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US-Außenpolitik
"Es ist wichtig, Flagge zu zeigen"

Der US-Politikwissenschaftler Jackson Janes hält die derzeitige außenpolitische Strategie von Barack Obama für richtig. Die Unterstützung des Baltikums und der Aufruf zum Kampf gegen den IS stärkten seine Position, auch innenpolitisch. Er vereine damit außerdem die Haltung der USA und Europa zu den aktuellen Krisen.

Jackson Janes im Gespräch mit Bettina Klein | 06.09.2014
    US-Präsident Obama wird bei seiner Ankunft in Tallin von Schülern begrüßt.
    US-Präsident Obama sei im Moment auf der Linie, die "mehr oder weniger parteipolitisch getragen" werden könne, meint der Politikwissenschaftler Jackson Janes. (AFP / SAUL LOEB)
    Bettina Klein: Wir schauen auf die amerikanische Perspektive nach dem NATO-Gipfel in Wales in den vergangenen beiden Tagen und die vereinbarte Waffenruhe in der Ukraine. Ich habe darüber mit Jackson Janes gesprochen, er ist Politikwissenschaftler in Washington und Präsident des American Institute for Contemporary German Studies. Wenn die Feuerpause hält, hätte das auch zumindest Potenzial für eine Art Neubeginn zwischen Russland und dem Westen oder den USA?
    Jackson Janes: Viel zu früh zu sagen. Ich glaube, es ist zum Teil eine Frage, wie Putin darauf reagiert, und soweit ich weiß, waren diese Entscheidungen bei dem NATO-Tag in Wales ... Da haben sie auch beschlossen, andere Schritte zu unternehmen innerhalb der NATO. Ich glaube, das ist irgendwo ein Gesamtbild, das man in Erwägung ziehen muss, um zu sehen, wie weit eigentlich noch ein Gespräch möglich ist. Und momentan - ich glaube, das ist noch nicht reif, ein Urteil zu bilden.
    Klein: Wenn sich das positiv entwickeln sollte, wird sich das Präsident Obama möglicherweise auch ein wenig als Erfolg ans Revers heften nach seiner ja sehr nachdrücklichen Rede in Estland, wo er noch mal betont hat, also Freiheit und Demokratie, deren Siegeszug können vielleicht aufgehalten, aber doch nicht gestoppt werden? Denken Sie, dass es auch ein Signal Richtung Russland war, das in der Deutlichkeit dann auch verstanden wurde?
    Janes: Nicht so ganz, also da bin ich auch nicht überzeugt. Ich glaube, das sind so andere Dinge im Spiel, von hohen Prinzipien abgesehen. Das heißt, er hat dann einen Erfolg in dem Sinne, glaube ich, dass er sozusagen die einheitliche Message an Putin gegeben hat, und das wurde dann, glaube ich, von allen Seiten unterstützt. Aber es ist nicht eine überzeugende Darstellung, wo Putin darauf reagieren muss, oh, inhaltlich, jetzt muss ich das begreifen, sondern es geht um eine schlicht und einfach reale Marktpolitik momentan. Und ich bin nicht so ganz sicher, wie eigentlich dann der Zustand momentan hält. Insofern - wir haben ja noch Kämpfe da unten, und die sind längst nicht abgeschlossen. Also wir reden ja von einer gewissen Spaltung zwischen Rhetorik und Realität.
    "Linie, die mehr oder weniger parteipolitisch getragen werden kann"
    Klein: Ja. Sie haben es angedeutet: Die NATO plant auch anderes - eine Speerspitze, wie es heißt, ist einsatzbereit, die "very high readiness taskforce" oder auch "spare heads response force". Steht dahinter auch das Drängen aus Washington, dass es dazu kam jetzt?
