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Urheberschutz und freies Internet

Die massiven Proteste der Internetgemeinde gegen zwei Gesetzesvorhaben in den USA stellen die Frage nach einem freien Internet neu. Die Schriftstellerin Juli Zeh plädiert seit langem für größtmögliche Freiheit im Netz. Das Urheberrecht müsse dabei nicht auf der Strecke bleiben.

Juli Zeh im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 18.01.2012
    Stefan Koldehoff: Wikipedia USA: schwarz. Dafür wütende Nachrichten bei Twitter: Wie soll ich denn jetzt meine Hausaufgaben machen? Google USA: mit Hinweis auf eine Protest-Petition. Wordpress.com: mit zahlreichen schwarzen Zensur-Balken. Das Internet protestiert – gegen zwei Gesetze, die in den USA heftig diskutiert werden und jede Art von Urheberrechtsverletzungen und –piraterie verhindern sollen. Mit Abschaltungen und drakonischen Strafen, selbst für Teenies, die bei Youtube nur mal eben ein Lied nachsingen. Hinter diesen geplanten Gesetzen steht vor allem die US-Filmindustrie, die ihre Rechte verletzt und ihre Einkünfte gefährdet sieht, und sie setzt das US-Parlament unter Druck. Wann das ganze im weltweiten Netz auch für Deutschland gilt, ist dann nur eine Frage der Zeit. - Die Schriftstellerin Juli Zeh plädiert seit langem für größtmögliche Freiheit im Internet. Das ist ein hohes Gut – das Urheberrecht allerdings auch. Wie entscheidet man da, habe ich sie gefragt?

    Juli Zeh: Ja, das ist natürlich keine einfache Entscheidung, weil man die vor allem nicht einseitig zu Gunsten der einen oder anderen Seite treffen kann. Man wird versuchen müssen, einen Kompromiss zu finden, und was wir da gerade beobachten, das sind genau gewissermaßen die Geburtswehen beim Erzeugen eines solchen Kompromisses. Und wenn halt ein solches Protestgeschrei losbricht, wenn so wichtige Seiten wie Wikipedia und Google so weit gehen zu sagen, wir blockieren jetzt unsere Homepages als Protestaktion, dann kann man doch ganz deutlich sehen, dass da vielleicht zu weit gegangen wurde – einseitig in eine Richtung, nämlich in die Richtung der Interessen von Urheberrechtsinhabern, die die eben gerne ungestört verwerten wollen.

    Koldehoff: …, die in diesem Fall vertreten werden, diese Interessen, vor allen Dingen von den großen Filmfirmen und Filmstudios in den USA. Von da ist offenbar auch Druck auf die US-Regierung ausgeübt worden, oder zumindest aufs Parlament. Können Sie verstehen, dass man nicht gerne Filme, die noch in den Kinos sind, weil man Geld damit verdienen möchte, auch frei im Internet zugänglich finden möchte?

    Zeh: Also die Interessenten, die hinter dieser Gesetzgebung stehen, sind tatsächlich riesige Verwertungsindustrien. Der Begriff Urheberrecht suggeriert ja immer so ein bisschen, als ginge es da vor allem auch um den Schutz des einzelnen kleinen Autors oder Sängers oder Regisseurs, der quasi um seine künstlerische Existenzgrundlage gebracht wird. Das ist nicht der Fall, sondern wir reden hier tatsächlich um Kämpfe zwischen Industrien, die ganz klar gewinnmaximierend arbeiten und die es eben genau wie die Musikindustrie auch in einem großen Maße lange Zeit versäumt haben, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie vielleicht einfach auch ihre eigenen Arbeitsweisen anpassen müssen, und die jetzt eben tatsächlich, wie Sie sagen, massiven Druck auf die Regierung ausüben – und das in einem Ausmaß, wo ich wirklich sagen muss, für meinen Geschmack geht das zu weit. Es kann ein Wirtschaftszweig nicht erwarten, dass nach einer großen technologischen Revolution seine Finanzinteressen jetzt einseitig von der Politik geschützt werden.

