn und Herz
    Der schon öfters als Librettist für Staud tätige Durs Grünbein interessiert sich ebenso fürs große Ganze wie fürs kleine Private und packt sehr viel - letztlich zu viel - zusammen. Staud wiederum schöpft aus einem eher begrenzten Material und setzt auf häufige Wiederholungen. Völlig ungebrochen zitiert wird Richard Wagner, und zwar als Gegenpol zum Guten, Wahren, Staud'schen. Böse Menschen bewegen sich immer wieder zu tollen Tanzrhythmen, auch hier gibt es reichlich Redundanz. Da waren frühere Stücke von Staud und Grünbein in ihrer Kürze doch konziser.
    Regisseurin Andrea Moses betreibt großen Aufwand, manchmal eher kulinarisch, dann wieder kraftvoll verstörend sind die Bilder am, im oder jenseits des Flusses. Zeitweise wird beinahe episches Theater geboten, etwa die Bühne als Bühne gezeigt oder eine Ebene von Künstlichkeit hineingeschoben. Dadurch folgt man dem Geschehen sehr gern, Hirn und Herz bekommen gleichermaßen zu tun.
    Andrea Carroll als Kitty schneidet die Hochzeitstorte an, ihr Mann Edgar (Thomas Ebenstein) und die Gäste schauen aufmerksam zu.
    Andrea Carroll als Kitty schneidet die Hochzeitstorte an - ihr Mann Edgar (Thomas Ebenstein, r.) und die Gäste schauen begeistert zu (Wiener Staatsoper)
    Besetzt ist die Uraufführung durchweg gut, etwa mit Thomas Ebenstein und Andrea Carroll als Edgar und Kitty, die sich in ihrer Ehe wohl ein bisschen langweilen und sie durchaus gern erweitern. Udo Samel gibt in einer Sprechpartie den Wutbürger Krachmeyer, der Name ist Programm.
    Freundliche Publikumsreaktionen
    Ingo Metzmacher behält am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper die Fäden elegant in der Hand, wobei dieser Dirigent ansonsten komplexere Partituren gewohnt ist. Immerhin muss er sich um ein vor allem beim Schlagzeug äußerst üppiges Instrumentarium kümmern. Toll ist die Live-Elektronik vom SWR-Experimentalstudio, da gibt es viel zu kreieren und durch die Lautsprecher zu schicken.
    Die Publikumsreaktionen waren freundlich, fürs Chefduo gemischt. Auf jeden Fall zu begrüßen ist, dass das Wiener Opernhaus am Ring in Bälde weitere Auftragswerke herausbringt. Olga Neuwirth wird sich etwa Virginia Woolfs "Orlando" widmen, Premiere ist in einem Jahr.