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US-Kernkraftwerke auf dem Prüfstand?

Energie.- Während in Europa Stresstests für Atomkraftwerke beschlossen werden, zeigen die USA wenig Reaktionen auf die Katastrophe in Japan. Dabei sind Erdbeben auch in einigen Teilen Nordamerikas keine Seltenheit. Ein Beispiel: das umstrittene Atomkraftwerk Diablo Canyon in Kalifornien.

Von Jenny von Sperber | 21.03.2011
    Das Atomkraftwerk Diablo Canyon liegt an der Küste Kaliforniens, in einem Erdbebengebiet. Spalten und Verwerfungen durchziehen hier den Untergrund; pro Jahr werden etwa 10.000 Erdstöße gemessen. Nur fünf Kilometer vom Kraftwerk entfernt entdeckten Seismologen 1969 einen Graben vor der Küste, der Erdbeben der Magnituden-Stärke 7,5 auslösen könnte. Daraufhin musste der Betreiber den Meiler Diablo Canyon für fast fünf Milliarden Dollar nachrüsten.

    Vor zwei Jahren dann machte eine Seismologin des U.S. Geological Survey, Jeanne Hardebeck, wieder eine alarmierende Entdeckung: Eine weitere Spalte direkt vor der Küste, diesmal nur wenige hundert Meter von den Reaktoren entfernt.

    "Um herauszufinden, wie stark ein Erdbeben sein könnte, das von dieser neu entdeckten Spalte ausgeht, haben wir uns die Länge der Spalte angeschaut und sie mit den Längen anderer Spalten verglichen, von denen wir Daten zur Schwere der hervorgerufenen Beben kennen. Diese neue, die Shoreline-Spalte ist ungefähr 25 Kilometer lang. Das deutet darauf hin, dass hier ein Beben der Stärke 6,5 entstehen kann."

    Die Geologen des Kraftwerkbetreibers sehen in der neu entdeckten Erdbebenspalte jedoch kein erhöhtes Risiko. Die teuren Nachrüstungen der frühen 70er-Jahre hätten das Kraftwerk bereits gegen Erdbeben der Magnitude 7,5 auf der Richterskala abgesichert. So schreibt eine leitende Ingenieurin auf der Internetseite des Unternehmens:

    "Wir haben detaillierte Studien über die Shoreline-Spalte durchgeführt und sind zu dem wissenschaftlichen Ergebnis gekommen, dass Diablo Canyon gegen stärkere Erdbeben abgesichert ist, als die Shoreline-Spalte generieren kann. Die Behörde für Nuklearsicherheit NRC hat diese Bemessungen bestätigt."

    Doch auch in Japan hat die Stärke des Bebens die Experten überrascht. Die Natur hat das Worstcase-Szenario noch übertroffen. Erdbeben lassen sich nicht exakt berechnen, zu komplex sind die Vorgänge unter der Erdoberfläche, erklärt Geologin Jeanne Hardebeck:

    "Da ist sicherlich eine gewisse Spannbreite an Unsicherheit, was die Schwere einiger Erdbeben von den Offshore-Spalten angeht. Für die Shoreline-Spalte haben wir eine maximale Magnitude von 6,5 berechnet und für die Hosgri-Spalte weiter draußen von 7,5. Aber natürlich gibt es da eine gewisse Unsicherheit bei diesen Zahlen."

    Eine weitere Sorge der Wissenschaftler sind Tsunamis. Zwar schieben sich die Platten vor der kalifornischen Küste nicht übereinander, wie in Japan, und sind deswegen nicht in der Lage, einen großen Tsunami auszulösen. Aber Berechnungen zeigen, dass ein schweres Erdbeben durch einen Erdrutsch lokale Tsunamis auslösen könnte. Und die wären im schlimmsten Fall höher als die etwas mehr als neun Meter hohe Schutzmauer beim Diablo Canyon.

