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US-Antiterror-Strategie
"IS verliert ganz sicher auch Rakka und Mossul"

Die Situation sei heute im Irak fundamental anders als vor zwei Jahren, sagte der Sondergesandte der US-Regierung, Brett McGurk, im DLF. Der IS befinde sich dort auf dem Rückzug - auch ihre Sprecher würden das mittlerweile so eingestehen. Etwa 5.000 bis 6.000 IS-Kämpfer seien so mittlerweile in Libyen unterwegs - man unterstütze dort die neue nationale Einheitsregierung.

Brett McGurk im Gespräch mit Thielko Grieß | 26.05.2016
    Obamas Sicherheitsberater im Kampf gegen den IS: Brett McGurk, an einem Mikrofon sprechend
    Obamas Sicherheitsberater im Kampf gegen den IS: Brett McGurk (dpa/picture alliance/AP POOL/Hadi Mizban)
    Die Russen und die USA würden sich in ihrer politischen Gesamteinschätzung der Situation in Syrien unterscheiden, sagte Brett McGurk. Die USA setzten sich für eine politische Lösung des Bürgerkriegs ein, Russland hingegen lege mehr Gewicht auf die militärische Komponente. Man stehe im ständigen Austausch, um zu einer Deeskalation beizutragen und hätte auch fast täglich Kontakt, um Konflikte im Luftraum zu vermeiden.
    Was den sogenannte Islamischen Staat angehe, sei die Situation heute im Irak fundamental anders als vor zwei Jahren. Mittlerweile seien sie zurückgedrängt. Sie hätten nur noch 98 Kilometer Grenze zur Türkei, ihre einzige Verbindung zur Welt. Am letzten Sonntag hätte deren Sprecher dies auch zugegeben und gesagt, selbst wenn sie Rakka und Mosul verlieren würden - was sie ganz sicher tun würden - dann würden sie eine terroristische Organisation bleiben. Sie hätten damit zugegeben, dass sie sich zurückziehen.
    Deutschland mit Führungsrolle in der Stabilisierung und humanitären Hilfe
    Als man vor zwei Jahren den IS analysiert hätte, hätte man festgestellt, dass es sich um eine globale Bewegung mit 40.000 Mitgliedern in 110 Ländern handele. Deutschland sei beim Kampf gegen diese Organisation von Tag 1 an ein ganz entscheidender Partner gewesen. Es habe die Führungsrolle in der humanitären Hilfe und der Stabilisierung übernommen. So auch in der Stadt Tikrit, welche die irakischen Sicherheitskräfte mit Luftunterstützung befreit haben. Auch dort sei Deutschlands Rolle in der Stabilisierungsphase sehr entscheidend, es unterstütze die dortigen Sicherheitskräfte.
    Man nehme an, dass in Libyen 5.000 bis 6.000 Kämpfer des IS unterwegs seien. Das sei ein Problem, welches man sehr ernst nähme. Man wolle vor allem die bestehende Regierung der nationalen Einheit unterstützen und sie mit anderen Generälen zusammenbringen. Man werde ihnen auch beistehen, sofern von dieser Regierung ein entsprechender Antrag an die USA gestellt würde.
    Das Interview mit Brett McGurk in der Originalsprache Englisch können sie ebenfalls sechs Monate nachhören.

    Das komplette Interview zum Nachhören:
    Thielko Grieß: Gestern, am Mittwoch, teilte das US-Militär mit, die internationale Koalition habe in dieser Woche zuletzt 17 Angriffe auf Stellungen des selbsternannten Islamischen Staates geflogen in Syrien und im Irak. Gleichzeitig verübt der Islamische Staat Terroranschläge in dieser Region. Und der IS verzeichnet Geländegewinne auch in einer anderen Region, in Libyen. Der Kampf gegen die Extremisten von IS gilt als Schlüssel für einen möglichen Frieden, oder, um es vorläufiger auszudrücken, für eine mögliche Stabilisierung in diesen Ländern. Aber der Westen scheut bekanntlich einen Einsatz und eine Einmischung am Boden. Brett McGurk ist Berater des US-Präsidenten im Weißen Haus und zurzeit zu Besuch in Deutschland, auch in Berlin. Er ist Berater Obamas für den Kampf gegen den Islamischen Staat. Wir haben gestern ein Interview mit ihm aufgezeichnet. Es hat in dieser Woche ja schwere Anschläge mit vielen Toten an der syrischen Mittelmeerküste gegeben, in einer Region, die bislang nicht im Zentrum des Krieges stand. Der IS reklamiert diese Anschläge für sich, die syrische Regierung widerspricht.
