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US-Gesundheitswesen
Abschaffung von Obamacare spaltet Trumps Anhänger

US-Präsident Donald Trump wollte gleich zu Beginn seiner Amtszeit die verpflichtende Krankenversicherung in den USA abschaffen. Mit diesem Plan scheiterte er im Kongress und im Senat mehrfach. Trumps Wähler, von denen viele von dieser Entscheidung betroffen wären, reagieren ganz unterschiedlich.

Von Antje Passenheim | 31.07.2017
    Menschen protestieren im Juli 2017 in New York für die Krankenversicherung.
    Menschen protestieren im Juli 2017 in New York für die Krankenversicherung. (AFP/ Bryan R. Smith)
    Carney Follet ist ratlos. Warum müssen die Republikaner so kämpfen, um das durchzusetzen, was Präsident Trump ihnen doch am Tag 1 seiner Amtszeit versprochen hat? Die Absetzung von Obamacare.
    Wo sie doch die Mehrheit im Kongress haben. Mit ihrer Freundin Doris sitzt Carney im einzigen Farmercafe von Union. Einem 1000-Einwohnernest in West Virginia. Carney und Doris rätseln.
    Dass es die Medien sind, die Trump immer fertig machen, schimpft Carney. Gebt ihm doch eine Chance! Denn schließlich haben in ihrem Wahlkreis 98 Prozent für Trump gestimmt. Und viele gerade deshalb, weil sie sich keine teure Krankenversicherung vorschreiben lassen wollen. Nicht alle dachten von vornherein so, sagt Bill Schiffer vom Tisch gegenüber. Doch das habe sich geändert:
    Viele Menschen sehen nur die eigenen Versicherungsbeiträge
    "Als wir nämlich merkten, dass die gesetzlich verschriebene bezahlbare Krankenversicherung gar nicht bezahlbar ist. Dass die Behandlungs-Zuzahlungen für viele von 1000 Dollar auf das Siebenfache anstiegen und die Versicherungsprämien durch die Decke gingen."
    Wir müssen uns versichern. Aber ich kann mir das nicht leisten, sagt eine dünne Frau mit Brille und großen Zahnlücken in ihrem Mund. 50,60 Dollar im Monat und dann noch Zuzahlungen beim Arzt. Das geht nicht, wenn man nur ab und zu einen Putzjob hat.
    Alice sucht lieber Hilfe in einer kostenlosen Klinik. Das Monroe Health Center ist hier die einzige Klinik im Umkreis von 30 Autominuten. Rund 30.000 Patienten im Jahr lassen sich helfen. In der Klinik, die vor 40 Jahren für Bedürftige gegründet wurde - da gab es Obamacare noch nicht. Inzwischen kommen sie alle: staatlich wie privat Versicherte. Doch immer noch gibt es viele wie Alice, die können sich selbst die Grundversicherung nicht leisten. Oder werden von niedergelassenen Ärzten abgewiesen, weil sie nicht rentabel sind. Die größte Gruppe der Patienten hier.
    Diesen Arzt hier kann ich mir leisten, sagt Alice. 5 Dollar statt 50 - das sei doch ein Unterschied. Ausgeglichen wird das von den anderen Patienten, erklärt Rebekah Stone, die in der Monroe Health Clinic die Finanzen managt. Und erst mal aufgeatmet hat, als die Gesundheitsreform vergangene Woche noch ungeschoren durch den Senat kam.
    Würde die Obamacare gekippt, hätte das große Auswirkungen auf ihre Klinik. Denn seit der Reform gibt es hier mehr Personal und bessere Geräte. Ein Rückdrehen würde die Einrichtung schwer treffen.
    Doch viele Menschen sehen das nicht, sagt Rebekah. Sie sehen lediglich ihre eigenen Versicherungsbeiträge. Und die ihrer Nachbarn und Kollegen. Und sehen, dass sie Menschen mit durchziehen, die selber nicht arbeiten. Freiwillig helfen die Amerikaner gern, erklärt Rebekah - aber nicht, wenn sie dazu vom Staat gezwungen werden.
    Vieles an der Reform muss noch verbessert werden
    Vieles an der Reform muss noch verbessert werden, aber das ist machbar. Einfach sogar, sagt Shay Lockwood.
    In einem kleinen Holzhaus, weitab von Union, lebt die Krankenschwester mit ihrem Mann. Seit einem Unfall in einer Kohlemine wurde er arbeitsunfähig. Er ist Demokrat. Sie überzeugte Republikanerin. Und war eine der ersten, die Obamas Gesundheitsreform mit angeschoben hat. In ihrer Kommune half Shay Menschen, sich für die gesetzliche Versicherung zu qualifizieren.
    Ich war damals überwältigt von dem Ansturm, sagt sie. Die Leute kamen sogar zu mir nach Hause, um sich dabei helfen zu lassen. Dass sich der Wind so gegen die Reform gedreht hat, sieht sie als Katastrophe. Ohne Obamacare würden all diese Menschen wieder ihre Versicherung verlieren. Die Notaufnahmen würden wieder aus allen Nähten platzen. Die Betten wären voll von Menschen, die nicht dafür zahlen können. Der finanzielle Garaus der Kliniken wäre das. Gerade hier, inmitten der Kohlebrachen. Wo die Hälfte der Erwerbsfähigen keine Jobs mehr hat.
    Diese Gegend hat eine der höchsten Sterblichkeitsraten der USA. Viele Menschen würden früher sterben. Diabetiker, die nicht behandelt würden, bekämen Nieren- oder Herzkrankheiten. Unsere Männer, die den Kohlestaub in den Minen eingeatmet haben, leiden unter Atemkrankheiten. Viele könnten sich keinen Arzt mehr leisten. Das wäre eine fatale Entwicklung.
    Die erfahrene Krankenschwester tröstet sich. Nicht nur, dass der Senat das Ende von Obamacare erneut ausgebremst hat. Nicht nur, dass auch in den Reihen der Republikaner immer mehr Widerstand wächst. Auch viele Trump-Wähler in West Virginia denken darüber nach, wenn sie in ihren leeren Kühlaschrank schauen. Und sich vorstellen, dass sie künftig auch ihre Arztrechnungen und Medikamente wieder selber zahlen sollen.
    Shay weiß: In der Trump-Hochburg West Virginia ist sie inzwischen nicht die einzige, die hofft: Die Parteien im fünf Stunden entfernten Washington, werden ihre Gräben überkommen, um die Krankenversicherung für Millionen Menschen wiederzubeleben.