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Ursprung und Formen der Gewalt

Wer Angriff feindlicher Menschen überlebt, der empfindet Gewalt als etwas Negatives. Trenn die Polizei verfeindete Fußballfans, dann erscheint diese staatliche Gewalt als etwas Positives. Mit "Ursprung und Formen der Gewalt" beschäftigten sich in Heidelberg Forscher beim gleichnamigen Symposium am "Zentrum für deutschsprachige Philosophie und Kultur in St. Petersburg".

Von Cajo Kutzbach | 19.05.2011
    "Die Gewalt ist ein ewiges Phänomen, genau so wie Liebe, wie Empfinden, wie Sinnlichkeit und ich denke, dass jede Generation ihre eigene Art und Weise hat damit umzugehen. Und ich denke, wir versuchen einfach nur zu verstehen, was die Gewalt ist, weil wir genau wissen, dass wir sie nicht ausmerzen können."

    Fasst Prof. Boris Sokolov von der Universität in St. Petersburg das Problem Gewalt zusammen.

    Bei jungen Menschen oder Tieren helfen Rangkämpfe zu klären, wer welche Stellung in der Gesellschaft einnimmt. Ist das geklärt, hören die Rangeleien auf. Gewalt wirkt nicht auf alle Menschen gleich. Wie stark jemand darunter leidet hängt auch davon ab, ob er einer Naturkatastrophe ausgesetzt ist, oder anderen Menschen. Am Schlimmsten sind Menschen, denen man ausgeliefert ist, beschreibt der Medizinhistoriker und Ethiker Prof. Wolfgang Uwe Eckart von der Universität Heidelberg:
    "Typisches Beispiel dafür sind etwa die Soldaten des ersten Weltkrieges im Stellungskrieg, die vorne in vorgeschobener Position in ihren Stellungen saßen, permanent dem Artilleriefeuer ausgesetzt waren und keine Möglichkeit hatten dem natürlichen Fluchtreflex zu folgen, oder - die andere Alternative - sich gegen bedrohliche Gewalt aktiv zu wehren, das heißt also sich gewalttätig aktiv zur Wehr zu setzen."

    Die Folgen solcher Gewalterfahrung sind Traumata, seelische Verletzungen, die sich aber auch körperlich zeigen können und die unbehandelt ein Leben lang zur Plage werden:

    "Sie haben ein Gefühl der inneren Aufgewühltheit. Sie können körperlich reagieren durch typische Angstreaktionen, durch Schweißausbrüche, durch Zittern, aber auch durch sensorische Ausfälle: Manche können nicht mehr Schmecken, manche können nicht mehr Riechen, nicht mehr Hören, einige sogar nicht mehr Sehen."

    Da Flucht, oder Angriff die normalen Reaktionen auf eine Bedrohung sind, können Lebenslagen, die jemand als ausweglos empfindet, diesen Menschen selbst zum Gewalttäter werden lassen. Wolfgang Uwe Eckart:

    "Solche Fälle, in denen Menschen durch erlittene nicht körperliche Gewalt, durch seelische Gewalt, selbst zu Gewalttätern werden, dafür finden wir etwa Beispiele im Phänomen des Schoolshootings, das heißt also in den so genannten Amokläufen, die eigentlich mit den klassischen Amokläufen aus der asiatischen Tradition wenig zu tun haben."

    Dass Schüler Mitschüler und Lehrer angreifen und töten gibt es in Amerika seit 1960. In Deutschland trat das erst später auf. In den meisten Fällen hatten die Täter zuvor selbst Verletzungen erlitten. Körperliche oder seelische Gewalt, Nichtbeachtung, Diskriminierung, Mobbing, Quälereien durch Mitschülern, Ausgrenzung. Und wenn dann dieser Mensch keinen Freundeskreis hat, der ihm hilft damit fertig zu werden, können in der Einsamkeit Rachegefühle entstehen, die zur Katastrophe führen:

    "Das Beispiel Winnenden war ein solcher Fall 2009, der Amoklauf in dem Gymnasium in Erfurt war ein solcher Fall. Es gibt in der amerikanischen Trauma-Geschichte eine ganze zahlreiche Serie von solchen Beispielen..."

