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Urteil gegen Deutschlands Naziverbrechen

Im Sommer 1944 metzelten SS-Männer im Dorf Distomo in Griechenland 218 Menschen brutal nieder. Eine Entschädigung aus Deutschland gab es nicht. Bei einer Klage der Hinterbliebenen in Griechenland bekamen sie zwar recht, aber aus diplomatischen Gründen wurden keine Maßnahmen gegen Deutschland eingeleitet. Dann suchten die Opfer den Weg über Italien, wieder mit Erfolg. Dort könnte jetzt deutscher Besitz zur Entschädigung verpfändet werden.

Von Karl Hoffmann | 09.12.2008
    "Dort unten im letzten Haus, da brachten sie neben anderen auch die kleine Anna um. Sie war die Jüngste im Dorf, grade mal eine Woche zuvor war sie getauft worden. Denken Sie mal nur: nach unseren Schätzungen, die ziemlich genau sind, wurden an diesem Tag im Jahr 1944 130 Kinder und Jugendliche umgebracht. Eher waren es mehr."

    Grausam haben die Deutschen gewütet im alliierten Italien, das zum Feindesland wurde, als es 1943 kapitulierte. Anschläge von Partisanen wurden nach dem Kriegsrecht mit barbarischer Mathematik beantwortet: zehn Hinrichtungen unter Italienern für jeden getöteten Deutschen. Erzählt Enio Mancini

    "Normalerweise hinterlässt der Krieg Witwen und Waisen. Bei uns im Dorf ist das Gegenteil geschehen: Hier sind Kinder und Frauen umgebracht worden , während viele Männer am Leben blieben."

    Die wurden zum Teil als Kriegsgefangene nach Deutschland deportiert, sie, bziehungsweise ihre Angehörigen verlangen heute ebenfalls Schadenersatz, der ihnen nach neuesten Gerichtsurteilen auch zustehen soll; doch dagegen will sich die deutsche Regierung mit einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wehren. Nicht nur, um weitere Schadenersatzforderungen zu vermeiden - schließlich hat Deutschland bereits 1961 in der Folge eines Wiedergutmachungsabkommens 40 Millionen Mark in die italienische Staatskasse gezahlt. Sondern auch, um sich das Prinzip der Staatenimmunität bestätigen zu lassen, wonach kein Staat über einen anderen richten kann. Außerdem, so die Ansicht der deutschen Regierung, habe Italien 1961 formal auf weitere Ansprüche verzichtet. Tatsächlich hält sich die Regierung in Rom bei der Frage der noch offenen Kriegsschuld Deutschlands bedeckt. Schließlich wird sie selbst in ähnlicher Sache zur Kasse gebeten. Regierungschef Silvio Berlusconi verkauft das jüngste Abkommen mit Libyen geschickt als Riesenchance für die italienische Wirtschaft:

    "Vorgesehen ist der Bau bedeutender Infrastrukturen. Libyen hat uns versprochen bei der Bauausführung vorrangig italienische Firmen zu berücksichtigen."

    Was Berlusconi elegant verschweigt: Teile dieser geplanten Baumaßnahmen, wie etwa eine Küstenautobahn von der tunesischen Ostgrenze bis nach Ägypten werden von Italien bezahlt - insgesamt 5 Mrd. Dollar in den nächsten Jahren, als Wiedergutmachung für die Jahrzehnte lange faschistische Kolonialisierung Libyens. Kaum ist an der Südfront endlich Frieden mit Libyen gemacht, gibt es aber bereits neuen Ärger um die traurige Vergangenheit im Nordosten:

    Zum Ende des 2. Weltkriegs nahmen die Tito-Partisanen Rache an in Slowenien lebenden Italienern. Zu Tausenden wurden sie in die "Foibe", das sind tiefe Karstlöcher geworfen. Italiens Rechte prangert seit jeher, auch in patriotischen Liedern, dieses Kriegsverbrechen an und fordert Sühne, vergisst dabei aber die Verbrechen, die die Italiener vorher bereits an der Bevölkerung auf dem besetzten Balkan begangen hatten. Seit die Rechten Teil der Regierungskoalition von Berlusconi sind, versuchen sie mit dem Thema "Foibe" sogar in die europäische Politik einzugreifen. Erst letzte Woche erklärte der der römische Bürgermeister Gianni Alemanno, ein ehemaliger Neofaschist, überraschend: ohne eine Anerkennung seiner Kriegsschuld könne Kroatien nicht auf die Zustimmung Italiens zur Aufnahme in die EU rechnen. Lange Schatten einer dunklen Vergangenheit.