Freitag, 29. März 2024

Archiv

Urväter der Pferde
"Vielleicht waren sie gut in der Reproduktion"

Man könnte sie die Väter aller Pferde nennen: Eine bestimmte Hengstart, die vor etwa 3.000 Jahren in der Eisenzeit lebte. Von ihr sollen fast alle heute lebenden Pferde abstammen. Wie es dazu kam und was die Römer damit zu tun haben, erklärt Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Wildtierforschung.

Arne Ludwig im Gespräch mit Christiane Knoll | 19.04.2018
    Vier Przewalski-Pferde auf einer Weide in Tschechien
    Przewalski-Pferde in Tschechien (imago stock&people / Michal Krumphanzl)
    Christiane Knoll: Wer war dieser Urvater aller Pferde?
    Arne Ludwig: Der lebte in den Steppengebieten, und den ersten Nachweis hatten wir praktisch dieser Hengstlinie in der heutigen Slowakei und in Sibirien.
    Knoll: Sie haben eine Hengstlinie entdeckt, also das Genmaterial dieser beiden Funde war identisch. Wie viele Proben hatten Sie denn überhaupt, und woher kamen die?
    Ludwig: Insgesamt haben wir 350 Proben analysiert, 96 davon waren Hengste, die dann in die weiteren Analysen eingeflossen sind.
    Knoll: Ja, aber woher kam das Probenmaterial?
    Ludwig: Das kam aus verschiedenen Ausgrabungen, von Sibirien über Kasachstan, Mongolei, Ungarn, Slowakei, Deutschland, Frankreich bis nach Spanien.
    "Der Mensch hat nur noch diese Hengste zur Zucht eingesetzt"
    Knoll: Fast alle Hengste, die heute auf der Erde existieren, stammen von dieser Linie ab, schreiben Sie. Wie muss man sich das vorstellen? Was ist in den vergangenen 3.000 Jahren passiert, dass der Genpool sich so verengt hat?
    Ludwig: Es war offensichtlich so, dass diese Hengstlinie oder die Hengste dieser Linie sich einer großen Beliebtheit erfreut haben. Warum, darüber können wir natürlich heute nur spekulieren. Das können Modegründe gewesen sein, wie eine bestimmte Fellfarbe, ein besonders großes oder charakteristisches Gesicht, was auch immer da den Ausschlag gegeben hat. Es können aber auch andere Gründe gewesen sein. Auf dem Y-Chromosom liegen ja auch Gene, die zum Beispiel für die Spermienqualität entscheidend sind. Vielleicht waren sie besonders gut in der Reproduktion. Auf jeden Fall hat der Mensch diese Hengste präferiert und hat nur noch diese Hengste zur Zucht eingesetzt. Das begann ungefähr 1.000 vor Christus. Und mit den Römern wurde dann organisiert nur noch mit Hengsten aus dieser Linie gezüchtet, und damit kam es dann praktisch zu der genetischen Verarmung, was die Anzahl an Hengstlinien und damit auch die Variabilität auf dem Y-Chromosom bei Pferden anging.
    Wissen über Pferdezucht aus Bibliotheken in Nordafrika
    Knoll: Das heißt, die Römer hatten schon so ein richtig ausgeklügeltes Zuchtprogramm?
    Ludwig: Die Römer hatten ein sehr ausgeklügeltes Zuchtprogramm. Da wurde den Zuchtwarten in den Kastellen ganz genau vorgeschrieben, welche Tiere sie zur Zucht einsetzen sollten. Und das war so, dass die Römer eben über das entsprechende Wissen verfügten. Das ist ihnen in Bibliotheken in Nordafrika in die Hände gefallen bei ihren Eroberungen. Und dann haben sie ziemlich schnell erkannt, dass man also sehr viel schneller einen Zuchtfortschritt erreicht, wenn man sich bei der Tierzucht auf die männlichen Tiere und in unserem Fall auf die Hengste konzentriert und die weiblichen Tiere vernachlässigt. Die Griechen, unmittelbar vor den Römern als Hochkultur, haben fast ausschließlich mit den weiblichen Tieren gezüchtet und haben die männlichen vernachlässigt.
    Gesellschaftliche Veränderung durch die Domestikation von Pferden
    Knoll: Wir wissen, dass der Mensch vor etwa fünfeinhalb Jahrtausenden das Przewalski-Pferd domestiziert hat, es im Mittelalter dann wieder aufgegeben hat zugunsten unserer heutigen Hauspferde, die damals schon lange von ihm genutzt wurden. Reicht das nicht an Wissen über die Geschichte der Pferde? Warum treiben Sie diesen ganzen Aufwand, um noch mal zu rekonstruieren, was vor 3.000 Jahren war?
    Ludwig: Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen interessiert es uns natürlich historisch, weil mit der Domestikation des Pferdes sich natürlich auch komplette Gesellschaften beim Menschen verändert haben. Das Pferd war eine der wichtigsten Innovationen in der Geschichte der Menschheit überhaupt. Man kann sich das militärisch leicht vorstellen, dass die Reiterarmeen natürlich über Jahrtausende praktisch dominiert haben. Aber es war auch für den Transport von Waren, für den Transport von Informationen, für die Aufrechterhaltung von Verbindungen zwischen entfernten Gebieten ein entscheidender Unterschied. Mit so einem Ochsenkarren können Sie vielleicht 20 Kilometer am Tag zurücklegen, mit dem Pferd deutlich mehr als 100. Und insofern interessiert uns das Pferd natürlich ganz besonders.
    Knoll: Kann ich mir das so vorstellen, dass sie eventuell, wenn Sie noch mehr Informationen über die Zeit von vor 3.000 Jahren herausfinden, dass Sie dann eventuell historische Fragen klären können, welche Völker aus welchen Gründen die Oberhoheit bekommen haben über anderen Gegenden.
    Ludwig: Das ist richtig. Es ist wirklich so, dass wir davon ausgehen, dass mit der Domestikation des heutigen Hauspferdes, das wahrscheinlich größer war als das Przewalski-Pferd, sich leichter reiten ließ, einfach umgänglicher war als das Przewalski-Pferd – die sind ja doch etwas schwierig in der Haltung – dass damit verbunden natürlich auch der Aufstieg bestimmter Völker oder Kulturen und die Dominanz über andere Völker und Kulturen verbunden sein dürfte.
    Knoll: Haben Sie einen Verdacht? Können Sie sagen, aus welcher Weltgegend wir vielleicht neue Informationen von Ihnen bekommen könnten?
    Ludwig: Mein Verdacht ist, dass es eher Richtung heutige Türkei, Mittelmeergebiet geht, weil ungefähr 1.000 vor Christus waren das praktisch die Hochkulturen. Es könnte auch Nordafrika sein. Aber ich würde eher vermuten, Richtung dieser Gebiete Türkei, heutiges Mittelmeergebiet, Griechenland, die Region.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.