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Urteil im Schulbus-Streit
Kein Anspruch auf kostenlose Schülerbeförderung

240 Euro monatlich für den täglichen Transfer der Kinder zur Schule und zurück - eine solche Summe kann Eltern schnell finanziell überfordern. Rein rechtlich gibt es dagegen zumindest in Baden-Württemberg nichts einzuwenden, hat jetzt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim entschieden.

Thomas Wagner im Gespräch mit Kate Maleike | 16.07.2019
Schüler gehen zum Bus der Linie 568 zwischen Blieskastel und Ormesheim
Viele Schüler haben lange Fahrtwege zur Schule - und in manchen Bundesländern kann das Ticket sehr teuer werden (imago / Becker und Bredel)
Kate Maleike: Bildungsföderalismus ist für viele ein hohes Gut. Die Vielfalt und die Freiheit und das Recht der Gestaltung ist vor allem den Ländern wichtig. Doch bisweilen treibt der Bildungsföderalismus auch seltsame Blüten: Für eine Familie aus Tübingen ist es zum Beispiel nicht akzeptabel, dass man in Baden-Württemberg für die Schulbeförderung durchaus bis zu 240 Euro und mehr im Monat bezahlen muss, während in anderen Bundesländern der Schulbus häufig gar nichts oder deutlich weniger kostet. Die Familie hat geklagt; unterstützt von der Initiative "Eltern für Elternrechte" - heute war der Fall vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim.
Thomas Wagner hat den Fall für uns beobachtet, das Urteil ist gefallen - Herr Wagner, wie haben die Richter denn entschieden?
Thomas Wagner: Die Richter haben entschieden, dass es keinen Rechtsanspruch gibt auf volle Erstattung der Schülerbeförderungskosten in Baden-Württemberg. Sie sagten; weder im Grundgesetz noch in der Landesverfassung Baden-Württemberg ist darauf ein Hinweis zu sehen - und sie hätten das Ganze eben unter rechtlichen Gesichtspunkten, und nicht zum Beispiel unter familienpolitischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Das aber ist die Crux; denn eigentlich haben sich die Eltern zweier Töchter, die diesen Prozess geführt haben, auf die Bildungsgerechtigkeit berufen. Und man muss sich vielleicht diesen Fall mal ein bisschen vor Augen führen: Hier ging es darum dass die Familie, um die es geht, in der Landgemeinde Waldenbuch gewohnt hat, das liegt im Landkreis Böblingen. Und die Schule, in die die beiden Töchter gegangen sind, die lag aber im Nachbarkreis Tübingen. Und so mussten sie dann ziemlich lange Strecken mit dem Schulbus unternehmen, und das hat dann pro Tochter über 117 Euro pro Monat gekostet, und das ist natürlich schon für eine Familie, die ja noch mehr Kinder hat in diesem Fall, ein ganz schön dicker Batzen.
Lange Fahrt zum Sportgymnasium
Und dann waren die Töchter auch noch besonders begabt. Und Stephan Ertle von der Initiative "Eltern für Elternrechte" hat diesen Fall nochmal geschildert:
"Die Kinder können nicht mehr auf die Schule gehen, die die Eltern für sie aussuchen und die deren Begabung entspricht. In dem Fall handelt es sich um ein Gymnasium mit Sportausrichtung. Da wird dann gesagt; das ist nicht die nächstgelegene Schule. Aber natürlich ist es die nächstgelegene Schule, nämlich die nächstgelegene Schule mit dieser Sportausrichtung. Das wäre so ähnlich, als wenn Sie sagen: Man muss das nächstgelegene berufliche Gymnasium nutzen als Schüler - und dann macht man eben nicht Technik sondern Haushaltswirtschaft."
Das ist ja ein sehr spezieller Fall, nur gibt es allgemeinere Fälle eben auch, wo die Eltern von den hohen Kosten gedrückt werden. Die Initiative Eltern für Elternrechte, die hat immerhin nach eigenen Angaben 25.000 Unterstützer in Baden-Württemberg.
