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Urlaubszeit
"Massiver Anstieg von Fluggast-Beschwerden"

Flugpläne seien extrem eng getaktet, sagte Klaus Müller vom Verbraucherzentrale-Bundesverband im Dlf. "Wenn irgendwo in Europa ein Problem entsteht, dann hat das wie Dominosteine Auswirkungen." Derzeit hätten vor allem Eurowings und die Lufthansa-Gruppe erhebliche organisatorische Probleme.

Klaus Müller im Gespräch mit Martin Zagatta | 14.07.2018
    Flugreisende stehen im Terminal 1 des Flughafens von Frankfurt am Main vor Lufthansa Check-in-Terminals. Der Streik hat die Airline zur Absage von rund 876 Flügen gezwungen.
    Start in die Sommerferien: "Flugpläne sind extrem eng getaktet, wenn irgendwo in Europa ein Problem entsteht, dann hat das wie Dominosteine Auswirkungen", so Verbraucherschützer Klaus Müller. (pa/dpa/A.Dedert)
    Martin Zagatta: Heute beziehungsweise gestern mit dem letzten Schultag haben jetzt auch in Nordrhein-Westfalen im bevölkerungsreichsten Bundesland die Sommerferien begonnen mit den absehbaren Folgen: Lange Staus auf den Autobahnen, die Bahn ist auch nur bedingt eine Alternative angesichts der Klagen über die vielen Verspätungen. Die meisten Beschwerden kommen jetzt allerdings von Flugreisenden: Verspätungen, Flüge werden verschoben oder ganz annulliert, an deutschen Flughäfen herrscht Chaos, und die genervten Kunden klagen insbesondere über die Lufthansa und ihre Tochter Eurowings. Die Fluggesellschaften verweisen auf Lotsenstreiks, auf Engpässe bei der Flugsicherung und immer häufigere Gewitter, räumen zumindest, wenn man das anzweifelt, aber auch eigene Probleme ein. Woran liegt das und besteht Handlungsbedarf vielleicht auch der Politik? Das kann kaum jemand so gut beurteilen wie Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes. Guten Morgen, Herr Müller!
    Klaus Müller: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    "Der ein oder andere hat sich sicherlich übernommen"
    Zagatta: Herr Müller, woher kommt denn dieses Chaos derzeit an den deutschen Flughäfen, und ist das jetzt zu Ferienbeginn besonders schlimm?
    Müller: Also wir beobachten tatsächlich einen massiven Anstieg von Beschwerden, und der ein oder andere wird das aus dem eigenen Bekannten- oder Freundeskreis leider mit Erzählungen untermauern können. Es hat sicherlich etwas mit den Ereignissen rund um Air Berlin beziehungsweise dem Drängen danach der Fluglinien, möglichst schnell alle sogenannten Slots und die Maschinen zu übernehmen. Und wir hören auch aus der Branche, da hat sich auch der ein oder andere Namhafte sicherlich übernommen an der Stelle. Dazu kommen aber weitere Probleme: Die Frage, wie sind die Sicherheitskontrollen an Flughäfen organisiert - ein großes, leidiges Thema -, und leider auch der Hang vieler Air Lines beziehungsweise Fluglinien, Fluggastrechte eben nur verzögert auszuzahlen. Und das ist schlicht ein Unding innerhalb der Branche.
    "Vor allem Eurowings und die Lufthansa-Gruppe im Visier"
    Zagatta: Also stimmt der Eindruck, dass diese Beschwerden sich hauptsächlich gegen die Lufthansa-Tochter Eurowings und auch die Lufthansa richten, also stärker als gegen andere Fluglinien, ist das so?
    Müller: Also erstens, wir erleben die natürlich auch bei Verspätungen von anderen Fluglinien. Wir hatten jetzt eine ganze Reihe von Streiks, zum Beispiel in Frankreich, was dort für viel Verdruss gesorgt hat. Die Flugpläne sind extrem eng getaktet, das heißt, wenn irgendwo in Europa ein Problem entsteht, dann hat das wie Dominosteine Auswirkungen. Richtig ist, zurzeit sind aber vor allem Eurowings und die Lufthansa-Gruppe im Visier, weil die tatsächlich womöglich erhebliche organisatorische Probleme haben. Und da sind jetzt Entschuldigungen zwar ganz nett und freundlich, es hilft mir aber nichts, wenn tatsächlich in der schönsten Jahreszeit, das heißt rund um meine Urlaubsreisen, ich abgesagt bekomme die Flüge, wenn ich warten muss, wenn sie überbucht werden, und das ist natürlich schon ein Fehler im System.
