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US-Geophysiker
Rebellion gegen eigene Fachgesellschaft

Die Amerikanische Geophysikalische Union (AGU) ist eine der größten Wissenschaftsorganisationen der Welt. Jetzt erlebt sie einen Aufstand in den eigenen Reihen: Über 250 Mitglieder haben das Präsidium aufgefordert, nicht länger Sponsorengelder von ExxonMobil anzunehmen, weil der Energiekonzern schon seit Jahrzehnten mit Institutionen verquickt sei, die den Klimawandel leugneten.

Von Volker Mrasek | 02.05.2016
    Ausgetrockneter Boden vor einem Kohlekraftwerk
    Ausgetrockneter Boden vor einem Kohlekraftwerk (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Eine ehrwürdige Wissenschaftsgesellschaft gerät in den Strudel der hitzigen Klimadebatte in den USA. Inzwischen sind es über 250 Forscher, die gegen die Führung der Amerikanische Geophysikalischen Union, kurz AGU rebellieren. Die meisten von ihnen sind selbst Mitglieder. Sie wollen den Energiekonzern ExxonMobil nicht länger als Sponsor der Fachgesellschaft. Es gebe eine - so wörtlich - "bestens dokumentierte Komplizenschaft" der Firma mit Leugnern des Klimawandels.
    Das steht im Offenen Brief der Forscher an die AGU-Spitze. Auch Charles Green hat mit unterschrieben. Er ist Professor für Erdsystemforschung an der Cornell University in den USA:
    "Die AGU hat eine Satzung. Und die sagt ganz klar: Organisationen, die wissenschaftliche Falschinformationen verbreiten, dürfen keine Tagungen oder anderen Aktivitäten der Gesellschaft sponsern. Wir haben genügend Belege für drei Jahrzehnte eines solchen Fehlverhaltens von ExxonMobil.
    Die AGU richtet jedes Jahr die weltgrößte Fachkonferenz für Geo- und Weltraumwissenschaften aus. Diese Tagung hat ExxonMobil zuletzt mit 35.000 Dollar gesponsert. Und das wird der Firma auch in diesem Jahr gestattet sein. Denn der Vorstand der AGU hat jetzt entschieden, die Beziehung zu dem Öl- und Gas-Multi nicht aufzukündigen. Präsidentin Margaret Leinen:
    "Wir haben eindeutige Belege dafür gefunden, dass ExxonMobil die Verbreitung wissenschaftlicher Falschinformationen gefördert hat. Aber nur bis zum Jahr 2005, nicht für die Zeit danach. Heute bekundet der Konzern öffentlich, dass der Mensch das Klima maßgeblich verändert. Wenn jemand die Öffentlichkeit nicht mehr bewusst irreführt, sondern seinen Standpunkt ändert und die Wissenschaft akzeptiert, ist das eine gute Sache! Und wir wollten ExxonMobil nicht für etwas bestrafen, was sie früher getan haben."
    Naomi Oreskes ist langjähriges Mitglied der AGU und enttäuscht von dieser Entscheidung, wie sie sagt. Die Geologin lehrt als Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University. Und hat ein Buch über die Zirkel der Klimaskeptiker in den USA geschrieben. Es heißt "Händler des Zweifels".
    "ExxonMobil attackiert Klimaforscher nicht selbst, sondern unterstützt andere Organisationen, die das machen. Diese Think Tanks sind von ExxonMobil massiv finanziert worden. Wir haben stichhaltige Belege dafür, dass das bis zum heutigen Tag geschieht. Es ist schwer zu verstehen, warum der Spitze unserer Fachgesellschaft diese Belege nicht ausreichen."
    Die Forscherin hebt damit auf ein neues Dossier ab. Es lag dem Offenen Brief an den AGU-Vorstand bei und beleuchtet bekannt gewordene Verbindungen und Geldspritzen des Konzerns.
    ExxonMobil leugnet nicht, solche Think Tanks gefördert zu haben. Laut Pressesprecher Alan Jeffers beschränkte sich das aber auf die Zeit der Diskussionen um das Kyoto-Klimaschutzprotokoll von 1997. ExxonMobil und andere Konzerne lehnten es ab. Sie befürchteten damals Nachteile für ihr Geschäft.
    "Seit damals haben wir keine dieser Gruppen mehr unterstützt. Und das ist jetzt über ein Jahrzehnt her. Es gibt nur eine Ausnahme: Wir fördern ALEC mit - ich glaube - 25.000 Dollar."
    ALEC ist eine konservative Lobbyorganisation, die versucht, Einfluss auf die Gesetzgebung in den USA zu nehmen
    "Wir haben sie nicht wegen irgendetwas unterstützt, was mit dem Klima zu tun hat. Es geht uns hier nur um Fragen der Steuerpolitik. Soweit wir wissen, nimmt ALEC keine Position ein, die den Klimawandel in Frage stellt."
    Das liest sich im Dossier der AGU-Rebellen anders. Demnach zahlte ExxonMobil zumindest bis vorletztes Jahr fast vier Millionen Dollar an das American Enterprise Institute, das schon mal viel Geld für Artikel gegen den Weltklimarat auslobte. Und was ALEC anbelangt: Andere Konzerne kündigten ihre Mitgliedschaft. Sie könnten den klimaskeptischen Standpunkt der Organisation nicht länger akzeptieren, wie es hieß.
    Die Führung der AGU hält an ihrem Sponsor fest. Viele Kritiker dieser Entscheidung wollen das nicht hinnehmen. Manche kündigten ihren Austritt aus der Fachgesellschaft an. Andere wollen künftig AGU-Tagungen boykottieren, solange ExxonMobil dort noch immer als Sponsor auftritt.