    - Was ist die Einschätzung des US-Militärs, Mister McGurk?
    Brett McGurk: Dies trägt alle Zeichen eines Angriffes von ISIS. Sie zielen auf Zivilisten, sie nutzen Autobomben und Selbstmordattentäter, um die Zivilbevölkerung einzuschüchtern. Sie haben die Verantwortung dafür übernommen. Unsere Annahme ist also tatsächlich, dass es sich hier um einen Anschlag von ISIS handelt. Das ist eine Gegend, in der wir nicht besonders aktiv sind, es ist das Kernland des syrischen Regimes, dort haben sie ihre Einrichtungen, die Russen haben dort auch ihre Einrichtungen. Wir sprechen übrigens nahezu täglich mit den Russen im Bemühen, den Luftraum weitgehend von Konflikten freizubekommen und auch die gesamte Situation in Syrien zu erörtern. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen wegen des Verlustes an Menschenleben. Aber das alles muss für uns auch ein Ansporn sein, für uns alle, einschließlich der Russen, hier gemeinsam voranzukommen, auch mit dieser internationalen syrischen Unterstützungsgruppe, wie wir sie nennen, die kürzlich auch in Wien zusammengetroffen ist, um eine politische Lösung für diesen schrecklichen Bürgerkrieg zu finden.
    Grieß: Da Sie gerade Russland erwähnt haben – würden Sie Russland noch immer eine Regionalmacht nennen?
    McGurk: Die Russen haben ihre Interessen in Syrien, wir haben auch unsere Interessen in Syrien. Gelegentlich überlagern sich diese Interessen, insbesondere, wenn es darum geht, DAESH einzudämmen und auch Jabhat al-Nusra, den mächtigsten Arm von Al Qaida in den Griff zu bekommen. Worin wir uns unterscheiden, ist die politische Gesamteinschätzung. Wir sind der Meinung, dass es vor allem darum geht, politische Lösungen zur Beilegung des Bürgerkrieges zu finden, um die Grundlagen dessen, auszutrocknen, was diese terroristischen Gruppen blühen lässt. Während die Russen stärkeres Gewicht auf die militärische Komponente legen, insbesondere bei der Bekämpfung von Al-Nusra, dieser Front. Wir sind in beständigem Austausch, um zu einer Deeskalation beizutragen in diesem Kampf zwischen der Opposition und dem Regime. Wir haben eine Kampfpause erzielt. Diese Einstellung der Kämpfe bröckelt immer wieder, manchmal bröckelt sie ganz gewaltig. Dennoch ist das für uns Anlass, die Russen an ihre eingegangene Verpflichtung zu erinnern. Sie haben nämlich zugesagt, dass sie auf das syrische Regime einwirken werden, damit diese Waffenruhe hält.
    Grieß: Kommen wir zurück zur US-Strategie in Syrien, zur Strategie im Irak. Um ehrlich zu sein: Ich sehe keine großen Erfolge der vergangenen Jahre. Sehen Sie welche?
    McGurk: IS wird Rakka und Mossul verlieren
    McGurk: Nun, was den sogenannten Islamischen Staat angeht – wenn Sie die Situation heute vergleichen mit der von vor zwei Jahren, so ist die fundamental anders geworden. Sie hatten ja weitgehend Kontrolle über die syrische Grenze zur Türkei. Sie kontrollierten alles, was östlich des Euphrats lag. Mittlerweile haben wir sie zurückgedrängt. Sie haben jetzt nur noch 98 Kilometer der Grenze zur Türkei in ihrer Gewalt, das ist ihre gesamte Schnittstelle zur Welt hin. Und wir werden weiterhin Druck auf sie ausüben. Aber Sie brauchen sich gar nicht auf meine Worte zu verlassen. Hören Sie doch einfach dem Sprecher dieser Bewegung zu, einem gewissen Terroristen namens Adnani, der noch vor Kurzem gesagt hatte, wir sind eine historische Bewegung, wir sind ein Kalifat im Aufbau. Noch vor zweieinhalb Jahren sagte er, wir breiten uns ständig aus. Kommt und schließt euch uns an. Ganz anders klang es, was er am letzten Sonntag gesagt hat. Da sagte er nämlich, selbst wenn wir zurückweichen, und selbst wenn wir Rakka und Mossul verlieren – was sie ganz sicher tun werden – wir werden doch weiterhin an unserem Kalifat festhalten, wir werden weiterhin eine terroristische Organisation bleiben. Er hat damit zu erkennen gegeben, dass diese Organisation sich mittlerweile zurückzieht, dass sie in Verstecken lebt, dass sie sich verteidigen muss und nicht weiter sich ausbreiten kann. Und wir werden weiterhin alles tun, damit das so bleibt.
