Freitag, 29. März 2024

Archiv

Urteil von Bamberg
Bayerisches Gericht erklärt Kinderehe für rechtmäßig

Ein Gericht in Bayern hat eine Kinderheirat für rechtmäßig erklärt – weil die Ehe in Syrien geschlossen wurde, wo Kinderehen nach islamischem Recht erlaubt sind. Aber dürfen Maßstäbe des islamischen Rechts auch für die deutsche Gesellschaft gelten? Hält damit die Scharia Einzug in deutsche Gerichte?

Susanne Schröter im Gespräch mit Benedikt Schulz | 15.06.2016
    Nach islamischem Recht ist die Kinderehe in manchen Staaten erlaubt
    Nach islamischem Recht ist die Kinderehe in manchen Staaten erlaubt (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Susanne Schröter leitet das Frankfurter Forschungsinstitut Globaler Islam. Die Ethnologin forscht unter anderem über den Wandel von Genderordnungen in der islamischen Welt und über islamischen Extremismus. Zuletzt hat sie eine Studie über strenggläubige Muslime in Deutschland vorgelegt: "Gott näher als der eigenen Halsschlagader – Fromme Muslime in Deutschland".
    Benedikt Schulz: In unterschiedlichen Ländern gelten unterschiedliche Gesetze – und manchmal geraten diese Gesetze miteinander in Konflikt. In Syrien ist es erlaubt, minderjährige Mädchen zu verheiraten, weil dort im zivilrechtlichen Bereich islamisches Recht Anwendung findet. In Deutschland ist das nicht erlaubt – aber was ist, wenn in Deutschland minderjährige Ehefrauen leben, die in Syrien verheiratet wurden? Die Frage ist aktuell, auch wegen der hohen Anzahl an Flüchtlingen, die aus Syrien nach Deutschland kommen und sie beschäftigt inzwischen auch Gerichte. Das Oberlandesgericht in Bamberg hat vor kurzem entschieden, dass das Jugendamt für eine minderjährige Syrerin nicht die Vormundschaft behalten darf, weil sie mit einem ebenfalls in Deutschland lebenden 21-jährigen Syrer verheiratet ist. Und, das ist das Entscheidende: diese in Syrien geschlossene Ehe hat das Gericht als rechtmäßig eingestuft und damit im Prinzip eine Kinderheirat rechtlich auf deutschem Boden legitimiert. Am Telefon ist jetzt Susanne Schröter, Ethnologin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Guten Morgen Frau Schröter!
    Susanne Schröter: Guten Morgen!
    Schulz: Frau Schröter, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit dem Islam, Sie sind jetzt keine Juristin. Trotzdem die Frage: Wie finden Sie ein solches Urteil?
    Schröter: Man muss zwei Ebenen unterscheiden. Das eine ist die rechtliche Ebene, zu der ich nicht sonderlich viel sagen kann. Meiner Meinung nach gibt es gute Gründe – und das ist in der Vergangenheit auch immer wieder so praktiziert worden, dass Ehen anerkannt worden sind, die in anderen Ländern rechtsgültig geschlossen worden sind, obwohl sie gegen unser Recht verstoßen. Jetzt stehen wir aber vor dem Problem, dass es nicht nur ganz seltene Ausnahmefälle sind, von denen keiner Kenntnis nimmt, sondern dass wir über die Flüchtlinge natürlich mit einem Phänomen konfrontiert sind, dass doch ein bisschen größere Relevanz hat. Und da kommt dann natürlich das Moment zum Tragen, ob diese Ehen und die im Ausland geschlossenen Werte und Normen, ob die bei uns eben Bestand haben sollen oder ob sie gegen den 'ordre public' verstoßen. Das heißt gegen die Werte und Rechtsnormen, die bei uns gelten. Und da würde ich relativ klar sagen: Ja, das tun sie. Wir können – obwohl das im Einzelfall vielleicht gute Gründe gibt, so etwas dann auch anzuerkennen, wir können grundsätzlich nicht Tür und Tor öffnen für die Anerkennung von Normen, die vielleicht in Syrien oder anderen Ländern gelten, aber bei uns auch einfach gegen die guten Sitten verstoßen.
    Schulz: Aber jetzt hat das deutsche Recht doch etwas rechtlich geadelt, was in Deutschland eigentlich verboten ist. Was hat das für Konsequenzen? Wohin wird das führen in Deutschland?
    Schröter: Ja, wenn man nicht aufpasst, werden das Präzedenzfälle und andere berufen sich darauf. Es ist ja nicht so, dass in allen Ehen die Mädchen schon 15 Jahre alt sind, wo man vielleicht noch sagen kann – naja – das ist ein Grenzfall. Ich hatte da neulich mit einem Rechtswissenschaftler eine Diskussion, der sagte: 15 – das kann man gerade noch gelten lassen – sondern wir haben ja auch Mädchen, die sind elf, die sind zwölf, die sind 13 Jahre alt. Und wo will man da die Grenze ziehen? Da denke ich, in diesem Fall müsste doch das deutsche Recht der Orientierungspunkt sein. Es ist ja auch angedacht worden, ob man nicht ohnehin das Heiratsalter auf 18 erhöht. Das halte ich eigentlich für eine gute Maßnahme. Bei uns hat ja eine Ehe, anders als in anderen Ländern etwas damit zu tun, dass junge Menschen in der Lage sind, Verantwortung für diesen Schritt zu übernehmen und sich der Tragweite dieser Eheschließung bewusst zu sein. In anderen Ländern ist das anders. Da wird man verheiratet, und die Zustimmung der jungen Leute und insbesondere der Mädchen wird gar nicht erwartet. Das sind grundsätzlich andere Voraussetzungen. Aber da müssen wir meiner Meinung nach auch unsere Rechte und unsere Ordnung verteidigen, die ja aus gutem Grunde bei uns herrscht.
