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US-Film "Concussion"
Die Entlarvung des Gladiatoren-Ethos

Ein Hollywood-Film hat zum ersten Mal seit Langem das Potenzial, eine gesellschaftliche Debatte zu initiieren: Der Film "Concussion" thematisiert die Brutalität der beliebtesten Sportart Amerikas und die schweren Gesundheitsrisiken für Football-Spieler.

Von Jürgen Kalwa | 29.12.2015
    Marion Barber (l.) von Dallas Cowboys und Al Harris (r.) von den Greenbay Packers im Texas Stadium in Irving, aufgenommen 2007
    Kann zu schwerwiegenden Hirnverletzungen führen: Amerikas beliebteste Sportart Football (Im Bild: Marion Barber (l.) von Dallas Cowboys und Al Harris (r.) von den Greenbay Packers im Texas Stadium in Irving) (picture alliance / dpa / epa Larry W. Smith)
    Die erste eindeutige Reaktion kam bereits kurz vor der Filmpremiere: Die Nachricht aus Washington, dass sich demnächst ein Unterausschuss im Kongress um das Thema kümmern wird.
    Dies ist genauso wie das enorme Medienecho ein deutliches Zeichen dafür, dass bestimmte Themen mehr gesellschaftspolitische Kraft erhalten, wenn sich Hollywood ihrer annimmt. "Concussion", dem neuen Film von Will Smith, gelingt das. Und das trotz des eher unbekömmlichen Stoffs: Den schweren Folgeschäden, die Footballspieler beim Kampf Mann gegen Mann im tiefen Innern ihres Gehirns erleiden.
    "I found a disease that nobody has ever seen. Repetitive head trauma chokes the brain."
    "Das Gehirn wird erstickt", sagt Smith, der in diesem Film den Nigerianer Dr. Bennet Omalu spielt. Omalu hat diese schwere Erkrankung - genannt CTE - als Erster bei der Obduktion von toten Footballprofis in Pittsburgh festgestellt. Football war schon immer ein knüppelhartes Spiel, das für kaputte Knochen, Gelenke und ausgeleierte Bänder sorgt. Dass es zu früher Demenz, zu Alzheimer, zu Depression führt und in einigen Fällen sogar zum Selbstmord, ist eine neuere Erkenntnis. Etwas was der Kino-Film nun sehr plastisch einem großen Publikum vorführt. Genauso wie die Sorge der Funktionäre und Mediziner, die Omalu kalt zu stellen versuchten:
    "Do you understand the impact of what your are doing? If just 10 percent of the mothers in America decide that football is too dangerous for their sons to play that is the end of football."
    "Es brauchen nur 10 Prozent der amerikanischen Mütter Football für gefährlich halten – das wäre das Ende für das Spiel". Erwachsene können selbst entscheiden, ob und wie sie ihre Haut zu Markte tragen. Bei Sportlern unter 18 haben Eltern das letzte Wort. Sollte es so kommen, dann sicher nicht morgen oder übermorgen. Dazu muss die dringend notwendige gesellschaftliche Debatte erst richtig auf Touren kommen.
    "The game is our religion"
    Aber damit rechnet Professor John Hoberman von der Universität Texas in Austin durchaus. Sein Fachgebiet sind Germanische Sprachen, aber sein besonderes Interesse gilt der Sportwissenschaft. So thematisierte er mit seinem Buch "Darwin's Athletes" den Rassismus im amerikanischen Sport.
    "Die meisten Sportfilme sind entweder sentimentale oder heroische Dramen oder vielleicht beides. In diesem Fall haben wir es mit einem kritischen, polemischen und meines Erachtens politischen Film zu tun. In den anderen Medien sieht man Zeichen dafür, dass der Film eine Wirkung haben könnte. Es kommt darauf an, ob wir einen sogenannten Schneeball-Effekt erfahren werden."
    Vermutlich schon, denn das perverse, tief in der amerikanischen Psyche verankerte Gladiatoren-Ethos entlarvt "Concussion". Genauso wie jene übertriebene Rolle der Sportart in der amerikanischen Gesellschaft. In der Werbung für ein Videospiel wurde sie so hochgejubelt:
    "When America goes to church we go to war. While they pray for salvation we play for survival. This is our cathedral. The game is our religion."
    "Eine Art schwarze Selbstbehauptung"
    Die größte Kathedrale ist übrigens die National Football League, die zehn Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr macht. Keine Liga auf der Welt erwirtschaftet mehr. Darunter existiert ein traditionsverhaftetes System der Nachwuchsförderung an Schulen und Universitäten. Dies dürfte zum eigentlichen Schlachtfeld der heraufdrängenden Auseinandersetzung werden.
    Für Professor Hoberman macht "Concussion" aber auch noch auf etwas anderes aufmerksam: die Hautfarbe. Das war schon immer prekär. Aber in Zeiten von Protestbewegungen wie "Black Lives Matter" und Polizeibrutalität gegen schwarze Amerikaner ist das ein weiterer Blick auf die Beziehungen zwischen den ethnischen Gruppen. Denn im Football sind 70 Prozent der Spieler schwarz. Football ist nicht länger nur Symbol für gesellschaftlichen Aufstieg und Emanzipation, sondern für ein System, das sich an der Leidensbereitschaft der Unterschicht weidet.
    "Im Film ist der Held ein afrikanischer Naturwissenschaftler. Bei uns ist so ein Mann eine Seltenheit. In diesem Zusammenhang betrachte ich den Film als einen Protestfilm. Als eine Art schwarze Selbstbehauptung."