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Urbane Mobilität
Volocopter will Taxi-Drohne serienreif machen

Am Samstag hob ein Lufttaxi erstmals mitten in einer deutschen Großstadt ab. Bei dem Testflug blieben die zwei Sitze des Prototypen der Firma Volocopter leer. Doch Technik-Chef Jan-Hendrik Boelens erklärte im Dlf, man habe auch schon viele bemannte Flüge gemacht und arbeite nun auf die Zertifizierung hin.

Jan-Hendrik Boelens im Gespräch mit Ralf Krauter | 16.09.2019
Exklusiv vor dem Mercedes-Benz Museum in Stuttgart: Erster erfolgreicher urbaner Flug des Volocopter in Europa.
Exklusiv vor dem Mercedes-Benz Museum in Stuttgart: Erster erfolgreicher urbaner Flug des Volocopter in Europa. (MediaPortal Daimler AG)
Ralf Krauter: Vor dem Mercedes-Museum in Stuttgart hat am Samstag der Prototyp eines elektrischen Flugtaxis abgehoben und über den Köpfen von 12000 Zuschauern vier Minuten seine Runden gedreht. Die Taxi Drohne des Startup-Unternehmens Volocopter aus Bruchsal, an dem auch Daimler-Benz beteiligt ist, ist ein Multikopter, unter dessen Rotoren eine zweisitzige Kabine hängt. Die blieb am Samstag zwar leer - das Fluggerät wurde von einem Piloten am Boden ferngesteuert. Aber wenn es nach dem Willen von Volocopter und seinen Investoren geht, soll eine Weiterentwicklung dieses Flugtaxis in drei Jahren serienreif und offiziell für den Personentransport zugelassen sein. Jan-Hendrik Boelens ist der Chief Technology Officer der Firma. Ich habe ihn vor zwanzig Minuten gefragt wie leistungsfähig der Volocopter aktuell ist.
Jan-Hendrik Boelens: Also der Volocopter fliegt mittlerweile täglich. Wir fliegen den bemannt, wir fliegen den ferngesteuert, wir fliegen den auch automatisch. Also das Produkt ist tatsächlich sehr gut ausgereift mittlerweile. Es handelt sich zurzeit noch um ein Vorserienmodell. Das heißt, wir arbeiten gerade noch an der nächsten Iteration, wo es sich dann um das Serienmodell handeln wird. Aber tatsächlich haben wir heute schon ein sehr reifes Produkt, was wir auch in Stuttgart unter Beweis gestellt haben.
Krauter: Wie weit kann er fliegen und wie viel Gewicht kann er mit an Bord nehmen?
Boelens: Der Volocopter, den wir auf den Markt bringen werden, kann bis zu 35 Kilometer weit fliegen und kann auch 200 Kilogramm Nutzlast mitnehmen. Unser Vorserienmodell ganz das noch nicht ganz, aber genau daran arbeiten wir jetzt, das noch zu optimieren.
Krauter: 35 Kilometer - das klingt jetzt für so ein künftiges Lufttaxi gar nicht nach so einer irrsinnig großen Reichweite. Für welche Einsatzfelder wäre sowas spannend? Welche Märkte haben sie im Visier?
Boelens: Genau das ist das Schöne, dass wir das auch gar nicht brauchen, die ganz große Reichweite. Da unterscheidet sich ein Flugtaxi dann doch tatsächlich vom Elektrofahrzeug.
Optimiert für Taxi-Flüge innerhalb von Großstädten
Wir haben herausgefunden, dass wir für die meisten Städte der Welt mit 35 Kilometern Reichweite den Großteil der Innenstadt abdecken können. Und das ist genau, wofür der Volocopter konzipiert wurde: für innerstädtische Flüge, also Taxiflüge praktisch, von einem Ort in der Stadt zu einem anderen Ort in der Stadt. Und da kommen wir mit 35 Kilometern tatsächlich an den meisten Orten in den Innenstädten der Welt hin.
Krauter: Jetzt habe ich gelesen Sie könnten mit diesem Fluggerät ungefähr 100 Stundenkilometer schnell fliegen, also relativ flott sein. Aber der Nachteil bleibt ja: Sie müssen dann nach der Landung, wenn Sie 30 Kilometer geflogen sind, erstmal Nachtanken - und das dauert ja dann bis der Akku wieder voll ist, oder?
Boelens: Genau, deswegen haben wir uns da etwas Besseres überlegt Wir tauschen die Akkus nach dem Flug relativ zügig. Das machen wir auch heute bereits, weil auch wir der Meinung sind, dass das Aufladen wie bei einem Elektroauto an der Ladesäule viel zu lange dauert. Und soviel Platz wird es auch gar nicht geben in den Innenstädten. Deswegen streben wir an, nach der Landung die Akkus zu tauschen und dann auch schon innerhalb von wenigen Minuten wieder in der Luft zu sein - damit wir eben diese begrenzten Landeplätze, die es dann in der Stadt geben wird, nicht allzu lange besetzen.
Über 1000 Testflüge wurden bereits absolviert
Krauter: Wie viele bemannte Testflüge hat es denn schon gegeben? In Deutschland sind Sie ja bisher nicht bemannt geflogen, weil sie es nicht dürfen, wenn ich es recht weiß?