    "Wir müssen uns sehr klar orientieren an den Menschen- und Frauenrechten."
    Schulz: Ja – Sie haben es angesprochen. Es ist zwar eine juristische Entscheidung, aber es geht ja eigentlich um einen kulturellen Konflikt, der hier vorliegt. Kann die deutsche Gesellschaft eine solche Entscheidung wirklich akzeptieren oder mit einer solchen Entscheidung leben?
    Schröter: Nein, kann sie nicht. Es geht um einen kulturellen Konflikt. Und wir haben jetzt natürlich eine ganze Reihe von ähnlich gelagerten kulturellen Konflikten auszutragen. Darüber müssen wir uns verständigen, wir müssen diskutieren in welche Richtung unsere Gesellschaft gehen soll. Und meiner Meinung nach müssen wir uns sehr klar orientieren an den Menschenrechten und auch an den Rechten für Frauen. Und dazu gehört eben nicht, dass man Minderjährige, die sich eben nicht der Tragweite einer solchen Entscheidung klar sein können – das sind Minderjährige -, schon heiraten lässt oder dass man zustimmt, dass sie verheiratet werden.
    Schulz: Die Richter haben jetzt erst mal zu Gunsten der Ansprüche des syrischen Ehemannes entschieden und sich nicht den Ansprüchen der minderjährigen Ehefrau gewidmet. Ist es so? Hat das Gut Rechtsschutz Vorrang vor dem Schutz vor Minderjährigen?
    Schröter: Ja, das ist – wie gesagt – eine juristische Frage. Ich würde jetzt als Kulturwissenschaftlerin immer sagen: Wir müssen schauen, welche Werte und Normen bei uns Bestand haben, welche wir auch als grundlegend für unsere Gesellschaft ansehen. Und da ist der Schutz von Minderjährigen und auch der Schutz von Mädchen und Frauen eben ein ganz zentraler Wert.
    Für ein gesetzliches Verbot von muslimischen Kinderehen in Deutschland
    Schulz: In den Niederlanden werden Kinderehen nach einer Gesetzesänderung vom vergangenen Winter grundsätzlich nicht mehr anerkannt. Fordern Sie, dass der Gesetzgeber in Deutschland da klar nachzieht und sagt, das geht jetzt einfach nicht mehr?
    Schröter: Ja, das halt ich für eine gute Maßnahme.
    Schulz: Wie wird denn die Eheschließung mit Minderjährigen in islamisch geprägten Gesellschaften – Sie beschäftigen sich ja mit dem Islam und der islamischen Gesellschaft – wie wird diese Kinderehe überhaupt begründet oder legitimiert? Ist das jetzt religiös, kulturell begründet, patriarchalisch – oder alles zusammen möglicherweise?
    Schröter: Ja, es ist alles zusammen. Also religiös – es gibt Länder, die sich auf islamisches Recht berufen und eine bestimmte Interpretation des islamischen Rechts für sich in Anspruch nehmen. Und da verweist man auf das Leben Mohammeds als Vorbild für alle Muslime. Und Mohammed hat ja selber eine Minderjährige geheiratet. Und das ist der Grund, weshalb in vielen muslimisch geprägten Ländern die Heirat von Minderjährigen, zum Teil von Mädchen ab neun Jahren, durchaus als legitim gilt. Das wäre die religiöse Komponente. Auf der kulturellen und sozialen Ebene, versucht man Mädchen möglichst schnell, sobald sie in die Pubertät kommen, zu verheiraten, weil sie dann sicher ist - vor einem Ehrverlust. Ehrverlust bedeutet, dass sie möglicherweise einen Freund hat, möglicherweise nicht den Mann heiraten möchte, den man ihr zugedacht hat, dass sie also eigene Entscheidungen trifft. Und deshalb versucht man, Mädchen möglichst schnell unter die Haube zu bringen, damit sie gar nicht auf die Idee kommen, eine eigene Entscheidung zu treffen. Das sind natürlich alles Dinge, die bei uns überhaupt nicht gehen.
    Weiteres Problem: Polygamie
    Schulz: Und jetzt hat aber darüber hinaus – ist diese Zahl der minderjährig Verheirateten größer geworden seit dem Syrienkonflikt. Richtig?
    Schröter: Ja, selbstverständlich. Erstens verheiratet man junge Leute, dann geht man davon aus, dass, wenn Mädchen jetzt fliehen, dass sie doch einen gewissen Schutz durch den Ehemann – selbst wenn er selber minderjährig ist – haben. Immer noch besser, als wenn sie sich dann alleine auf den Weg machen. Außerdem geht man davon aus, dass dann alles seine Ordnung hat, also dass auch moralische Vorstellungen gewahrt bleiben, dadurch dass man Mädchen eben schneller verheiratet. Das heißt, wir haben jetzt durch die Flüchtlinge aus Syrien aber auch aus anderen Ländern, sind wir zunehmend damit konfrontiert, dass wir sehr junge Ehepaare haben und dass wir auch Mädchen haben, die zum Teil an sehr viel ältere Männer verheiratet worden sind. Nicht nur übrigens als Erstfrau. Wir haben ja genau das Problem auch, ob wir Zweitehen anerkennen, oder Drittehen möglicherweise, was auch durch die Globalisierung unserer Gesellschaft jetzt auf uns zukommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das gesamte Gespräch können Sie nach der Ausstrahlung mindestens sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.