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Urteil zu Ankäufen von Staatsanleihen
"Die EZB kann die Krise nicht lösen"

Der Volkswirt Bert van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihenkäufen der EZB. Es sei richtig, sich nicht mit dem EuGH zu "verkämpfen", sagte er im DLF. Dennoch hält er die umstrittene Geldpolitik der Europäischen Zentralbank langfristig nicht für sinnvoll - bisher habe die EZB damit lediglich Zeit gekauft.

Bert van Roosebeke im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.06.2016
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Christiane Kaess: Es war im Jahr 2012, als EZB-Chef Mario Draghi ankündigte, zur Beruhigung der Finanzmärkte unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen. Mehr als 10.000 Bürger sahen darin die Gefahr, dass mit dem Programm Haushalte überschuldeter Staaten per Notenpresse finanziert werden könnten und Deutschland dafür mithaften müsste. Darunter war auch der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Sie zogen vor das Bundesverfassungsgericht und das hat heute Vormittag nach einem dreieinhalb Jahre dauernden Verfahren entschieden, das sogenannte OMT-Programm der EZB ist rechtlich in Ordnung. Bundesregierung und Bundestag müssen aber beobachten, ob das Programm nicht die Grenzen verlässt, die schon zuvor der Europäische Gerichtshof bestimmt hatte. Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Bert van Roosebeke. Er ist Finanzmarktexperte am Centrum für Europäische Politik. Guten Tag!
    Bert van Roosebeke: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Herr van Roosebeke, hat das Bundesverfassungsgericht Ihrer Meinung nach richtig entschieden?
    van Roosebeke: Ich glaube schon. Ich verstehe das Urteil des Verfassungsgerichts dahingehend, dass es sich an dieser Sache nicht verkämpfen wollte, was auch daran liegt, dass das OMT-Programm sehr wahrscheinlich nicht oder nie aktiviert werden wird. Es sind aber einige Fragen offen, was das derzeitige Programm der EZB angeht, das sogenannte PSPP-Programm, im Rahmen dessen die EZB ja massenhaft Anleihen aufkauft.
    Frage nach Anwendung der Kriterien auf Quantitative Easing
    Kaess: Da geht es dann vor allem um Unternehmensanleihen. Darüber können wir gleich noch sprechen. Lassen Sie mich noch eine Frage zu den Gerichten stellen: Der Europäische Gerichtshof hat das EZB-Vorgehen ja auch für rechtens befunden, gleichzeitig aber gesagt, die Entscheidung basiere darauf, dass man nicht über die Expertise verfüge, die die Mitglieder des EZB-Rates haben. Ist der Europäische Gerichtshof und auch heute das Bundesverfassungsgericht eigentlich überhaupt nicht imstande zu beurteilen, um was es da geht?
    van Roosebeke: Soweit würde ich nicht gehen. Ich habe die Anhörungen am Bundesverfassungsgericht miterlebt und da war durchaus eine sehr tiefgehende Auseinandersetzung seitens der Richter mit diesen doch sehr komplexen ökonomischen Fragen zu sehen. Dahingehend würde ich sagen, dass man sich zumindest am Bundesverfassungsgericht sehr wohl zutraut, auch letztlich die eigentlichen Details der Programme, auf die es ja ankommt, wirklich zu durchgründen.
    Kaess: Und hat das Bundesverfassungsgericht jetzt der EZB Grenzen gesetzt?
    van Roosebeke: Das wird sich zeigen, meiner Meinung nach. Wie gesagt, aus meiner Sicht verkämpft das Bundesverfassungsgericht sich jetzt nicht in einem sehr grundlegenden Streit mit dem EuGH im OMT-Verfahren. Was es aber sehr wohl macht: Es sagt, das ist aus unserer Sicht alles in Ordnung, dieses Programm. Sprich, es gibt kein Verbot gegen die monetäre Staatsfinanzierung, wenn folgende Bedingungen, die der EuGH ja im Übrigen genauso sieht, wenn diese Bedingungen erfüllt sind. Die sind ja für OMT eigentlich gar nicht so interessant, weil das Programm wie gesagt nie aktiviert werden wird. Aber derzeit halten die nationalen Zentralbanken und auch die EZB in der Eurozone über 800 Milliarden an Staatsanleihen im Rahmen des Quantitative-Easing-Programms und das steht ja auch zur Prüfung aus. Da sind ja auch Verfahren vorm Bundesverfassungsgericht anhängig. Und die spannende Frage ist jetzt, wie diese Kriterien, über die man sich ja heute einig ist, künftig auf dieses jetzt noch relevante Programm des Quantitative Easing angewandt werden.
    Bundesverfassungsgericht urteilte "schlitzohrig"
    Kaess: Was glauben Sie denn? Wir haben ja heute die Konditionen gehört, zum Beispiel Volumen vorab begrenzen, nicht ankündigen, eine bestimmte Frist bis zum Ankauf. Was glauben Sie denn, wie das übertragbar ist?
    van Roosebeke: Das ist jetzt spannend. Es kommt eigentlich aus meiner Sicht auf diese Begrenzung der Volumina an und da sagt das Verfassungsgericht aus meiner Sicht ziemlich schlitzohrig, ja gut, wir sind uns ja einig, Verfassungsgericht und EuGH, dass diese Volumina begrenzt werden müssen. Der EuGH hat diese Begrenzung aber abgeleitet aus der Tatsache, dass im OMT-Programm nur Anleihen gekauft werden können von Ländern, die einem ESM-Programm unterliegen.
