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US-Kinostart vor 75 Jahren
„Arsen und Spitzenhäubchen“ – Klassiker des schwarzen Humors

Vor 75 Jahren startete Frank Capras Filmkomödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ landesweit in den amerikanischen Kinos. Zuvor als jahrelanger Publikumsrenner auf den New Yorker Broadway-Bühnen gelaufen, wiederholte sich der bombastische Erfolg auf der Leinwand.

Von Hartmut Goege | 23.09.2019
    Filmszene aus Arsen und Spitzenhäubchen
    Filmszene aus Arsen und Spitzenhäubchen: Mortimer Brewster (Cary Grant) entdeckt, dass seine Tanten Serienkillerinnen sind. (imago images / Prod.DB)
    "Er war so ein einsamer alter Herr, der Mr. Mitchell."
    "Alle seine Angehörigen waren schon tot."
    "Wir hatten ja solches Mitleid mit ihm."
    "Und dann, wie er seinen Herzanfall bekam, da saß er hier am Tisch, tot."
    "Und da sah der alte Mann so friedlich aus. War es nicht ergreifend?"
    Dieses prägende Erlebnis der beiden reizenden alten Jungfern Abby und Martha Brewster sollte mit Hilfe einer totsicheren Rezeptur der Auftakt zu einer ganz besonderen Art von fürsorglicher Nächstenliebe werden: das Vergiften einsamer alter Männer als gnädiger Akt der Barmherzigkeit:
    "Hör mal gut zu! Auf zwei Liter Holunderbeerwein, da nehme ich einen Teelöffel voll Arsen. Und einen halben Teelöffel voll Strychnin. Und eine klitzekleine Prise Zyankali dazu."
    "Für die Schauspieler ein Mordsspaß"
    Als am 23. September 1944 Frank Capras Film "Arsen und Spitzenhäubchen" in den amerikanischen Kinos anlief, war die Geschichte der "hilfsbereiten" Damen, die ein Dutzend Leichen im Keller liegen haben, schon als Bühnenstück des deutschstämmigen Joseph Kesselring jahrelang ein Renner am Broadway gewesen und Hollywoods Komödienspezialist Capra einer der vielen begeisterten Besucher:
    "Ich hatte das Stück gesehen, wusste, durch die Filmbrille des Regisseurs, dass es billig und schnell verfilmt werden konnte. Einfach gutes, altmodisches Theater und eine zwerchfellerschütternde Kriminalklamotte. Ich ließ den Spitzenstars freie Hand, und so wurde es für die Schauspieler im wahrsten Sinn des Wortes ein Mordsspaß."
    In der Rahmenhandlung will Mortimer Brewster, ein junger erfolgreicher Theaterkritiker, unnachahmlich panisch-verzweifelt gespielt von Cary Grant, seinen Tanten vor seiner Hochzeitsreise mit der Pfarrerstochter Elaine noch einmal einen Besuch abstatten. Dabei entdeckt er zu seinem Entsetzen deren tödliches Hobby:
    "Es verstößt nicht allein gegen das Gesetz. So etwas tut man nicht! "
    "Och Mortimer!" "Es ist einfach kein netter Zug. Dafür hat keiner Verständnis! Erst ist es bloß eine schlechte Angewohnheit, aber dann wird es zur Unsitte!"
    Eine weitere Zutat dieser köstlich überdrehten Horror-Persiflage ist Teddy, ein geistig verwirrter Bruder von Mortimer, der sich für den Präsidenten Theodore Roosevelt hält und im Glauben, den Panama-Kanal im Keller des Hauses zu bauen, doch nur die Gräber für die Gift-Opfer aushebt:
    "Ei der Daus, Mortimer!"
    "Wie ist das Befinden, Herr Präsident!"
    "Prächtig! Danke! Ganz prächtig! Was haben Sie mir zu berichten?"
    "Dass das gesamte Volk geschlossen hinter ihrer Politik steht!"
    "Ja natürlich, und ist das nicht wundervoll? Dann auf Wiedersehen, ich muss nach Panama! Der Kanal braucht eine neue Schleuse!"
    Und noch ein Bruder taucht auf: der abgrundtief böse Jonathan, ein polizeilich gesuchter Serienmörder mit einem Frankenstein-Gesicht, der seine eigenen Mordopfer ebenfalls ausgerechnet im Keller des Hauses verschwinden lassen will. Da ihm der gute Mortimer in die Quere kommt, plant er, ihn mit Hilfe seines versoffenen Komplizen Dr. Einstein – unterwürfig gespielt von Peter Lorre – zu beseitigen:
    "Aber bitte auf die schnelle Weise, so wie damals in London!"
    "Nein Doktor, Ich denke dabei an unsere Arbeit in Melbourne."
    "Oh nein, die Melbourner Methode bitte nicht. Das hat zwei Stunden gedauert. Und wenn alles vorbei ist, was ist der Erfolg? Der Mann in London war genauso tot wie der Mann in Melbourne."
    Geburtsstunde einer neuen Filmgattung
    Die Komödie markiert die Geburtsstunde einer neuen Filmgattung, der Kriminalgroteske; und ist eine augenzwinkernde ironische Antwort auf die zahlreichen zweitklassigen Gangster- und Horrorfilme der späten 30er und 40er Jahre, die mit immer gleichen Klischees und Schockeffekten die Kinos überschwemmten. Die alten Damen, die ja nichts anderes als Serienkillerinnen sind, wirken dabei in ihrer großmütterlichen Betulichkeit absurd liebenswert und doppelt komisch:

    "Lass mich mal nachdenken. Das ist doch der elfte, nicht wahr, Abby?"
    "Nein Liebste, es war bereits der zwölfte!"
    "Abby, entschuldige, ich glaube, Du irrst Dich! Unser Mr. Hoskins ist erst der elfte!"
    "Nein, Liebste, ich weiß nämlich genau, wie Mr. Hoskins heute morgen ins Haus kam. Da dachte ich noch, mit ihm wäre es gerade ein volles Dutzend!
    Der Film endet nicht nur mit der Einweisung von Mortimers geisteskranker Familie, Mortimer erfährt auch, dass er als Kind adoptiert wurde und somit nicht befürchten muss, selbst dem Wahnsinn zu verfallen:
    "Aber Mr. Brewster!"
    "Nein, nein! Ich bin kein Brewster! Ich bin der Sohn eines Schiffskochs! Haha! Hurra!"
    Obwohl schon 1941 produziert, durfte "Arsen und Spitzenhäubchen" wegen einer Vertragsklausel erst nach Absetzung des gleichnamigen Broadway-Stückes in die Kinos gelangen. Der bombastische Bühnenerfolg von über 1.400 Vorstellungen innerhalb von drei Jahren wiederholte sich triumphal auf der Leinwand. Frank Capras schwarze Komödie zählt schon lange zu den bekanntesten Filmklassikern der Filmgeschichte.