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Urteil im Mordfall Mia
"Kandel wird instrumentalisiert für klare politische Zwecke"

Gut acht Monate nach dem gewaltsamen Tod der 15-jährigen Mia im südpfälzischen Kandel hat das Landgericht Landau am Vormittag das Urteil gesprochen. Viele Bürger hoffen, dass sich die Situation in ihrer Stadt nun beruhigt. Noch immer finden dort Demonstrationen aus dem rechten Spektrum statt.

Von Anke Petermann | 03.09.2018
    Demonstrationen in Kandel
    Demonstrationen vor dem Urteil im Prozess um die tödliche Messerattacke auf die 15-jährige Mia (Andreas Arnold/dpa)
    "Kriminelle Migranten", verantwortungslose Einwanderungspolitik und "Lügenpresse" - bis auf die "Grüße an die Patrioten aus Chemnitz" hatte die jüngste Wutbürger-Kundgebung im südpfälzischen Kandel nichts Neues zu bieten. Der Initiator des sogenannten "Frauenbündnisses" ist ein Mann aus dem Nachbarland Baden-Württemberg. Unter zehn Passanten und Ladeninhabern im Fachwerk-Zentrum von Kandel findet sich kein Sympathisant der wiederkehrenden rechtslastigen Demos. Im Gegenteil:
    - "Das normale Stadtleben ist dadurch beeinträchtigt, es wird eigentlich keine Rücksicht auf die Leute vom Ort genommen."
    - "Dieses Rechte, was eigentlich nicht rechts sein soll – die können gern da bleiben, wo sie hergekommen."
    Zusammenhalt in Kandel
    - "Die kommen sehr weit von außerhalb. Ich glaube nicht, dass es denen noch darum geht, was mit dem Mädchen passiert ist, sondern dass nur wieder ein Grund gefunden wird, dass man auf die Straße gehen kann."
    Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer von der SPD beeindruckt, dass sich Kandel nicht auseinanderdividieren lässt, sondern, "die Stadt sehr stark zusammenhält und dass es dort eine ausgeprägte Zivilgesellschaft gibt."
    Flüchtlinge sind verunsichert
    Kerstin Jordan ist eine von denen, die sich unbeirrt für die Flüchtlings-Integration einsetzen. Ob Kandel weniger gespalten ist als Chemnitz, darüber will sie nicht urteilen. Aber dafür, dass die Polarisierung von außen mit geschürt wird, bedauert sie die Chemnitzer. Ihre Erfahrung in Kandel:
    "Wir waren natürlich alle entsetzt von der Tat, aber niemand von uns hätte gedacht, dass wir uns zehn Monate später immer noch damit beschäftigen müssen, dass die Stadt einmal im Monat von den Demonstrationen aus der rechten Ecke belagert ist".
    Er mache jetzt eine Ausbildung zum Friseur, verkündet ein junger Flüchtling an diesem Nachmittag im Bistro International, einer restaurierten ehemaligen Kneipe. Dort gibt es Deutschkurse, Fahrradreparaturen und einen offenen Treff. Syrische Frauen mit Kindern unterhalten sich mit Ehrenamtlerinnen, praktizieren das erlernte Deutsch, loben die Unterstützung der Kandeler:
    "Alle helfen!"
    Dass oft nur noch zehn statt wie früher siebzig Flüchtlinge ins Bistro kommen, werten die Helferinnen als gutes Zeichen. Die meisten Neuankömmlinge haben Arbeit, die Kinder besuchen die Kitas und Schulen, die Integration ist gelungen, findet Kerstin Jordan. Anfang des Jahres waren sie alle verunsichert von Mias gewaltsamem Tod, zumal Wutbürger die Flüchtlingshilfe mitverantwortlich machten.
    "Da waren schon viele eingeschüchtert. Auch unsere Menschen, die hierher kommen, mit dieser Polizei, die zwar hier Schützer ist, kommen die nicht so klar, das erschreckt sie, viele sind ja traumatisiert. Das hat die ferngehalten."
    Hassmails und Drohungen gegen den Bürgermeister
    Seit dem Frühjahr kommen sie wieder, doch dem Verbandsgemeindebürgermeister wird unterstellt, mit seiner Unterstützung für den Flüchtlingstreff verkupple er deutsche Mädchen mit potenziellen Gewalttätern. "Poß muss weg", skandieren Demonstranten bis heute. Der Sozialdemokrat bekommt Hassmails und erhielt Todesdrohungen, auch weil er vor Fremdenhass warnt.
    "Das wirkt sich vielleicht mittelbar aus auf mein Agieren, weil man in der ganzen Situation sicherlich etwas vorsichtiger wird." Volker Poß schiebt nach. "Kandel wird instrumentalisiert für klare politische Zwecke der rechten Szene."
    Dass das mit dem Urteil im Mordfall Mia aufhört, daran zweifeln manche vom Bistro International. Winfried Metz flickt soeben ein Fahrrad. Der Rentner argwöhnt, dass ohnehin kein Strafmaß das rechte Spektrum besänftigen kann.
    "Wenn das in den Augen von den anderen nur ein paar Jährchen sind, die denken, gut - das sitzt der auf einer Arschbacke ab – und dann wird hier natürlich wieder Stimmung gemacht, ne."