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US-Bundesstaat Texas
Freiwillige kämpfen für inhaftierte Flüchtlinge

Der Umgang mit Migranten gehört zu den strittigsten Themen im US-Präsidentschaftswahlkampf. Nicht zuletzt, weil Donald Trump elf Millionen illegale Einwanderer aus dem Land werfen will. Auch jetzt schon gehen die Behörden hart gegen Flüchtlinge vor, selbst Frauen und Kinder werden inhaftiert. Doch in Texas wollen engagierte Bürger dabei nicht tatenlos zusehen.

Von Jasper Barenberg | 31.10.2016
    Ein US-Polizist steht an einem Grenzzaun. Vor ihm sitzen zwei Jugendliche im Sand.
    Ein US-Polizist stellt zwei mexikanische Jugendliche zur Rede, die versucht haben, die Grenze in die USA zu überqueren (undatierte Aufnahme). (picture-alliance / dpa)
    Kein Schild weist den Weg zu diesem Ort, einer staubigen Schotterfläche inmitten von weitem Grasland. Bei einbrechender Dunkelheit beleuchten Scheinwerfer einen meterhohen Zaun aus Maschendraht. Hinter Sichtschutzplanen lassen sich Dutzende Baracken erahnen. Auf dem Parkplatz sind Plätze für den Direktor reserviert und den Staatsanwalt. Keiner für Besucher. Ich würde große Schwierigkeiten haben, überhaupt hinein zu kommen. Das haben sie mir von Anfang an gesagt bei CARA, einer Dachorganisation verschiedener Bürgerrechtsgruppen. Die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE müsste zustimmen, außerdem der private Betreiber. Aufnahmen im Inneren wären wahrscheinlich ohnehin verboten.
    Also habe ich mich mit Bree Bernwanger in einem Hotel am Highway ganz in der Nähe verabredet. Um über einen Ort zu sprechen, dem Beamte einen fürsorglich klingenden Namen gegeben haben: South Texas Family Residential Center.
    Bree Bernwanger, Anwältin der Bürgerrechtsorganisation CARA
    Bree Bernwanger, Anwältin der Bürgerrechtsorganisation CARA (Deutschlandradio / Jasper Barenberg)
    Für die Anwältin aber unterhält der Staat hier keine Wohnsiedlung für Familien sondern ein Gefängnis. Einen Ort der Schande. An dem bis zu 2.400 Mütter mit ihren minderjährigen Kindern festgehalten werden. Geflohene, die allermeisten aus Honduras, aus El Salvador oder aus Guatemala. Mit Absicht inhaftiert in einem kleinen Kaff am Ende der Welt, über eine Autostunde entfernt von der nächsten Anwaltskanzlei in der Großstadt San Antonio.
    Ehrenamtliche Beratung seit Anfang des Jahres
    "It seems very intentional. We’re in the middle of nowhere in Texas.There are no legal services in this town. The nearest city is San Antonio which is over an hour away. It feels very intentional that no one finds out that this place exists!”
    Anfang des Jahres hat Bree Bernwanger zum ersten Mal zuhause alles stehen und liegen lassen, um die Frauen ehrenamtlich zu beraten. Inzwischen koordiniert sie für CARA den Einsatz der freiwilligen Helfer. Bei Tacos, Salat und Bier setzen sich zehn von ihnen an diesem Donnerstagabend noch einmal zusammen. Bevor sie wieder nach Hause zurückkehren. Wie John Lemacks. In Los Angeles vermittelt seine Kanzlei hochqualifizierte Facharbeiter an Unternehmen. Hier im Städtchen Dilley ist er nach einer Woche geschafft. Überwältigt.
    John Lemacks, einer der ehrenamtlichen Anwälte
    John Lemacks, einer der ehrenamtlichen Anwälte (Deutschlandradio / Jasper Barenberg)
    Frauen berichten von Gewalt, Drogen und Mord
    "It’s overwhelming….It’s at that point where….you know…I’m usually…(hustet)…I’m getting a little sick…" John Lamacks fühlt sich krank. Mit 170 Frauen hat die Gruppe im Schnitt jeden Tag gesprochen. Alle wollen Asyl. Alle berichten von Ganggewalt, Drogen und Mord in ihrer Heimat. Alle haben sich allein und auf eigene Faust auf den Weg gemacht und wurden festgenommen. Allen droht die Abschiebung.
    "Diese Frauen haben Angst zu reden oder sind unsicher. Und es sind so viele! Und wir haben nie genug Zeit für sie! Uns geht es vor allem darum, dass der Asylbeamte ihre Angst vor Verfolgung für glaubwürdig hält."