Streit um die Verwendung der Landeszuschüsse
Maleike: Gibt es denn vom Land keine Zuschüsse für die Schülerbeförderung?
Wagner: Das ist ja gerade das Ding. Natürlich gibt es die Zuschüsse, und zwar erkleckliche 200 Millionen Euro pro Jahr - aber die fließen eben nicht direkt zu den Eltern, sondern die fließen zu den Landkreisen. Und spätestens jetzt wird es kompliziert: Die fließen nämlich in den allgemeinen Haushalt dieser Landkreise hinein, und die Landkreise finanzieren aus diesen allgemeinen Haushalten wieder die Schülerbeförderung. Und da gab es auch vor Gericht eine Riesenrechnerei. Die Elternvertreter sagen: Insgesamt liegen die Kosten der Schülerbeförderung bei 270 Millionen Euro, aber sie selber zahlen, wenn man alle Fahrkarten zusammen nimmt, allein schon 200 Millionen, das wären dann insgesamt 400 Millionen, die da zur Verfügung stehen. Bleiben 130 Millionen, die die Landkreise - so der Vorwurf - für alles Mögliche verwenden, zum Beispiel für den Bau von Schwimmbädern oder die Sanierung von Gebäuden und eben nicht für den ursprünglichen Zweck, für die Schülerbeförderung. Der Baden-Württembergische Landkreistag hat das zurückgewiesen und hat gesagt, eigentlich bräuchten sie noch viel mehr Geld vom Land, um die Schülerbeförderung abzudecken und die Eltern zu entlasten. Und um diese Frage, wer da welche Millionen wohin steckt - dieser Streit ist immer noch im Gange und der ist auch sehr schwer aufzudröseln, weil es da um Etatfragen jedes einzelnen Landkreises geht. Und das ist nach wie vor ungeklärt.
Bildungsungerechtigkeit im Vergleich der Bundesländer?
Maleike: Sie haben das ja eingangs gesagt: Die Eltern berufen sich bei der Klage darauf, dass es um Bildungsungerechtigkeit geht - stellt sich die Frage: Wie handhaben das andere Bundesländer?
Wagner: Deutlich besser, sagen die Elternvertreter. Beispiel Bayern: Da ist die Schülerbeförderung für die ersten zehn Klassen eigentlich kostenfrei. Das ist natürlich schon was ganz anderes, und ähnlich verfahren auch andere Bundesländer, sagt Stephan Ertle von der Initiative:
"Man merkt jetzt gerade auch unter dem Druck des Klimawandels, dass sehr viele Bundesländer versuchen, hier eine neue Lösung zu finden. Bayern macht es vorbildlich; Rheinland-Pfalz macht es vorbildlich. In Hessen ist es vorbildlich; dort hat man jetzt das Wiener Modell eingeführt, das ist ein Euro pro Tag, damit kann man in ganz Hessen zu jeder Zeit überall hinfahren, wo man möchte."
Elterninitiative will UNO-Sozialausschuss anrufen
Und diese Ungerechtigkeit ist für diese Initiative unakzeptabel, sie wird deshalb weitere Instanzen möglicherweise anrufen. Aber sie wird vor allem vor dem Sozialausschuss der UNO vorstellig werden, der eigentlich - und da hat Deutschland auch mit unterschrieben - eine Vereinbarung hat, wo die Bildungsgerechtigkeit eigentlich festgeschrieben wird. Die Bildungsgerechtigkeit, die darf nicht vom Einkommen der Eltern abhängen - und das beträfe eben, so sagt es die Elterninitiative, auch die Schülerbeförderung.
Maleike: Kurze Frage noch zum Schluss: Nun ist ja heute in Mannheim das Urteil gefallen - ist damit das letzte Wort gesprochen oder geht es da jetzt weiter im Streit?
Wagner: Die Anwälte der Elterninitiative überprüfen das sehr sorgfältig. Aber ein Ergebnis, eine Entscheidung über weitere Instanzen, die liegt noch nicht vor.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.