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Urteil
EuGH kippt Preisbindung für Medikamente

Die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente verstößt gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände kritisierte das Urteil.

19.10.2016
    Die Mitarbeiterin einer Apotheke steht vor Regalen mit Medikamenten und nimmt ein Präparat aus einer Schublade.
    Eine Apothekerin bei der Arbeit. (dpa / Jan Woitas)
    Die Richter erklärten in ihrer Urteilsbegründung, die Preisbindung könne Anbietern aus anderen EU-Ländern den Zugang zum deutschen Markt erschweren. Denn gerade für Versand-Apotheker sei die Preisgestaltung ein wichtiger Faktor im Wettbewerb mit ortsansässigen Apotheken, die den Vorteil hätten, ihre Kunden individuell beraten und Arzneien sofort aushändigen zu können.
    Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Bonussystem, das die Selbsthilfe-Organisation "Deutsche Parkinson-Vereinigung" mit der niederländischen Internet-Apotheke Doc Morris ausgehandelt hatte. Die Vereinsmitglieder konnten Preisnachlässe für rezeptpflichtige Parkinson-Medikamente erhalten. Dagegen hatte die deutsche "Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs" (ZBW) vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geklagt, weil sie einen Verstoß gegen die Preisbindung sah. Das Düsseldorfer Gericht wiederum hatte den Fall an den EuGH weitergereicht.
    Ein Mann und eine Frau werden von einer Apothekerin bedient.
    Den Apotheken droht nun ein härterer Wettbewerb. (imago/Westend61)
    Mit der Preisbindung soll in Deutschland unter anderem sichergestellt werden, dass Medikamente nicht zu teuer werden und die Krankenkassenbeiträge bezahlbar bleiben. Zudem soll dadurch die Versorgung durch Apotheken auch in entlegenen Regionen gewährleistet werden.
    Der EuGH lässt diese Gründe nicht gelten: Zwar könne eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens grundsätzlich gerechtfertigt werden. Doch die Preisbindung für Medikamente sei hierfür nicht geeignet, hieß es. Auch das Argument der flächendeckenden Versorgung mit Arzneimitteln wischten die Richter vom Tisch: Es sei im Gegenteil zu erwarten, dass bei einem höheren Preiswettbewerb sich Apotheker auch in Gegenden niederließen, in denen wegen der geringeren Anzahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.
    Tabletten liegen in Tagesrationen und in Blistern sowie einer Dose auf einem Tisch.
    Medikamente dürften teurer werden. (dpa / Jens Kalaene)
    Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände sieht dies erwartungsgemäß anders. Ihr Sprecher Reiner Kern sagte, man sei entsetzt über das Urteil. Es könne nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphierten. Kern rief den deutschen Gesetzgeber auf, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu verbieten.
    Bei der Union stößt der Verband mit dieser Forderung auf offene Ohren: Deren gesundheitspolitische Sprecherin Maria Michalk erklärte, ein solches Verbot sei überlegenswert. Auch die Wettbewerbs-Zentrale sieht den Gesetzgeber gefordert: "Die Apotheken in Deutschland müssen sich an die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel halten, während ausländische Apotheken Kunden in Deutschland Rabatte gewähren dürfen", kritisierte ihr Sprecher Reiner Münker. Deshalb müssten nun gleiche Wettbewerbsbedingtungen für Apotheken im In- und Ausland geschaffen werden.
    Doch der Gesetzgeber hielt sich zunächst zurück: Das Bundesgesundheitsministerium erklärte, man prüfe das Urteil. Priorität bleibe eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung durch öffentliche Apotheken.
    Außenansicht der Filiale.
    Doc Morris freut sich über das Urteil: Hier die erste deutsche Filiale in Saarbrücken. (AP)
    Bei Doc Morris stieß das Urteil - kaum überraschend - auf Beifall. Konzernchef Olaf Heinrich erklärte, dies werde das Wachstum seines Unternehmens beflügeln. Außerdem würden bei einem Wegfall der Preisbindung chronisch kranke Menschen jährlich um mehrere hundert Euro entlastet.
    (mg/hba)