    Grieß: Als Präsident Barack Obama vor einigen Jahren mit Blick auf den Einsatz chemischer Waffen eine rote Linie gezogen hat, war es ein Fehler, die dann nur rhetorisch und nicht auch militärisch zu ziehen? Und korrigieren Sie jetzt die damals gemachten Fehler?
    McGurk: Diese Aussagen des Präsidenten sind sehr umfänglich kommentiert worden. Das Entscheidende bei diesem Programm zu den chemischen Waffen war eben, dass der Außenminister des Präsidenten ein politisches Programm ausgearbeitet hat, das darauf abzielte, diese Waffen möglichst weitgehend aus Syrien hinaus zu bekommen. Jetzt aber konzentrieren wir uns auf das, was direkt anliegt, nämlich, dass wir erstens einmal die Bedrohung, die ISIS für unsere Staaten darstellt, zurückdrängen, dass wir sie in ihren Fähigkeiten schwächen und das Maß des Risikos herunterbringen. Wir treiben sie aus ihrem Territorium heraus, wir bekämpfen ihre Anführer, wir brechen ihre Kommandostrukturen, wir bekämpfen ihre Terrorzellen in den verschiedenen Staaten. Und wir tun zusammen mit dieser internationalen Koalition alles, um zur Deeskalation in diesem Bürgerkrieg beizutragen.
    Grieß: Wir erinnern uns an Präsident Obamas Besuch in Hannover. Und wir erinnern uns an seinen Appell an die europäischen Alliierten, mehr zu tun, mehr zu investieren und sich stärker zu engagieren. Ich sehe keine signifikante Antwort. Sind Sie damit zufrieden?
    McGurk: Vor zwei Jahren haben wir ISIS - oder Daesh - analysiert und festgestellt, es handelt sich um eine globale Bewegung mit etwa 40.000 internationalen Kämpfern aus 110 Ländern. Wir beschlossen, dass wir ein globales Netz aufbauen mussten. Das haben wir getan, zusammen mit 66 Ländern. Die Botschaft des Präsidenten in Hannover war wichtig, jetzt aber kommt es darauf an – und ich spreche jetzt hier insbesondere über die deutsche Rolle –, Deutschland war ja von Tag eins an für uns ein ganz entscheidender Partner. Es hat die Führungsrolle übernommen sowohl im Bereich humanitärer Hilfe wie auch vor allem in der Stabilisierung. Denn es geht ja nicht nur darum, Daesh oder ISIS zu bezwingen und zu besiegen, sondern auch das, was ihn so stark gemacht. Die Stadt Tikrit haben wir zurückerobert, das ist eine ganz entscheidende Stadt, denn es ist eine Heimstätte der Sunnis, und es war auch die Heimatstadt von Saddam Hussein. Wir haben das von Daesh zurückerobert. Daesh hatte die Stadt im Sommer 2014 erobert, wir haben sie jetzt wieder zurückgeholt mithilfe irakischer Sicherheitskräfte. Das war aber noch nicht alles. Es ging auch darum, jetzt wieder die Bevölkerung zurückzubringen, denn sie hatte die Stadt verlassen, und das ist eine schwierige Übung. Es kann Jahre dauern, wenn es überhaupt gelingt. Und hier war erneut Deutschland in dieser Stabilisierungsphase von ganz entscheidender Wichtigkeit. Sie haben Hilfsmittel bereitgestellt, sie haben auch die finanziellen Mechanismen in Gang gesetzt, um eben die Menschen wieder in die Stadt zurückzubringen. Nach und nach kamen sie zurück, und 95 Prozent der Bevölkerung hatten ja die Stadt verlassen. Jetzt kehren sie wieder zurück. Dasselbe wird auch bei Tikrit bevorstehen. Entscheidend wird jetzt auch in Irak und in Syrien sein, dass wir Ähnliches versuchen. Die Tatsache, dass es in Tikrit gelungen ist, ist ein strahlendes Beispiel dafür. Jetzt steht Ramadi, eine Stadt westlich von Bagdad auf unserem Plan. Dort wird es schwieriger sein, denn der sogenannte