Dienstag, 19. März 2024

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US-Außenpolitiker Colby
"Handelskrieg mit China war absolut entscheidend"

China sei mittlerweile so mächtig, dass der Westen seine gesamte politische Lage neu überdenken müsse, sagte der US-Außenpolitiker Elbridge Colby im Dlf. Der Handelskrieg habe gezeigt, dass nur die USA stark genug seien, China direkt gegenüberzutreten. Nun müsse Europa China "oben auf die Prioritätenliste" stellen.

Elbridge Colby im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.02.2020
Donald Trump und Liu He unterzeichen an getrennten Tischen nebeneinander sitzend einen Vetrag. Im Hintergrund sind ihre Delegationen sowie die chinesische und die US-Flagge zu sehen.
Ein deutliches Zeichen der Entspannung im Handelsstreit zwischen den USA und China: Im Januar 2020 unterzeichneten US-Präsident Trump und Chinas Vizepremier Liu He ein Handels-Teilabkommen (dpa-bildfunk / AP / Evan Vucci)
Das Verhältnis zwischen den USA und Europa ist schwer angeschlagen, seitdem Donald Trump ins Weiße Haus eingezogen ist. Neben zahlreichen kleineren Konflikten macht vor allem der Streit um Handelsfragen mit der EU oder über das Verteidigungsbudget der NATO immer wieder deutlich, dass es unter den Partnern nicht zum Besten steht.
Elbridge Colby ist US-Außen- und Sicherheitsexperte mit Forschungsschwerpunkt China. Er ist Mitglied der Republikanerwar im US-Verteidigungsministerium und war maßgeblich verantwortlich für die nationale Verteidigungsstrategie 2018 der Trump-Administration. Zudem ist er Mitbegründer der Denkfabrik "Marathon Initiative", die sich vor allem mit dem Wettbewerb der USA mit China auseinandersetzt.
Hören Sie hier das Interview in der englischen Originalfassung

Christiane Kaess: James Colby war letzte Woche an der Münchener Sicherheitskonferenz teilgenommen, wo unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Sorge darüber ausgedrückt hat, dass der Westen seinen internationalen Einfluss verliert und der Multilateralismus ausstirbt. US-Außenminister Mike Pompeo widersprach dem und meinte, ganz im Gegenteil, der Westen würde weiter an Einfluss gewinnen, zusammen sei man stark. Welche Analyse halten Sie für die richtige?
Elbridge Colby: Ich glaube, Minister Pompeo hatte recht. Schauen Sie sich diese hektische Restlessness an, das ist schon etwas übertrieben, vielleicht ganz bewusst. Wenn man sich aber die grundlegende, strategische Realität heutzutage in der Welt anschaut, wie sie auch insbesondere durch die US-Delegation sowohl durch den Minister Esper wie auch durch die Vertreter des Kongresses unterstrichen wurde, dann ist das Hauptproblem China. Da herrscht doch zunehmende Klarheit und auch Übereinstimmung, bei beiden Parteien in Amerika, dass dies jetzt entscheidend ist.
Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz
Münchner Sicherheitskonferenz: Weniger Westen war nie
Die Zunahme der Krisenherde und der wachsende Abstand zwischen den USA und Europa sind zwei der Leitmotive für das Jahrestreffen der geopolitischen Szene. Insgesamt steht die Münchner Sicherheitskonferenz unter dem Motto "Westlessness".
Es wurde sehr viel gesprochen über eine bestimmte Stimmung auf der Konferenz, und ich glaube dennoch, nach und nach sickert es auch in Europa ein, wie großflächig, wie ernsthaft und wie gefährlich die Herausforderung durch China ist. Ich glaube, dieses hektische Stürmen und Drängen ist im Wesentlichen nicht in der Substanz begründet, sondern wir starren jetzt gemeinsam auf ein Problem, das wir vor uns haben, zum Beispiel auch im Blick auf die Verteilung der militärischen Lasten. Letztlich aber gibt es eine rationale Grundlage für Übereinstimmung, und ich glaube, wir gehen jetzt durch diesen Prozess hindurch, hoffe ich.
