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US-Berichte über Abtreibung
"Das amerikanische Publikum ist fürchterlich falsch informiert"

Geschichten von Bedrohung, Zwang und düsteren Praktiken - zwei Studien bescheinigen US-Medien ein verzerrtes Bild, wenn es um das Thema Abtreibung geht. Vor allem der Fernsehsender Fox News dominiere die Debatte mit vielen Falschmeldungen und Zuspitzungen, die andere Medien übernehmen würden.

Von Sinje Stadtlich | 05.11.2019
Eine Mutter und ein Junge betrachten ein Ultraschall-Bild
"Wenn über Abtreibung berichtet wird, geht es meist nur um politische Kontroversen und überhaupt nicht um den Eingriff an sich", meint Forscherin Katie Woodruff (imago)
Wenn Donald Trumps Lieblings-Fernsehsender Fox News über Abtreibung berichtet, dann klingt das so:
"A culture of death is on the march across America and in the world, in case you haven’t noticed." (Tucker Carlson, "Tucker Carlson Tonight")
"Saying women can carry a baby all the way to birth and then decide not to have that baby." (Ainsley Earhart, "Fox and Friends")
"Grizzly and macaber efforts in New York, Virginia and elsewhere to essentially legalize infanticide." (Laura Ingraham, "The Ingraham Angle")
Eine Kultur des Todes: Frauen, die erst bei der Geburt entscheiden, ein Baby abzutreiben, und Gesetze, die Kindesmord erlauben. Nichts davon stimmt, doch solche Ideen würden die öffentliche Debatte in den USA bestimmen. Und sogar als liberal geltende Sender wie CNN würden ein solches Framing teilweise übernehmen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest die Forscherin Sharon Kann in einer neuen Studie für den kritischen Medien-Watch-Blog "Media Matters".
"Wir haben bei Fox viele zugespitzte Behauptungen über Kindesmord oder Spätabtreibungen gefunden, die danach nicht nur Donald Trump, sondern auch CNN und MSNBC aufgegriffen haben. Das Publikum konnte die andere Seite nicht genügend hören, was nötig gewesen wäre, um diese Falschinformationen zu widerlegen", sagt Kann in einem Radio-Interview.
Morgensendung "Fox and Friends" beim TV-Sender Fox News: US-Außenminister Mike Pompeo als Studiogast im Interview
Die Macht von Fox News
Manchen Moderatoren des konservativen TV-Senders FOX News wird nachgesagt, dass sie einen größeren Einfluss auf US-Präsident Donald Trump haben, als einige seiner engsten Berater. Dabei sollte man die Macht des Senders laut Experten nicht überschätzen.
Viele Falschaussagen werden übernommen
Ihre Studie, die die Berichterstattung der drei großen US-Fernsehsender über den Zeitraum von einem Jahr untersucht hat, zeigt: Fox News dominiert die mediale Debatte mit großem Abstand. 63 Prozent aller untersuchten Berichte kamen von dem Sender. Nur 22 Prozent von MSNBC und 15 von CNN.
Und diese wenigen Berichte der liberalen Sender hätten dann oft die Zuspitzungen von Fox übernommen: Bei MSNBC hat die Forscherin 40 Prozent Falschaussagen gefunden, bei CNN 67.
So wie diese über Abtreibung kurz vorm Durchtrennen der Nabelschnur, das Töten bereits geborener Babies und Kindesmord:
"A bill that allowed abortion almost until you cut the umbilical cord." (Stephen Moore, Erin Burnett Out Front, CNN)
"The baby's still alive and you're talking about killing a child that has already been born." (Sara Sidner, CNN Tonight)
"He called that infanticide." (Chris Cuomo, Prime Time, CNN)
"Medienlandschaft ist extrem parteiisch und gespalten"
Wenn diese Studie auch nicht mehr als eine Momentaufnahme ist, passt sie doch ins größere Bild, sagt Katie Woodruff von der University of California. Sie hat über längere Zeiträume Berichterstattung über Abtreibung erforscht.
"Das amerikanische Publikum ist fürchterlich falsch informiert über Abtreibungen. Unsere Medienlandschaft ist – wie unsere Politik – extrem parteiisch und gespalten. Und Fox News erzählt seinen Zuschauern die Geschichte, die sie hören wollen. Eine Geschichte von Bedrohung, Zwang und allen möglichen düsteren Praktiken, von denen keine einzige in diesem Land wirklich stattfindet."
"Wirkliche Geschichten von Frauen werden fast gar nicht erzählt"
Doch es geht nicht nur um die sensationslüsternen Fox-Geschichten. Woodruff hat vor allem zu Zeitungsberichten geforscht. Ihre letzte Studie untersuchte Artikel von "New York Times", "Washington Post" und der Nachrichtenagentur AP.
"Wenn über Abtreibung berichtet wird, geht es meist nur um politische Kontroversen und überhaupt nicht um den Eingriff an sich. Wirkliche Geschichten von Frauen werden fast gar nicht erzählt. Stattdessen fokussieren sich Medien dann auf die extrem seltenen und tragischen Fälle, in denen die Frau entweder stirbt oder schwere Schäden davonträgt."
Proteste gegen den Paragrafen 218.
Debatte um Abtreibungen: Das Recht auf Leben und Selbstbestimmung
Es war eine der längsten und eindrucksvollsten Debatten, die je im Deutschen Bundestag geführt wurden: Vor 25 Jahren entschied das Parlament über die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch.
Die Journalistin Jennifer Gerson schreibt über ganz normale Frauen, die abgetrieben haben. Ihre Geschichten erscheinen vor allem in Frauenmagazinen. Berichterstattung über Abtreibung ist für sie immer eine Gratwanderung.
"Manchmal habe ich den Eindruck, dass Medien so sehr ausgewogen berichten wollen – so nach dem Motto, der Eine hat dies gesagt und der Andere hat das gesagt –, aber wenn die eine Seite etwas faktisch Falsches sagt, dann ist das ein Problem. Reporter müssen einfach ihre Hausaufgaben machen und sicherstellen, dass sie die Dinge medizinisch korrekt berichten und nicht, weil sie so absolut ausgewogen sein wollen, am Ende falsche Informationen wiederholen."
Keine Berichte über die Studien-Ergebnisse
Warum die liberalen Sender bei falschen Informationen auf Fox News nicht stärker dagegenhalten, das hat die "Media Matters"-Studie nicht untersucht. Sie hat vor allem die Aussagen zu Abtreibung gezählt – und dabei den Begriff der "Falschaussage" sehr streng definiert.
Auch wenn das die Ergebnisse vielleicht ein wenig verzerrt, bleibt der Appell an andere Medien, sich nicht von Fox News vor sich hertreiben zu lassen. Über die Studienergebnisse hat übrigens keines der großen US-Medien berichtet.