    Janes: Ich glaube schon, dass das Drängen eigentlich von den osteuropäischen Staaten kam, und Obama ist natürlich sehr empfindlich, was er an Präsenz versprechen kann, weil er hat ja einen sehr unberechenbaren Kongress zu Hause. Und ich glaube, im Prinzip - es war seine Überzeugung, dass wir das machen sollen, aber ich glaube, dass das Drängen eigentlich von Litauen, von Warschau kam und nicht so sehr von Washington. Er hat natürlich das Problem zu Hause, das alles zu genehmigen. Aber da brennen so viele Feuer im Raum, da bin ich mal sehr gespannt, was dann tatsächlich dann, wie der Kongress wieder darauf reagieren wird.
    Klein: Von welcher Seite könnte da Widerstand noch drohen?
    Janes: Weil es natürlich die Hauptsache der Rot-Linie ist, also amerikanische Bodentruppen. Also ich glaube, trotz der Tatsache, dass man da streitet über die Frage, gehen wir wieder da rein oder müssen wir hier mal, so wie damals in den 90er-Jahren in den Balkan, uns dort bewegen, wo die Europäer eigentlich dran sind. Ich glaube, das ist dann eine Linie, die er nicht überqueren kann. Aber trotzdem, ich glaube, es gibt hier natürlich eine helle Empörung in dem Kongress gegenüber Putin, und das hilft ihm einfach, zu sagen: Wir stehen - so, wie die Rede gehalten wurde -, wir stehen bei euch. Für manche Leute ist es gar nicht genug, was er da von sich gegeben hat. Aber ich glaube, es ist im Moment auf der Linie, die mehr oder weniger parteipolitisch getragen werden kann.
    Klein: Die Kritiker dieser NATO-Entscheidungen sehen das nun wiederum als unnötige Drohgebärde, da die NATO selbst ja nicht angegriffen wurde, und der Artikel 5, also Beistandsverpflichtung, so oder so gilt. Welches Risiko geht also die NATO und gehen die USA mit diesen Entscheidungen dann doch ein?
    Janes: Ich glaube, es ist tatsächlich ein Risiko, wenn immer Truppen gegenüberstehen, die hatten wir mal in den letzten 70 Jahren mehrmals erlebt. Aber ich meine, im Prinzip ist das eine Bestätigung, die, glaube ich, notwendig war. Nicht nur gegenüber Moskau, sondern auch gegenüber denjenigen Ländern, die wirklich meiner Meinung nach, so wie ich das jetzt empfunden habe, regelrecht Angst haben. Und insofern: Ich glaube, es ist ein Einigungsprozess, der momentan mehr sozusagen eine symbolhafte Präsenz - wir reden ja nicht von hunderttausenden Menschen, sondern von 4.000, aber immerhin. Ich meine, es ist wichtig, Flagge zu zeigen, und ich glaube, das ist damit gemeint.
    "Wichtig, dass er zeigt, dass er noch führen kann"
    Klein: Sie haben es angedeutet: Obama ist von seinen Kritikern innenpolitisch angegriffen worden, auch wegen seiner Reaktionen in der Ukraine-Krise, in diesem Konflikt. Von den Republikanern ist ja auch dafür eine, wie Sie sagen, zögernde Haltung kritisiert worden. Nun weiß man, dass Obamas persönliches Verhältnis zu Wladimir Putin nicht besonders gut ist. Wie hat das im Vorfeld die ganze Haltung in der Krise schon beeinflusst und möglicherweise auch dazu geführt, dass man eben dieser Eskalation jetzt zunächst mal zusehen musste?