    Was Anwohner und Wissenschaftler hier verunsichert, sieht der Nuklearwissenschaftler Michael Golay vom Massachussetts Institute of Technology als Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse:

    "Es ist allseits bekannt, dass die Kernkraftwerke dieser Welt nicht dazu gebaut sind, den stärksten Erdbeben stand zu halten. Es ist vielmehr so, dass die Gesellschaften bestimmte Baupläne für Kernkraftwerke entwickelt haben und zwar unter der Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit für ein solch starkes Beben niedrig genug ist, dass man es akzeptieren kann. Das haben sie auch in Japan gemacht und haben Pech gehabt. Ich meine, die verschiedenen Gesellschaften haben sich dafür entschieden, dieses Risiko zu tragen. Man wird sich nie gegen alles absichern, was passieren könnte."

    Der Betreiber des Kernkraftwerks Diablo Canyon möchte dieses Risiko auch in Zukunft eingehen. Er will eine Laufzeitverlängerung bis 2045 beantragen. Und bisher hat die Behörde für Nuklearsicherheit NRC noch keinen dieser Anträge abgelehnt. Das liegt daran, dass die Kriterien bei der Überprüfung der alten Kraftwerke nicht umfangreich genug seien, sagt David Lochbaum von der Union for Concerned Scientists, einer unabhängigen Gruppe Wissenschaftler, die sich seit 40 Jahren für mehr Sicherheit in amerikanischen Atomkraftwerken einsetzt.

    "Viele Probleme, mit denen Kernkraftwerke konfrontiert werden könnten, fallen nicht mehr in den Bereich der NRC. Ob sie einem Flugzeugabsturz standhalten zum Beispiel. Oder ob es genug Platz für die benutzten Brennstäbe gibt, Atommüllprobleme. Mit dem engen Fokus, den sie haben, ist es für die NRC sehr einfach zu entscheiden, dass alles in Ordnung ist für eine Verlängerung der Laufzeit."

    Die Wissenschaftler-Vereinigung kritisiert zudem die unzureichenden Evakuierungspläne für den Fall einer Kernschmelze. Während die US-Behörde ihre Landsleute in Japan in einem Umkreis von mindestens 80 Kilometern um den Havarieort zur Evakuierung aufgefordert hat, gebe es für einen solchen Fall im eigenen Land keinerlei Pläne. Bei einer Anhörung im US-Senat am vergangenen Mittwoch beklagte dies Edwin Lyman von der Union for Concerned:

    "Wenn wir einen Unfall wie in Japan hätten, gäbe es keine Pläne, die eine Evakuierung für einen größeren Radius als 16 Kilometer um die Unfallstelle regeln. Je nach Kraftwerk ist die Vorstellung von einer spontanen Evakuierung im 80-Kilometer-Umkreis des Meilers aber vollkommen unrealistisch. Das Indian Point Kraftwerk ist nur 40 Kilometer von New York City entfernt! Die NRC sollte aber keinen Unterschied machen zwischen der Sicherheit von Amerikanern im Ausland und Amerikanern in Amerika."

    Das beunruhigt wohl auch die Senatorin aus Kalifornien. Eine spontane Evakuierung aus 80 Kilometer rund um die Atomanlage Diablo Canyon wäre wohl kaum zu bewältigen.

    Die Amerikaner werden wohl Konsequenzen ziehen müssen aus den Geschehnissen in Japan und ebenfalls ihre Atomkraftwerke überprüfen. Ob und wie weit die Sicherheitsstandards dabei erhöht werden, sei allerdings eine Frage, die sich die Gesellschaft stellen müsse, sagt Michael Golay:

    "Für die existierenden Reaktoren könnte jegliche Art der Verbesserung sehr teuer werden und wir müssen uns fragen, ob wir diese Kosten tragen wollen. Für zukünftige Kraftwerke gilt: Wir können sie sicherer bauen, wenn wir wollen. Es ist eine soziale Frage. Wie man das macht wissen wir."

    Link zum Portal "Atomkraft"