    ... bei denen es in den meisten Fällen warnende Anzeichen gab. Eltern, Lehrer, Schulsozialarbeiter, oder Schulpsychologen, mit genügend Zeit und Kraft, hätten vielleicht auch mehr auf die stillen, in sich zurück gezogenen Schüler achten und damit helfen können. Schulhofprügeleien, die zur Aufklärung der Vorgänge führen, können Schlimmeres verhindern, weil sie als Überdruckventil und Alarmsignal dienen.
    Körperliche und seelische Gewalt erzeugt häufig neue Gewalt. In der Ehe trifft sie meist Frauen und Kinder. Das ist auch in Russland ein großes Problem berichtet die Psychologin und Prorektorin der Petersburger Universität Larissa Zwetkova:

    "In St. Petersburg besteht seit 1992 bereits ein Zentrum zur Prävention von Gewalt gegen gegenüber Frauen und Kindern. Wir haben spezielle Programme im Rahmen des Zentrums entwickelt. In der Regel ist es der Mann, der als Gewalttäter auftritt, oder ein Verwandter."

    Frauen scheinen andere Strategien zur Bewältigung von Kränkungen und Gewalterfahrungen zu haben, denn die Täter bei den Schulamokläufen waren alle männlich. Deswegen richten sich einige Programme gegen Gewalt vor allem an Männer. Bildung und Sport können helfen Wege aus der gewaltsamen Auseinandersetzung zu finden, berichtet der emeritierte Professor für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg, Volker Lenhart:

    "Die Teilnehmer an solchen pädagogischen Programmen entwickeln eine friedlichere Einstellung, als diejenigen - in der gleichen Lage - die nicht daran teilgenommen haben."

    Bildung, als Anleitung zur Konfliktlösung, aber auch als Information über Andere, sowie Formen von Kunsttherapie sind hilfreich. Gut untersucht sind die Israelisch-Palästinensischen zweisprachigen "Hand-in-Hand-Schulen", oder eine Art Olympiade im Sudan, bei der verfeindete Stämme und Völker zusammen kamen, gemeinsam unter einem Dach lebten und mit Hilfe des Sports lernten, dass man Konflikte nach Regeln austragen kann:
    "Dass es also bei dem im Fußball auftretenden Konflikt besser ist gegen den Ball zu treten, als gegen die Beine des Gegners; sonst gibt es nämlich Elfmeter."

    Friedenspädagogik wirkt und Volker Lenhart hat deshalb eine Art Werkzeugkasten mit entwickelt, der Veranstaltern hilft die in ihrem Fall geeigneten Maßnahmen einzusetzen.
    Gewalt richtet große Schäden an, kann aber auch retten, wenn man etwa ein Kind, das über die Straße rennen will, noch rechtzeitig zurück reißt. Dass Gewalt so viele Probleme bereitet, liegt daran, dass sie Ausdruck von etwas ganz Anderem ist, meint der Philosoph und Organisator der Konferenz, der Heidelberger Prof. Heimo Hofmeister

    "Gewalt ist immer ein Zeichen der Ohnmacht und Abbruch der Kommunikation. - Die Kunst ist es das zu Vermitteln, mit jemandem ins Gespräch zu kommen, die wir unzureichend beherrschen, vielleicht auch dafür gar nicht erzogen werden."

    Die Aufstände in der arabischen Welt sind - so betrachtet - Ausdruck von Sprachlosigkeit zwischen Völkern und Herrschern.

    Auch bei uns gibt es Anzeichen der Entfremdung, der Ohnmacht, die man beachten sollte, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu treffen:

    "Für mich ist Gewalt immer eine Folge von Ohnmacht, von Sinnlosigkeit, Lebensleere. Schon der in der Schule störende Schüler übt hier in gewisser Weise Gewalt aus, um seine Unsicherheit, seine Verlassenheit zu überwinden, auf sich aufmerksam zu machen. Andererseits wissen wir, dass es diese Ohnmacht auch ist, die Terroristen dazu bringt den letzen Sinn ihres Lebens eben in ihrem Tod - mit Anderen - zu suchen."

    Jede Gesellschaft, die Mitglieder ausschließt, gefährdet diese und zugleich sich selbst.