Interview with Elbridge Colby - Englisch Version (10:19)
"Gleichsetzung von China und USA ist nicht haltbar"
Kaess: Was Steinmeier aber kritisiert hat, ist der Egoismus der Vereinigten Staaten, von China und von Russland und die Tatsache, dass Donald Trump sich nicht viel um die internationale Gemeinschaft kümmert.
Colby: Das halte ich für falsch. Die USA geben weiterhin Sicherheitszusagen für mehr als 30 Länder in der Welt. Wir geben mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus, vor allem auch als freiwillige, private Leistungen, tun die Bürger sehr viel. Also diese Beschreibung, die Sie gegeben haben, ist falsch, und da hört man auch bestimmte Misstöne aus Deutschland.
Insbesondere diese moralische Gleichsetzung zwischen USA und China ist gerade in Deutschland fehl am Platz. Diese Gleichsetzung von China und USA ist nicht haltbar. Schauen Sie es sich an, in dem einen Land hat man buchstäblich Konzentrationslager. Die Bevölkerung in Tibet, Hongkong, in Xinjiang wird dort unterdrückt. Auf der anderen Seite haben wir eine freie Demokratie, wir haben sicherlich auch über den Atlantik hinweg bestimmte Problemstellungen, aber schauen Sie es sich an, die USA tun jetzt mehr für die NATO als in den gesamten letzten 20 Jahren.
NATO Fahne und EU Fähnchen Flagge Fahne Fähnchen Europäische Union EU Sterne Ste
NATO - eine Frage der Sicherheit
Europa kann sich nicht selbst verteidigen - die Diagnose teilen die meisten Staatenlenker. Aber welche Lehren daraus gezogen werden müssen, darüber sind sie sich nicht einig. Und das schwächt den Kontinent. Skizzen aus fünf Ländern.
"Europäer müssen mehr Verantwortung für ihre Verteidigung übernehmen"
Kaess: Auf der anderen Seite hat Trump aber die NATO-Staaten ganz schön unter Druck gesetzt, indem er gesagt hat, die NATO ist obsolet.
Colby: Und dieser Druck musste auch aufgebaut werden. Das hat ja auch bereits Präsident Obama gesagt. Minister Gates hat es gesagt. Diese Botschaft ist aber einfach nicht genügend gehört worden, und deshalb musste jetzt auch Minister Esper das noch einmal rausarbeiten.
Selbstverständlich wollen wir diese Partnerschaft fortsetzen mit einem starken Europa, die USA an der Seite stehen, aber hier taucht eben die Frage des zusätzlichen Beitrages der Europäer auf. Sie müssen mehr Verantwortung für ihre Verteidigung übernehmen, und dafür gibt es ja auch gute Gründe.
Ich glaube, eine gerechte Verteilung ist hier durchaus möglich, nicht in dem Sinne eines dritten Pols, wie das Macron zu befürworten scheint, sondern im Sinne eines größeren Mitspracherechtes. Die Europäer sollen mehr bestimmen können, ja, und nicht nur Europa als solches, sondern auch der Mittelmeerraum insgesamt.
US-Präsident Donald Trump und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sitzen nebeneinander. Macron gestikuliert und Trump schaut ratlos.
Konfliktforscher Dambinski: "Die NATO gibt aktuell ein sehr gespaltenes Bild ab"
Beim Thema Nordsyrien könne man wie Frankreichs Präsident Macron in der Tat das Gefühl haben, die NATO sei "hirntot", sagte der Konfliktforscher Matthias Dembinski im Dlf. Aber wenn es um kollektive Verteidigung gehe, sei das westliche Bündnis "sehr agil und erfindet sich neu".
Kaess: Ist das der richtige Umgang mit Partner, sie unter Druck zu setzen, indem man ihnen sagt, ihr müsst mehr Geld zahlen? Ist es richtig, Europa unter Druck zu setzen wegen seiner Handelspraktiken und mit neuen Zöllen zu drohen?
Colby: Zwei Punkte möchte ich dazu sagen: Wir haben mit diesen netten und höflichen Worten eben in der Vergangenheit keine Erfolge erzielt. Das Aufkommen Chinas ist eine so überwältigende neue strategische Realität, dass wir es einfach nicht zulassen können, dass diese alten Strukturen weiter bestehen. Eine derartige Verbindung, eine militärische Allianz ist keine Liebesbeziehung, es ist mehr als eine Art Geschäftsbeziehung zu sehen.