    Kaess: Also quasi eine Begrenzung schon eingebaut?
    van Roosebeke: Genau!
    Kaess: So müssen wir das verstehen?
    van Roosebeke: Genau, so können Sie es verstehen. Diese Ursache für diese Begrenzung, sprich die Tatsache, dass ein Land wie Griechenland oder Portugal oder Spanien damals ein ESM-Hilfsprogramm in Anspruch genommen hat, diesen Grund gibt es in dem derzeit bestehenden Programm der EZB ja gar nicht. Und jetzt muss man sich die Frage stellen: Na gut, was heißt das jetzt? Heißt das jetzt, dass diese Begrenzung der Volumina in dem Quantitative-Easing-Programm gar nicht gegeben ist, und dann könnte das Bundesverfassungsgericht mit dem Programm ja gar nicht einverstanden sein? Oder heißt es, dass sehr wohl es wieder offen ist, ob vom Bundesverfassungsgericht dann diese Frage wieder dem EuGH vorgelegt werden muss und es fragen muss, seht ihr das genauso, dass wir eigentlich eine Begrenzung, eine absolute Begrenzung in den Volumina brauchen auch bei dem Quantitative-Easing-Programm.
    BVerfG mit dem enormen Umfang der Ankäufe nicht einverstanden
    Kaess: Was glauben Sie, Ihre Einschätzung? Wird die EZB so weitermachen können wie bisher?
    van Roosebeke: Ich rechne damit, dass das Bundesverfassungsgericht in ein, zwei Jahren erneut die Fragen dem EuGH vorlegt und dann werden wir erneut den gleichen Konflikt haben, wie wir ihn letztes Jahr hatten, den Konflikt des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH dahingehend, wie weit die EZB gehen kann. Und ich kann aus dem heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht ablesen, dass man einverstanden ist mit dem enormen Umfang der Ankäufe der EZB.
    Kaess: Sie haben gesagt oder haben richtig darauf hingewiesen, dass das OMT niemals aktiviert worden ist. Sind Sie sich so sicher, dass es auch niemals tatsächlich eine Rolle mehr spielen wird?
    van Roosebeke: Es ist auf jeden Fall sehr unwahrscheinlich. Die Auflagen sind so: Wir brauchen ein Land, das in einem ESM-Programm ist, und das sehen wir derzeit gar nicht. Griechenland ist noch im Programm, alle anderen sind eigentlich ausgelaufen oder sind kurz davor. Ich sehe jetzt kein anderes Land, was zusätzlich so ein Programm auf sich nehmen wird. Deswegen glaube ich nicht, dass das OMT jemals aktiviert werden wird.
    Kaess: Wenn wir mal zurückblicken und auf die Wirkung schauen, in dieser Ausnahmesituation 2012 war die Ankündigung gerechtfertigt, weil wir sonst tatsächlich den Euro riskiert hätten?
    van Roosebeke: Gut, das wird man nie wissen. Da kann man sich lange drüber streiten. Wir wissen ja nicht, was passiert wäre, wenn die Ankündigung nicht gekommen wäre. Fakt ist aber natürlich schon, dass in der Sekunde nach der Ankündigung die Spreads, die Zinsaufschläge für die Staaten vor allem Südeuropas massiv gefallen sind. Die EZB hat das mehr oder weniger offen damit begründet, dass die Eurokrise [gemeint war wohl die Eurozone, Anm. d. Red.] in ihrer Existenz sozusagen infrage gestellt wurde. Das ist aber eigentlich rechtlich gesehen nicht Aufgabe der EZB, die Eurozone an sich zu sichern.
    "Die EZB kann die Krise nicht lösen - das müssen Politiker machen"
    Kaess: Aber damals hat es die Krise gelöst, würden Sie sagen?
    van Roosebeke: Nein. Es hat Zeit gekauft und wir sind immer noch in der Phase, in der die EZB mit jetzt neueren, sehr viel weitergehenden Maßnahmen immer noch Zeit kauft. Aber die EZB kann diese Krise nicht lösen. Das müssen die Politiker machen.
    Kaess: Dann lassen Sie uns noch über diese derzeitigen Maßnahmen sprechen. Inwiefern greifen die?
    van Roosebeke: Die greifen dahingehend, dass wir ein historisch enorm niedriges Zinsniveau am Kapitalmarkt sehen, und die ermöglichen es eigentlich den Mitgliedsstaaten, derzeit in diesem für sie sehr angenehmen Umfeld wirtschaftspolitische Maßnahmen durchzusetzen, die dazu führen sollen, dass die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder wiedererlangt wird. In vielen Ländern sehen wir dieses Phänomen aber nicht. Dahingehend muss man sagen, im Moment ist durchaus Skepsis angesagt auf die Frage hin, ob die Maßnahmen der EZB auch wirklich Wirkung zeigen.
    Kaess: Welche Wirkung erwarten Sie denn langfristig?
    van Roosebeke: Wir sehen enorme Verzerrungen. Die Banken haben ein Problem mit dem niedrigen Zinsniveau, die Versicherungen haben ein Problem, wir sehen Aktienblasen. Die Finanzmarktstabilität als solche ist enorm gefährdet, und das ist ein enormer Nebeneffekt, den die EZB derzeit billigend in Kauf nimmt, vielleicht sogar in Kauf nehmen muss. Aber auf mittlere Frist kann das eigentlich nicht gut gehen.
    Kaess: … sagt Bert van Roosebeke. Er ist Finanzmarktexperte am Centrum für Europäische Politik. Danke schön für dieses Gespräch!
    van Roosebeke: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.