Freitag, 19. April 2024

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Uruk
Archäologie im "IS"-Grenzgebiet

Seit Jahren herrschen im Irak Krieg und Gewalt. Selbstmordattentate, Eroberungen und Bedrohungen durch die islamistische Terrorgruppe "IS" behindern immer wieder die Arbeit von Archäologen. Hilfe aus Deutschland sorgt dafür, dass die Forschung an den archäologischen Stätten im Irak trotzdem weiter gehen kann.

Von Verena Kemna | 20.08.2016
    Margarete van Ess hat in den vergangenen Jahrzehnten das Gefühl für die Erde der antiken Stadt Uruk im Südirak verinnerlicht. Seit über 30 Jahren gräbt die wissenschaftliche Direktorin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, DAI, in Berlin auf dem Gebiet des heutigen Irak. Für die Spezialistin für Vorderasiatische Archäologie ist es immer wieder ein Gefühl von nach Hause kommen, wenn sie die sandige Erde von Uruk in den Händen spürt.
    "Wenn es regnet, dann pappt sie einem unter den Füßen, das heißt, das, was wir da ausgraben zerfällt uns auf der einen Seite durch Wind und Regen und auf der anderen Seite hält sie wegen dieses lehmigen Charakters dann doch sehr lange. Das, was wir jetzt in der Zukunft dort machen müssen ist tatsächlich Konservierung und Restaurierung."
    Die Archäologin Margarete van Ess
    Die Archäologin Margarete van Ess. (DAI/I. Wagner)
    Doch seit Jahren herrschen im Irak Krieg und Gewalt. Selbstmordattentate, Eroberungen und Bedrohungen durch die islamistische Terrorgruppe "IS" behindern immer wieder die Arbeit der Archäologen. Die kurdischen Gebiete im Nordosten und Regionen im Süden gelten als relativ sicher. Trotzdem musste Margarete van Ess einige Reisen nach Uruk bereits absagen. In der ersten Großstadt der Menschheit, erbaut um 3.000 vor Christus, regierte der sagenumwobene König Gilgamesch, Held des gleichnamigen Epos. In Uruk erfanden die etwa 50.000 Einwohner ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Sie entwickelten eine effiziente Verwaltung, bauten eine kilometerlange Stadtmauer, brauten Bier und haben die Keilschrift erfunden. Wenn Margarete van Ess und ihre Kollegen vom Deutschen Archäologischen Institut heute dorthin reisen, dann nur mit Polizeieskorte. Auch die enge Zusammenarbeit mit den irakischen Archäologen vor Ort ist lebenswichtig.
    Eine Investition in die Zukunft
    "Das heißt, wir arbeiten nicht als deutsche Gruppe alleine, sondern wir haben mindestens so viele irakische Kollegen im Team und sind damit bestens vernetzt."
    Gerade in Zeiten der Bedrohung sei es wichtig, Kontakt zu halten. So ist auch die Fortbildung für zwölf irakische Nachwuchsarchäologen, die derzeit am DAI Berlin geschult werden, eine Investition in die Zukunft. Der Nachholbedarf ist riesig, sagt Margarete van Ess. Archäologen, die nach acht Semestern eine irakische Universität verlassen, haben keinerlei praktische Erfahrung. In Berlin lernen sie vieles zum ersten Mal.
    "Es geht uns darum, zu erklären, was es für Techniken gibt. Wie weit man kommt, wenn man erstmal mit der Hand diverse Sachen macht und ab wann man sinnvollerweise diverse Techniken einsetzt."
    An deutschen Universitäten ist ein einmonatiges Praktikum auf einer Grabungsstelle üblich. Im Irak lernen Archäologen das Handwerkszeug erst, wenn sie in einer den Antikenverwaltungen arbeiten. Jahrzehntelange Kriege und ein Handelsembargo haben dafür gesorgt, dass die Didaktik an den Unis auf dem Stand der 60er-Jahre stehen geblieben ist. Das bedeutet viel Theorie und Frontalunterricht. Moderne Technik kennen wir nicht, bemängelt Haidar Wasmi, 28 Jahre alt. Erst in Berlin hat er gelernt, ein Gebäude zu zeichnen.
    "Ich bin begeistert, dass ich jetzt ein Gebäude auf Papier zeichnen kann. Eine systematische Aufmessung eines Denkmals haben wir im Studium nicht gelernt. Ich bin auch beeindruckt von der Lasertechnik, mit der man ein Gebäude vermessen kann."
    Viele Denkmäler müssen dringend restauriert werden
    Haidar arbeitet in der Antikenverwaltung der Provinz Al-Muthanna ist zuständig für die Grabungsstätte in Uruk. Er meint, diese Provinz sei sicher. Er könne sich ohne Polizeischutz frei bewegen.
    "Wir versuchen Denkmäler und Grabungsstätten in den ruhigen Gebieten zu schützen. Anders als im Norden, wo der IS wütet, hat die Antikenverwaltung die Lage im Süden gut unter Kontrolle."
    Er ist fest davon überzeugt, dass die irakische Armee weitere Gebiete von der islamistischen Terrorgruppe "IS" zurückerobern wird. Im Gespräch bezeichnet der junge Archäologe sein Heimatland immer wieder als "Wiege der Zivilisation". Haidar Wasmi hat eine Mission. Viele Denkmäler müssen dringend restauriert werden. Er würde am liebsten sofort loslegen und ein Steingebäude in Uruk restaurieren.
    "Das Besondere ist eine Mauer aus Kunststein innerhalb des Gebäudes. Immerhin reden wir über die Zeit um 3.000 vor Christus. Die Mauer ist verwittert und einsturzgefährdet."
    Wenn alles gut geht, wird er noch in diesem Herbst Margarete van Ess in Uruk treffen.
    "Dieses Kontakt halten, das weiter am Projekt bleiben, das weiter arbeiten mit den irakischen Kollegen, nur so kann man sich verstehen."
    Alle Archäologen, die an der Fortbildung in Berlin teilnehmen seien wichtige Botschafter, damit die Arbeit an den archäologischen Stätten im Irak trotz Krieg und "IS"-Bedrohung weiter gehen kann.