    "Kunde muss König sein"
    Zagatta: Wenn Sie da die Übernahme von Air Berlin und die damit verbundenen Probleme angesprochen haben, da würde ich als Laie ja zumindest sagen, das war absehbar, und dann biete ich zumindest für eine Übergangszeit nicht Flüge an, die ich nicht gewährleisten kann. Sehe ich das so falsch?
    Müller: Nein, das ist genau der gesunde Menschenverstand, und das wäre auch das, was man mit dem Prinzip, der Kunde muss König sein, genauso verstehen würde, vor allem wenn mir einfach schöne Stunden verkauft werden. Mir wird ja nicht irgendwie etwas Anstrengendes, Mühevolles offeriert, sondern nein, es geht darum, dass ich in den Urlaub geflogen werde oder zu meinen Kindern oder zu mir nach Hause an der Stelle. Und insofern stehen hier die Flugreisen in der ganz besonderen Pflicht, nicht fahrlässig mit dieser Situation umzugehen.
    Kommerzielle Portale helfen bei Streit mit der Airline
    Zagatta: Was machen denn jetzt die genervten Kunden? Es gibt da eine Schlichtungsstelle, die man anrufen kann, und es gibt Wege über Privatfirmen, recht einfach sogar im Internet, Firmen, die sich dann um die Entschädigungen kümmern. Wozu raten Sie?
    Müller: Genau. Also erst mal ist es gut, genau zu wissen, wie meine Rechte sind, und da kann ich mich bei Verbraucherzentralen, im Internet, bei der EU sehr, sehr gut informieren, wenn es drum geht, einfach zu wissen, ich bin nicht schutzlos. Ich werde mich zwar ärgern, wenn so eine Situation kommt, aber in Euro und Cent kann mir tatsächlich auch eine Entschädigung zustehen an der Stelle. Und dann habe ich tatsächlich drei Möglichkeiten: Wenn ich hartnäckig bin, kann ich das selber bei einer Fluglinie durchsetzen, erfahrungsgemäß brauche ich dafür aber viel Zeit und viel Geduld. Ich habe die Möglichkeit, die Schlichtungsstelle anzurufen, zumal wenn es sich um Flugreisen - Pauschalreisen ist leider noch etwas anders -, aber wenn es um Flugreisen geht, dann kann ich die Schlichtungsstelle "söp" kontaktieren, die hilft mir tatsächlich kostenlos. Das heißt, wenn mir 100 Prozent zustehen, bekomme ich am Ende auch 100 Prozent ausgezahlt. Und ich habe eine dritte Möglichkeit, die haben Sie auch gerade erwähnt, es gibt eine Reihe von kommerziellen Portalen im Internet, die nehmen allerdings eine Gebühr, das können 20, 25 Prozent, teilweise 30 Prozent sein, die können aber teilweise sehr, sehr schnell ausgezahlt werden, wenn ich womöglich auf das Geld sehr, sehr schnell angewiesen bin.
    "Nationale Regelung nur in Deutschland würde wahrscheinlich überhaupt nicht helfen"
    Zagatta: Aber wenn mir durch diese Verspätungen und Annullierungen aber der Urlaub so verdorben wird, dann sind Entschädigungen ja nur so ein Trostpflaster. Müssen wir irgendetwas ändern, da ruft man ja schnell nach der Regierung, gibt es da irgendwelche Möglichkeiten einzuwirken?
    Müller: Also natürlich kann die Regierung dafür sorgen, dass die Fluggastrechte-Richtlinie, die europäisch geregelt ist - also die Rechte, die wir heute haben, verdanken wir hier auch Europa -, und man muss deutlich sagen, eine nationale Regelung nur in Deutschland würde wahrscheinlich überhaupt nicht helfen und greifen an der Stelle. Trotzdem kann sich die Bundesregierung dafür einsetzen, diese Regelung zu verschärfen, verbraucherfreundlicher zu machen, weil dann natürlich für die Fluglinien der Anreiz entsteht, hier sorgfältiger zu planen. Es gibt einen Spezialfall, wenn wir noch mal auf Air Berlin zurückblicken, dann hatte das ja was mit dem Insolvenzrisiko zu tun. Leider gehen immer häufiger auch Fluglinien pleite, wir haben hier bisher keine verpflichtende Insolvenzabsicherung. Das wäre etwas, was die Politik tun kann, und sie kann natürlich im Bereich des Pauschalreiserechtes auch für eine Schlichtungsstelle sorgen. Hier sperrt sich leider bisher die Branche, das ist nicht erfreulich.