    Und genau das, erzählt Bree Bernwanger, gelingt den ehrenamtlichen Anwälten inzwischen in neun von zehn Fällen: "Über 90 Prozent der Frauen, die wir beraten, werden am Ende aus dieser Haftanstalt entlassen! Dann haben sie noch kein Asyl. Aber doch die Möglichkeit, ihren Fall vor ein Einwanderungsgericht zu bringen. Es ist eine unglaubliche Verschwendung von Geld! Es ist nichts als Abschreckung. Der Versuch, es ihnen hier so schwer zu machen, dass sie aufgeben."
    Entlassene Flüchtlinge am Busbahnhof von San Antonio, Texas
    Entlassene Flüchtlinge am Busbahnhof von San Antonio, Texas (Deutschlandradio / Jasper Barenberg)
    Jamira Lopez Lucas flüchtete mit drei Kindern aus Guatemala
    Ein Haus in einem ruhigen Wohnviertel von San Antonio, 100 Kilometer nördlich von Dilley. Hier unterstützt das Hilfsbündnis Raices Frauen, die aus einem solchen Detention Center entlassen wurden. Die meisten wollen weiter zu Verwandten irgendwo in den USA. Viele aber stranden zunächst orientierungslos am Flughafen oder am Busbahnhof. Ihnen bieten Helfer an, ein paar Tage im Haus zur Ruhe zu kommen. Zu duschen. Mit ihren Angehörigen zu telefonieren. Yohannes Birhane hat gerade einige Frauen mit ihren Kindern am Bahnhof aufgelesen. Wie viele mitkommen, weiß er nie, wenn er sich auf den Weg macht.
    "Manchmal bereitet man Essen für zehn vor, aber dann kommen 20 oder 30 mit. Dann muss man sich schnell etwas einfallen lassen. Manchmal haben wir hier nicht genug Platz für alle. Dann legen wir überall Matratzen aus, auch in den Fluren!"
    All das hat auch Jamira Lopez Lucas erlebt. Die Flucht, die Haft, die Ungewissheit danach. Jetzt steht sie am Gasherd in der großen Küche und verrührt in einer großen Pfanne gebratenen Reis mit Mais und Erbsen. Sie wischt sich die Tränen aus den Augen, wenn sie an die Flucht mit ihren drei Kindern aus Guatemala zurückdenkt: "Sie haben Mitglieder meiner Familie getötet. Sie wollten meinen älteren Sohn zwingen, beim Drogenhandel mitzumachen. Sonst würden sie ihn töten – und danach seinen Bruder. Und danach mich. In diesem Moment habe ich beschlossen, dass es besser ist, hier her zu kommen."
    Im Schutzhaus von RAICES in San Antonio wird gekocht.
    Im Schutzhaus von RAICES in San Antonio wird gekocht. (Deutschlandradio / Jasper Barenberg)
    "Obama könnte die Inhaftierung von Familien heute beenden!"
    Inzwischen gehen ihre Kinder in San Antonio zur Schule. Und Jamira hofft darauf, dass sie in den USA bleiben und aufwachsen können. Und später vielleicht studieren. Dafür kämpft auch Amy Fischer. Die heute im Schutzhaus in San Antonio zu Besuch ist, sonst aber in Washington für die Interessen der Migranten eintritt. Und die Präsident Obama persönlich dafür verantwortlich macht, dass gerade flüchtende Frauen und Kinder unmenschlich und ungerecht behandelt würden.
    Amy Fischer, Policy Direktor der Flüchtingsorganisation RAICES
    Amy Fischer, Policy Direktor der Flüchtingsorganisation RAICES (Deutschlandradio / Jasper Barenberg)
    "Es gibt tausend Dinge, die er sofort tun könnte. Aber er zieht es vor, sie nicht zu tun! Er könnte die Inhaftierung von Familien heute beenden! Er könnte Abschiebungen heute stoppen! Er könnte die Razzien heute stoppen! Aber schon viel zu lange spielen die Demokraten ein politisches Spiel mit dem Leben von Einwanderern!" Auf die Kandidatin der Demokraten setzt Amy Fisher deshalb geringe Hoffnungen. Im Vergleich zu Donald Trump hält sie Hillary Clinton bestenfalls für das geringere von zwei Übeln. Eines weiß sie schon jetzt sicher: Egal wer gewinnt, sie wird auch nach der Wahl für Zuwanderer kämpfen müssen.