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US-Konkurrenz für ITER

Physik. - In internationaler Kooperation wird im französischen Cadarache der "Internationale Thermonukleare Experimentalreaktor" - ITER - entstehen. Doch auch andere Ansätze suchen den Durchbruch zum Energie-Füllhorn der Zukunft, darunter das US-Vorhaben "LDX".

Von Jan Lublinski | 22.11.2005
    Am Massachussets Institute of Technology - MIT in Boston arbeiten Physiker mit einem speziellen Magneten: Er besteht aus einer Spule, so groß wie ein LKW-Reifen. Sie ist aus supraleitendem Material gefertigt und kann einen gewaltigen elektrischen Strom von 1,5 Megaampere verlustfrei leiten. Das mächtige Magnetfeld, das diese Spule erzeugt, ist so beschaffen, dass sie ein Gas aus geladenen Teilchen, ein so genanntes Plasma, immer in ihrer Nähe festhalten kann. Wenn man dieses Plasma mit Hilfe von Mikrowellen sehr stark aufheizt, wird es möglich, Atomkerne nach dem Vorbild der Sonne zu verschmelzen. Die dabei frei werdende Energie könnte nutzbar gemacht werden. Doch von einem Reaktor, der ans Netz gehen könnte, ist das Bostoner Experiment mit Namen Levitated Dipole eXperiment - LDX noch sehr weit entfernt. Der Physiker Darren Garnier und seine Kollegen haben nach sieben Jahren Bauzeit gerade mit ersten Tests dieser Versuchsanlage begonnen.

    "Bei unseren ersten Experimenten sind einige unerwartete Dinge passiert. Wir hatten damit gerechnet, dass das Plasma sehr instabil sein und seine Energie sehr schnell verlieren würde - so wie wir es von vorangegangenen, kleineren Experimenten her kannten. Das Gegenteil aber war der Fall: Das Plasma war erstaunlich stabil und konnte durch die eingestrahlten Mirkowellen viel Energie aufnehmen. So viel, dass es zu leuchten begann, hell wie ein Weihnachtsbaum. Das war schon sehr aufregend für uns."

    Garnier und Kollegen ist es mit ihrem Spezialmagneten also gelungen, ein sehr gleichmäßiges Plasma zu erzeugen. Diese Situation wollen sie nun mit einem ungewöhnlichen Trick noch weiter verbessern: Sie wollen den 600 Kilogramm schweren Magneten schweben lassen. – Und zwar mit Hilfe einer zweiten Spule, die auf dem Boden liegt und deren anziehende und abstoßende Kräfte den Spezialmagneten in der Luft halten sollen.

    "Das ist ein sehr anspruchsvoller supraleitender Magnet, in dem viel Entwicklungsarbeit steckt. In den ersten Experimenten haben wir ihn noch nicht schweben lassen, sondern einfach nur auf einem Ständer aufgehängt. Wir wollten nicht riskieren, dass er uns gleich zu Beginn herunterfällt. Unsere Studenten hatten so zunächst die Gelegenheit, ihre Messgeräte zu testen. Bald aber werden wir Vergleiche anstellen können – zwischen einem Plasma, das mit dem aufgehängten Magneten erzeugt wurde, und einem hoffentlich noch besseren Plasma, das wir bald mit dem schwebendem Magneten erzeugen werden."

    Mit Hilfe einer schwebenden Magnetspule ein Plasma aus Wasserstoffgas zu erzeugen, um darin Atomkerne zum Verschmelzen zu bringen, das ist eine noch relativ neue Idee. Der große internationale Forschungsreaktor ITER, der in den kommenden Jahren in Frankreich gebaut wird, hat ein völlig anderes Design: hier wird das Plasma durch eine Vielzahl von Magneten festgehalten, die fest am Boden verschraubt sind. Mit dieser Anordnung kann es bei höheren Temperaturen aber sehr schnell zu Turbulenzen kommen, die dazu führen, dass das Plasma entweicht. Außerdem wird es bei ITER nicht leicht werden, die erzeugte Energie nutzbar zu machen. Sie entsteht im Zentrum der Spulen und lässt sich nur schwer herausholen - Probleme, die sich mit dem neuen, schwebenden Magnetring aus Boston vermeiden ließen, weil hier die Kernschmelze außerhalb des Ringes abläuft. – Dafür aber hat die neue Fusionsmaschine LDX noch andere ungelöste Probleme.
    "Mit unserer Maschine wollen wir zunächst einige grundsätzliche Fragen klären: Kann man das Plasma auch bei großen Temperaturen festhalten und dabei die Spule kühl halten, so wie es für das supraleitende Material erforderlich ist. Wenn wir diese Fragen in einigen Jahren positiv beantwortet haben, dann können wir uns auch darüber unterhalten, ob wir auf diese Weise ein Kernfusionsfeuer entzünden können."

    Das Bostoner LDX-Experiment hat große Fortschritte gemacht. Aber es wird noch etwa zwei Jahrzehnte und mindestens eine Gerätegeneration dauern, bevor entschieden ist, ob der schwebende Magnet in Konkurrenz treten kann - zum gegenwärtigen Design von ITER.