    "Reisen sind nicht zum Nulltarif zu haben"
    Zagatta: Die Branche, die weist ja darauf hin, es gibt zu viele Streiks im Moment, Bodenpersonal, Sicherheitspersonal, auch Piloten oder Kabinenpersonal, das haben wir ja auch erlebt in der Vergangenheit. Da gibt es jetzt auch den Vorschlag, das Streikrecht von Spezialgewerkschaften in diesen Bereichen der Verkehrsinfrastruktur, also von Beschäftigten, die aufgrund ihrer Tätigkeit da ein ziemlich hohes Erpressungspotenzial haben, das einzuschränken. Würde das was bringen, stimmen Sie dem zu?
    Müller: Das ist natürlich eine hoch heikle Frage …
    Zagatta: Deswegen stelle ich sie.
    Müller: Vollkommen klar - weil hier natürlich gerne die Arbeitgeberseite sich vielleicht auch Unterstützung verspricht durch solche Vorschläge, wenn es drum geht, Löhne zu drücken oder einfach nicht angemessene Löhne zu bezahlen. Und ich vertraue ja letztendlich dann dem Bordpersonal, dem Piloten, aber auch den Technikern, dass sie mich sicher durch die Luft geleiten. Das ist ja schon auch ein sehr, sehr anspruchsvoller Beruf. Ich glaube, es ist richtig darauf hinzuweisen, dass Reisen nicht zum Nulltarif zu haben sind, das müssen auch Verbraucherschützer uns allen sozusagen deutlich sagen können in so einer Situation. Das heißt, das ständige Drücken der Preise, das immer engere Takten und vielleicht, wenn man hört, was manche Menschen dort verdienen, auch die müssen ja von ihrer Arbeit leben können. Ich glaube, dass Urlaub tatsächlich seinen Preis hat und dass es nicht fair und ein Teil des Problems ist, dass hier der Kostendruck einfach so immens weitergegeben wird an ganz viele. Und darunter leiden dann auch letztendlich die Fluggastreisenden.
    "Rechtzeitig am Flughafen sein, sich gut erkundigen"
    Zagatta: Und was raten Sie denen, die jetzt noch Urlaub buchen, die demnächst fliegen wollen? Eurowings beziehungsweise Lufthansa meiden?
    Müller: Nein, das kann man, glaube ich, nicht sagen, weil es einen großen Teil eben auch von funktionierenden Flügen gibt. Also wir sehen natürlich immer und reden natürlich immer über die Flüge, die nicht gut funktionieren, und da muss eben knallhart auch Entschädigung gezahlt werden, und das auch sofort, ohne Verzögerung. Aber es gibt auch viele Menschen, die genießen ihren Flug, zurzeit sind das eben sehr, sehr viele - auf die nordrhein-westfälischen Ferien haben Sie schon hingewiesen -, das heißt, zurzeit muss man leider auch viel Zeit mitbringen. Und es ist wichtig, damit der Fluggenuss nicht durch Flugverdruss beeinträchtigt wird, rechtzeitig am Flughafen zu sein, sich gut zu erkundigen, wann ich da bin, wann die Flüge gehen, sind sie verschoben worden. Das kann man durch Informationen über E-Mail sich auch einstellen, dass ich benachrichtigt werde an der Stelle. Und ja, dann hilft vielleicht ein bisschen Freude schon auf dem Weg zum Flughafen im Herzen mitzutragen, sich nicht zu sehr zu ärgern, aber wohl zu wissen, welche Rechte ich habe, wenn Fluglinien schlampen oder versagen.
    Zagatta: Sagt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbands. Herr Müller, Sie fliegen noch in Urlaub, Sie haben es noch vor sich?
    Müller: Da haben Sie vollkommen Recht, und ich hoffe, dass ich dieses Schicksal diesmal nicht erleide.
    Zagatta: Drücken wir Ihnen die Daumen! Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbands.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.