Schauen Sie sich mal an, was in den 1960er-Jahren geschehen ist. Unser freundlicher amerikanischer Lyndon Johnson hat Westdeutschland ja gezwungen, für das Privileg, dort Raketen stationieren zu dürfen, in Gold zu bezahlen. Wir hatten also durchaus auch schon schwierige Zeiten. Nehmen Sie die 1980er-Jahre, als wir diese Zahlungsbilanzschwierigkeiten im Gefolge der Plaza-Verträge mit Japan hatten. Wir hatten auch mit Korea schon stürmische Gewässer zu durchqueren. Insgesamt, glaube ich, dieses ruhige und freundliche Umgehen miteinander in den letzten 20 Jahren, das war eher das Ungewöhnliche, die Anomalie. Wir haben aber zugelassen, dass dieses ganze System aus dem Tritt gerät.
"USA wird zum ersten Mal nicht mehr die größte Volkswirtschaft dieser Welt sein"
Kaess: In den Artikeln, die Sie schreiben, sehen Sie die Ära, in der wir leben, als eine Ära eines Wettkampfs zwischen den Großmächten. Sie sagen, die größte Herausforderung der USA ist der Wettkampf mit China und Russland. Aber sind nicht andere Herausforderungen, der Terrorismus oder der Klimawandel, nicht viel wichtiger?
Colby: Nun, die Klimafrage ist eine wichtige Frage, die wir freilich unterschiedlich angehen. Es ist klar, dass die Europäer und wir Amerikaner hier unterschiedliche Perspektiven haben, aber all diese Fragen verblassen doch angesichts des Aufkommens von China, angesichts der Größe dieses Problems. Xi Jinping zitiert ja sehr gerne Napoleon, der sagt, wenn China erwacht, dann wird die Welt erschüttert werden.
Zum ersten Mal in 150 Jahren wird die USA nicht mehr die größte Volkswirtschaft dieser Welt sein. Das ist eine ganz grundstürzende neue Realität. Das zieht unser bisherigen transatlantischen Partnerschaft den Boden unter den Füßen weg, denn sie war ja ursprünglich darauf begründet, dass die USA die größte, mächtigste Macht auf dieser Welt sei. So konnten wir also die Dinge einigermaßen treiben lassen.
China ist mittlerweile so mächtig und so selbstbewusst geworden, dass wir unsere gesamte politische Lage neu überdenken und neu aufstellen müssen. Es ist wie ein gewaltige physikalische Realität, die uns zu dieser Änderung zwingt. Ich glaube, die amerikanische Delegation hat es mehr als klar gemacht, dass das ganz oben auf unserer Prioritätenliste steht. Auch für Europa sollte das oben auf der Prioritätenliste stehen.
"USA stark genug, China direkt gegenüberzutreten"
Kaess: Und war es dann der richtige Weg, einen Handelskrieg mit China anzufangen?
Colby: Dieser Handelskrieg war absolut entscheidend, denn wir hatten ja vorher die letzten 20 Jahre in Gefolge von Tiananmen und so weiter die sanfte Tour gefahren. Wir hatten gehofft, China mehr und mehr einzubringen und haben es auch mehr eingebracht in die Staatengemeinschaft, in die Handelsabkommen und so weiter, in der Hoffnung, sie würden sich bessern. Das Gegenteil ist eingetreten.
China betreibt eine starke, expansive, auf Zwang und Rechtsbruch hinzielende Politik. Der Diebstahl geistigen Eigentums geht weiter. Gemeinschaftsunternehmen werden erpresst. Unsere Unternehmen werden misshandelt. China hat das südchinesische Meer militarisiert, trotz anderslautender Zusagen gegenüber Präsident Obama.
All das konnte man tolerieren, solang China schwach und arm war, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann bessern würden, aber jetzt sind sie so stark geworden, und sie treten noch aggressiver auf. Es wäre geradezu irrsinnig, jetzt zu erwarten, dass sie schon irgendwie sich wieder besinnen würden. Deshalb ist dieser Druck, der aufgebaut wurde, notwendig.