Islamische Staat hat Sprengsätze verteilt, ehe sie die Stadt verließen. Von den 60.000 Menschen, die zurückgekehrt sind, haben tragischerweise hundert durch diese Sprengsätze ihr Leben verloren, etwa, wenn sie einen Schrank oder einen Kühlschrank öffneten. Hier wird es nun wichtig sein, die Koalition zu stärken. Wir haben kurzfristig 15 Millionen Dollar flüssig gemacht, um diese Bestrebungen zu unterstützen. Und erneut war hier auch Deutschland eine ganz entscheidende Kraft beim Führen dieser Operationen. Deutschland hat ja insbesondere die irakischen Sicherheitskräfte unterstützt. Es hat auch die kurdischen Peschmerga an einer entscheidenden Stelle unterstützt und ausgerüstet, insbesondere mit panzerbrechenden Waffen, als es darum ging, ein besonders gefährliches Mittel des sogenannten Islamischen Staats, nämlich die Fahrzeugbomben, zu entschärfen. Deutschland ist also einer unserer engsten Verbündeten, es leistet einen wichtigen Beitrag, wir sind hocherfreut mit dem, was Deutschland geleistet hat. Ich bin jetzt hier, um unsere Eindrücke und Notizen abzugleichen. Eine weitere Stabilisierungskonferenz wird in den nächsten Tagen hier in Deutschland abgehalten werden, und wir freuen uns auf die vor uns liegende Arbeit.
    Grieß: Wenn wir über den Islamischen Staat sprechen, müssen wir auch über Libyen sprechen. Die Situation in Libyen ist sehr instabil. Es droht dort eine neue Flüchtlingskrise an der afrikanischen Mittelmeerküste. Ist es so, dass Libyen im Wesentlichen Sache der Europäer und eben nicht Sache der Amerikaner ist?
    McGurk: Gemeinsame Arbeit an den Problemen in Libyen
    McGurk: Nein. Dem stimme ich nicht zu. Wir arbeiten eng mit unseren Partnern in Libyen zusammen. Die Situation in Libyen stellt besondere Herausforderungen, was den Terrorismus angeht. Es gibt dort eine Präsenz von Daesh, dem Islamischen Staat. Wir nehmen an, es sind fünf- bis sechstausend Kämpfer für Daesh dort unterwegs, insbesondere in der Küstengegend von Sirte. Sie kommen vorwiegend aus Nordafrika, aus Tunesien und auch aus den Ländern südlich der Sahara. Etwa 100 Saudis sind dort und eine Handvoll von Europäern. Das ist ganz sicherlich ein Problem, das wir sehr ernst nehmen. Und wir haben auch Maßnahmen militärischer Art gegen die Terroristen in Tunesien ausgeführt. Wir führen diese Maßnahmen fort zusammen mit unseren Verbündeten. Dabei wollen wir vor allem die jetzt bestehende Regierung der Nationalen Einheit unterstützen, die derzeit ihren Sitz in Tripolis hat. Wir wollen sie zusammenführen mit dem General Haftar, der in der Gegend östlich von Sirte jetzt seine Kommandostrukturen hat. Wir wollen, dass sie zusammenkommen. Und wir sind selbstverständlich bereit, mit der Koalition, hier dann helfend beizustehen, sofern die Regierung der Nationalen Einheit einen derartigen Antrag an uns richtet. Also, um auf Ihre Frage zurückzukommen, dieses ganze Problem nicht einfach in den Händen unserer Partner, sondern wir konzentrieren uns gemeinsam mit ihnen darauf, gemeinsam werden wir an diesen Problemen arbeiten.
    Grieß: Sagt Brett McGurk, der Berater des US-Präsidenten Barack Obama, für den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Das Interview haben wir leicht gekürzt. Das Ganze Interview finden Sie im Laufe dieses Vormittags bei uns im Netz unter deutschlandfunk.de, in der deutschen Übersetzung und im englischen Original.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.