    Janes: Ich glaube, dass, wie gesagt, dass - da war in dem Kongress ein sehr, ja, eine gewisse Überraschung, dass er nicht dann eher was gesagt hat und auch getan hat im Hinblick auf das, was da in der Ukraine passiert. Aber es ist schlicht und einfach die Frage: Man kann sich empören, man kann hier aufregen, man kann hier sagen, das darf er nicht tun, der Putin - aber was kann man dann effektiv machen? Und ich glaube, was im Prinzip, was ich finde, Obama richtig macht, ist: Er organisiert die Gesamthaltung von nicht nur Amerika, sondern auch von den Alliierten in Europa. Ich glaube, das ist doch wichtig, und nicht nur dort übrigens, Stichwort ISIS. Und ich glaube, hier ist es dann wichtig, dass er zeigt, dass er noch führen kann. Das ist immer dieser Angriff oder dieser Vorwurf: Du hast das Land geschwächt, wir sind ja nicht mehr zuverlässig und so weiter, und so fort - meiner Meinung nach Quatsch. Aber die Frage ist, inwieweit er dann jetzt sagen kann zu Hause, vor dem Kongress: Wir sind, wir stehen, wir sind eine Allianz, und dazu stehen wir, und wir sind Teil von Leuten, die uns mitstehen. Insofern, ich glaube, das ist die Antwort auf die Kritiker.
    Klein: Ja. Schauen wir noch auf den Konflikt, den Sie gerade angedeutet haben, den anderen großen Kriegs- und Krisenherd im Augenblick im Nordirak, man kann vielleicht auch Syrien mit dazunehmen. John Kerry hat ein Bündnis jetzt gefordert beim NATO-Gipfel gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat, eine Zehnerkoalition ist ausgerufen worden, und dem Präsidenten hat man ja vorgeworfen, dass er eigentlich kein wirkliches strategisches Konzept verfolgen würde. Also wird das seine Kritiker jetzt tatsächlich überzeugen können?
    Janes: Das kommt darauf an, wie das zustande kommt. Ich meine, die Idee ist, dass nicht nur Europäer da involviert sind, sondern auch Leute in der Region, Stichwort Türkei, Saudi-Arabien. Ich glaube, wenn er das schafft, dass der zeigen kann, dass diese Strategie, die gesagt hat, noch nicht da war, wenn er tatsächlich dann zeigen kann, dass dieses Gesamtkonzept sozusagen, einschließlich Europa und in der Region Alliierten, sozusagen mithalten und mitstehen, dann ist das auch wiederum eine Antwort auf die Kritiker. Ich frage mich immer wieder: Was wollen die Kritiker sehen? Und jetzt kommt er an und sagt eben, wir haben jetzt beschlossen, gemeinsam gegen diese Terrorgruppe zu kämpfen. Ja mal sehen, was passiert, aber im Prinzip ist es meiner Meinung nach die richtige Richtung.
    "Image etwas verstärkt"
    Klein: Abschließend: In genau zwei Monaten finden ja die Kongresswahlen statt, die Zwischenwahlen zwischen den Präsidentschaftswahlen. Die außenpolitischen Krisen, über die wir jetzt gesprochen haben, und die Kritik an Obama in diesem Zusammenhang, auch aus seiner eigenen Partei - welchen Einfluss wird das eben möglicherweise dann doch haben, obwohl man ja sagt, dass außenpolitische Themen in der Regel als nicht wahlentscheidend gelten, es sei denn, es geht für die USA um Krieg und Frieden selbst?
    Janes: Ja, das haben Sie richtig erkannt. Ich meine, in diesen Wahlen, diese Zwischenwahlen, ist Außenpolitik wirklich außen, und zwar außen vor. Also es ist ja nicht so ganz unmittelbar die Sorge von denjenigen Leuten, die tatsächlich wählen. Sie wissen, bei uns in den Zwischenwahlen, da gehen viel weniger Leute zur Wahl als in den Präsidentenwahlen. Allerdings aber: Sein Image - und das ist darauf, wo seine Kritiker spielen - ist vielleicht durch diese Aktionen, durch diese Aktivitäten vielleicht etwas verstärkt. Aber im Grunde genommen wird die Wahl im November innenpolitisch geprägt, und danach ist die große Frage: Was hat er dann zu tun, wenn eine Mehrheit im Senat nicht mehr von den Demokraten in Besitz ist? Aber wie gesagt, ich glaube, im November, da ist mehr Innenpolitik als Außenpolitik im Spiel.
    Klein: Der US-Politikwissenschaftler Jackson Janes mit Einschätzungen nach dem NATO-Gipfel in Wales.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.