Boelens: Das stimmt nicht ganz. Insgesamt haben wir über tausend Flüge absolviert. Das heißt, wir fliegen sehr sehr viel mit dem Gerät und haben deswegen auch ein sehr hohes Vertrauen in die Technik gewonnen. Bemannte Flüge führen wir auch und vor allem auch in Deutschland durch. Wir haben vor kurzem in Helsinki diesen bemannten Flug gezeigt. Aber auch bei uns vor Ort in Bruchsal führen wir regelmäßig bemannte Flüge durch. Wir haben ja auch eine sehr gute Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden, die uns aufgrund der Reife des Produkts und der Organisation auch die Lizenzen für bemannte Flüge ausstellen.
Krauter: Nun wollen Sie das Gerät ja serienreif machen. In zwei bis drei Jahren soll es so weit sein. Was bereitet Ihnen im Lichte der erforderlichen Zertifizierung gerade am meisten Kopfzerbrechen? Was ist technisch am Herausforderndsten?
Boelens: Erstaunlich wenig. Das ist genau das, womit wir uns die letzten zwei Jahre eigentlich beschäftigt haben, wo wir auch sehr intensiv mit den Behörden und vor allem auch den europäischen Behörden wie der EASA zusammengearbeitet haben, um genau zu identifizieren, wo sich eine Marktzulassung von so einem elektrischen vertikal startenden Flugzeug unterscheidet von einem herkömmlichen Flugzeug. Das heißt, die Baustellen, die da zu adressieren sind, kennen wir bereits. Dafür haben wir bereits Lösungen. Das heißt, für uns ist es hauptsächlich eine Sache der Umsetzung zurzeit.
Das Flugtaxi aus Bruchsal wird weltweit vermarktet
Außerdem setzen wir uns damit auseinander, wie wir das jetzt auf die internationalen Märkte projizieren. Weil natürlich wollen wir das Gerät nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa vertreiben, sondern auch weltweit. Dafür bedarf es natürlich auch weltweiter Standards für solche Fluggeräte.
Krauter: Nun weiß man ja dass Hubschrauber - und letztlich ist es ja eine Art Hubschrauber - nicht so ganz leise sind, wenn die starten und landen. Was gerade in Städten öfter auch für Probleme sorgt, zum Beispiel in der Nähe von Krankenhäusern, wo sich Anwohner belästigt fühlen. Wie ist das beim Volocopter: Lönnte die Lärmbelastung bei Start und Landung ein Show-Stopper sein?
Boelens: Nein, das wird kein Show-Stopper sein. Das ist genau eines der Unterscheidungsmerkmale vom Volocopter im Vergleich mit anderen Helikoptern und Flugzeugen, dass wir extrem leise sind im Vergleich zu anderen Flugzeugen. Ich denke die 12500 Menschen, die in Stuttgart vor Ort waren, haben das auch persönlich wahrnehmen können, wie leise der Volocopter ist. Das war auch eines der Ziele der Flüge in Stuttgart, auch wirklich mal dieses subjektiven Faktoren darstellen zu können.
"Wir sind dreimal leiser als ein Hubschrauber"
Objektiv gemessen ist der Volocopter extrem leise mit 65 Dezibel auf 75 Meter Abstand. Wir sind grob gesagt dreimal leiser in der Landephase wie ein typischer Hubschrauber. Dazu kommt auch, dass der Geräuschpegel an sich auch viel weniger störend ist, subjektiv für die Menschen am Boden wie von einem Hubschrauber. Also wir gehen davon aus, dass man in den Großstädten der Welt, wo es sowieso einen relativ hohen Lärmpegel gibt, den Volocopter kaum hören kann am Boden.
Krauter: Lärm sei also im Prinzip kein Problem, sagen Sie. Wie sieht's aus mit der Nachhaltigkeit? Jetzt wird ja viel darüber diskutiert, die urbane Mobilität nachhaltiger, effizienter, energiesparender zu machen. Wie passt das Abheben da ins Konzept, weil meistens wäre es ja effizienter am Boden zu bleiben?
Boelens: Natürlich wird Fliegen mehr Energie verbrauchen wie am Boden zu bleiben. Das kann man glaube ich nicht bestreiten. Im Vergleich mit anderen Fluggeräten ist der Volocopter ziemlich effizient. Natürlich muss man immer auch den genauen Kontext anschauen. Also wenn auf einer bestimmten Route eine effiziente Bahnverbindung vorhanden ist oder eine effiziente Taxiverbindung am Boden, wo es keinen Stau gibt, ist in dem Fall dieses Verkehrsmittel zu bevorzugen. In anderen Fällen, wo es keine effiziente Verbindung gibt oder man einfach viel zu viel Zeit im Stau verbringt, kann der Volocopter eine sehr attraktive Alternative sein. Ich glaube, das muss man auch hervorheben: Der Volocopter wird nicht alle Taxis am Boden ersetzen und erst recht keine Züge. Sondern wir bieten letztendlich ein ergänzendes Verkehrsmittel, mit dem sich viel Zeit sparen lässt. Und sind dabei auch lokal emissionsfrei: Es ist ein rein elektrisch angetriebenes Flugzeug. Das heißt wir tragen jetzt auch nicht zur Feinstaubbelastung oder CO2-Erzeugung in den Innenstädten der Welt bei.