Das Entscheidende an diesem Handelskrieg war eben auch, dass nur die USA stark genug sind, China direkt gegenüberzutreten. Die Botschaft von uns an den Rest der Welt ist, auch ihr könnt stark und entschlossen auftreten, vielleicht nicht derart auf Konfrontation bedacht, wie die USA dies nun einmal tun müssen, aber ihr könnt darauf vertrauen, dass wir Raum schaffen für andere, die dann auch etwas ähnliches an den Tag legen können wie wir.
"Auf keinen Fall Huawei eine bedeutende Rolle im eigenen Land spielen lassen"
Kaess: Glauben Sie, dass die europäischen Länder den Einfluss Chinas unterschätzen, wenn wir uns all die Diskussionen darüber anschauen, ob man den chinesischen Konzern Huawei an den neuen Technologien teilhaben lassen soll?
Colby: Ja, in der Tat glaube ich, dass die Europäer hier die Größe des Problems unterschätzen. Man zeigt hier noch die alte Haltung, wonach China in weiter Ferne liege und ein armes Land sei, aber doch auch bedeutende wirtschaftliche Chancen biete, aber so ist es ja nicht.
Was wir tatsächlich sehen, ist, dass China überall bei den näherliegenden Ländern wirtschaftlichen Druck ausübt. Je schwächer sich diese Nachbarländer gegenüber China zeigen desto mehr werden sie ausgenutzt und in die Ecke getrieben. Nehmen Sie Südkorea, Japan, Philippinen, Taiwan, Nepal und so weiter, überall das gleiche Bild.
Selbstverständlich, wir werden weiter Handel treiben mit China, das ist eine Notwendigkeit. Selbstverständlich werden wir weiterhin Handelsbeziehungen mit China pflegen und auch weiterführen müssen, aber wir sollten unsere Anfälligkeit auf ein Minimum reduzieren. Wir sollten es nicht zulassen, dass China diese Möglichkeiten ausnutzt, uns unter Druck zu setzen.
Was Huawei angeht, so würde ich sagen, selbst wenn die USA nicht darauf bestünden, sollte Deutschland auf keinen Fall Huawei irgendwie eine bedeutende Rolle im eigenen Land spielen lassen, insbesondere in diesem Land, das ja so bedacht auf Datenschutz und Datensicherheit ist. Wir wissen es: Huawei hat Sicherheitslücken, und die sind eine offene Flanke, durch die China auf die Daten zugreifen kann.
An der Wand eine blaue Grafik mit Hochhäusern, darüber stehen mit weißer Schrift Huawei und 5G sowie chinesische Schriftzeichen. Vor der Wand links ein Mann, der im Laufen telefoniert, von rechts kommt ein Uniformierter.
5G-Ausbau: EU will Huawei nicht ausschließen
Für die USA ist der chinesische Telekomausrüster Huawei ein rotes Tuch. Großbritannien erlaubt die Beteiligung Huaweis am Aufbau des 5G-Netzes, wenn auch eingeschränkt, die Bundesregierung hat sich noch nicht entschieden. Die EU empfiehlt nun, Huawei nicht von vornherein auszuschließen.
Kaess: War es dann Ihrer Meinung nach ein Fehler, dass Großbritannien Huawei zugelassen hat?
Colby: Ja, es war ein schrecklicher Fehler, es war ein Fehler für die Interessen Großbritanniens. Es war aber auch eine Art Verrat an den Verbündeten, nehmen wir die USA, Australien und andere Länder.
Wenn man sich genauer anschaut, wie verhalten sich die Nachbarländer Chinas: Sie sind am stärksten geneigt, Huawei wirklich zu verbieten. Nehmen Sie Japan, Australien, sogar Vietnam. Da ist auch noch eine moralische Seite zu berücksichtigen, gerade in Deutschland. Deutschland beansprucht ja eine moralische Führungsrolle für sich, und ich glaube auch, dass sie das auch tun, aber dann muss man auch schauen, was in Hongkong geschieht, was in Tibet geschieht. Dann dieses Sozialpunktesystem in Xinjiang.
Das alles muss man doch mit berücksichtigen. Nicht, dass man jetzt die Beziehungen abbräche oder dass man keinen Handel mit China triebe, keineswegs, aber diese moralische Gleichsetzung von China und den USA ist unhaltbar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.