    Koldehoff: Wo macht man den Schnitt? Müsste man dasselbe dann nicht auch für Buchautorinnen wie Sie fordern, dass die das eigentlich nicht mehr erwarten können, dass ihre Rechte noch geschützt bleiben?

    Zeh: Das Interessante ist ja, dass das Internet und die dortigen Pirateriemöglichkeiten auf die einzelnen Urheber, die kleinen Urheber gar nicht diese massiven Auswirkungen hat. Wir wissen nicht, ob das sich in Zukunft noch ändern wird, aber es sind vor allem tatsächlich Interessen von Leuten betroffen, die kommerziell Massenprodukte unters Volk bringen und eben auch Produkte erzeugen, zu denen der einzelne Nutzer keine besonders starke persönliche Verbindung mehr aufbaut. Ich sage es jetzt mal ganz polemisch: Es ist Trash. Es ist Popkultur, wo sich der User eben sagt, ach, da gebe ich doch jetzt keine 20 Euro für eine CD aus oder für eine DVD, das lade ich mir einfach mal ruckizucki im Internet runter, weil das eben auch inhaltlich und von der gesamten Präsentation her überhaupt keine Qualität hat, die es rechtfertigt, einen bestimmten Preis dafür zu bezahlen.

    Koldehoff: Heißt das, dass der Kompromiss, den Sie zu Anfang angesprochen haben, auch in die Richtung gehen müsste, dass irgendjemand irgendwann mal wird definieren müssen, was ist schützenswert, was ist es nicht, wo ist der Unterschied zwischen Lady Gaga und Kate Bush oder zwischen Paulo Coelho und Juli Zeh?

    Zeh: Ich glaube, das können wir nicht machen. Wenn wir das versuchen wollten, dann hätten wir auch wieder eine Art von Zensur am Werke, die dann eben nicht so sehr generell die Verbreitungsmöglichkeiten im Internet zensiert, sondern die versucht, zwischen Qualitäten von Kunst- oder Kulturprodukten zu unterscheiden. Das kann kein Weg sein. Das Problem an den jetzigen Gesetzgebungen, die da geplant sind in den USA, besteht vor allem eben darin, dass die auf äußerst wackligen Füßen stehen, wenn man sich mal anguckt, was da verlangt wird. Da soll eine Möglichkeit geschaffen werden, komplette Websites im Grunde vom Netz zu nehmen, aufgrund von behaupteten Verdachtsmomenten. Es ist nun aber ja normalerweise im Strafrecht so, dass erst eine Verletzung tatsächlich festgestellt werden muss – also es muss auch ein Gerichtsverfahren durchgeführt werden, wo dann ganz klar ist, es hat diese Verletzung gegeben –, und dann kann man darüber nachdenken, welche Konsequenzen man ableitet. Und ich würde selber sagen: Wenn es im großen Stil Websites gibt, die im Internet ausschließlich dem Zweck dienen, auf kriminelle Weise Produkte zu verbreiten, dass es Gründe dafür geben kann, die vom Netz zu nehmen. Nur da muss erst das Gerichtsverfahren kommen, und zwar ein ordentliches Gerichtsverfahren. Es kann nicht sein, dass auf eine kleine Beschwerde von Warner Brothers auf einmal – ich sage es jetzt mal ein bisschen polemisch – Facebook vom Netz genommen wird, weil irgendein User eine Szene aus einem Film im Kino abgefilmt und in sein Facebook-Profil eingestellt hat. Wenn wir über Kompromisse reden, müssen es sinnvolle sein. Das kann nicht so funktionieren, wie die das jetzt vorschlagen.

    Koldehoff: …, sagt die Schriftstellerin Juli Zeh aus Anlass der heutigen Protestaktionen gegen neue geplante Internet-Gesetze.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.