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US-Musikerin Káryyn
Zwischen Syrienkrieg und KI-Sounds

Wenn eine Newcomerin von Superstar Björk gelobt wird, dann darf man einiges erwarten: Die US-Künstlerin Káryyn vereint in ihrer Musik ihren Schmerz über den Syrienkrieg mit KI-komponierten Sounds. Dieses Zusammenspiel des Nebeneinanders ist auf ihrem Debütalbum „The Quanta Series“ das große Thema.

Von Dennis Kastrup | 28.03.2019
Cover der Káryyn-Veröffentlichung: "Quanta Series"
"Wir Menschen werden immer mehr zu Computern": Káryyn auf dem Cover des Albums "The Quanta Series" (Mute Germany / Derek Hutchison)
Káryyn: "Ich habe das Privileg gehabt, zu reisen. Als Heranwachsende konnte ich viele Kulturen kennenlernen."
Die Geschichte von Káryyn steht ein bisschen exemplarisch für Künstler in der globalisierten Welt: Sie lebt derzeit in Los Angeles, hatte zuvor ein paar Jahre in Berlin verbracht und auch New York zählte eine Zeit lang zu ihrer Wahlheimat. Die Wurzeln ihrer Familie liegen aber in Armenien. Nachdem die Urgroßmutter dort ihren Mann während des Völkermords im 20. Jahrhundert verloren hatte, floh sie nach Syrien, wo Káryyns Angehörige noch heute wohnen.
Verlust von Verwandten in Syrien
"Ich wurde in den USA geboren. Nachdem ich ein oder eineinhalb Jahre alt wurde, verbrachte ich dann jeden Sommer in Syrien, in Aleppo. Jedes Jahr hatten wir dort für 3 Monate ein Zuhause. Das habe ich eigentlich mein ganzes Leben so gemacht."
Bis 2011 der Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Ihre Besuche endeten. Verwandte sind gestorben und Káryyn versuchte, die Eindrücke aus der Ferne zu verarbeiten. Sie begab sich für anderthalb Jahre ins abgeschiedene Cherry Valley, dem Hinterland des Bundesstaates New York.
"Einen Ort ohne den Krach der Stadt oder den Beton zu haben, lässt einen gründlich nachdenken und fühlen. Man ist alleine mit sich selbst. Natur kann sehr heilend sein. Sie kann einen, ohne dass man es bemerkt, neu ordnen."
Es war der Startpunkt einer siebenjährigen Selbsterforschung, die in dem Album "The Quanta Series" endete. Die Trauer über den Verlust ihrer Verwandten und ihrer syrischen Wahlheimat verarbeitete sie unter anderem in den Stücken "Purgatory", auf Deutsch "Hölle", "Aleppo" und "Ambets Gorav", einer Neuinterpretation eines armenischen Volksliedes. Sie alle handeln von Erfahrungen in ihrer Kindheit und verzichten auf ein politisches Statement.
Die Stimme als eigenständiges Instrument
Bei der musikalischen Umsetzung ihrer Selbstheilung benutzt Káryyn die Stimme als eigenständiges Instrument. Sie moduliert ihren Gesang und schichtet ihn in der Nachbearbeitung so aufeinander, dass fast schon mystischer Chorgesang entsteht. Daran schmiegen sich schüchtern und dezent die von ihr programmierten Beats und Flächen. So entsteht eine Art Spiritualität, die Káryyn auch in ihrem Alltag lebt.
"Spiritualität und Wissenschaft sind wohl so weit voneinander entfernt. Beides ist überall um uns herum - und deshalb doch ganz nah beieinander. Das Nebeneinander von Dingen und wie es da eine Schnittmenge zwischen scheinbar sehr unterschiedlichen Dingen gibt, fasziniert mich sehr: Was ist die Verbindung zwischen ihnen?"
Das gilt auch für ihre Musik. Das Stück "Tilt". wurde separat vom Album veröffentlicht und zusammen mit Künstlicher Intelligenz produziert. Der Musiker Darren J. Cunningham, auch bekannt unter dem Namen "Actress", hat sie entwickelt. In dem Song "Binary" auf dem Album singt Káryyn die Zeile "Liebe mich zwischen den Nummern" und meint dabei den binären Code von Computern. Der Text ihres Hintergrundgesangs verzichtet sogar ganz auf Buchstaben und Wörter.
Menschen werden zu Computern
"Ich liebe die Idee, dass Computer ein Bewusstsein haben oder wir Menschen immer mehr zu Computern werden. Ich mag es auch, wenn man mit Hilfe von wissenschaftlichen Ideen Parallelwelten und mögliche Realitäten erklären kann, also etwa worüber wir in der Quantenphysik sprechen; oder auch prophetische und buddhistische Philosophien, die darauf basieren. Es geht um die Wahrnehmung und dann eben auch um die Realität."
Schmerz, Trauer, Liebe, Hoffnung, all diese unterschiedlichen Emotionen verschmelzen auf "The Quanta Series" im Gesang von Káryyn. Das berührt beim Hören. Die Musik dazu ist genauso eine traditionelle Reise in die Heimat ihrer armenischen Familie wie eine Momentaufnahme moderner, elektronischer Musik. Es ist ein beeindruckendes Werk einer langen Geschichte von Vertreibung, Erinnerung und Veränderung.
"Das Einzige, was ständig passiert, ist Veränderung. Wir müssen aber keine Angst davor haben, sondern erkennen, dass Veränderung politisch und sozial in alle Richtungen geht. Alles beginnt mit der Handlung des Einzelnen. Wir können handeln, so wie wir fühlen. Alle diese Dinge haben einen Einfluss auf die Welt. Wir müssen bei uns selbst anfangen."
Káryyn auf Tour mit Apparat

16.04.2019 München, Alte Kongresshalle
18.04.2019 Hamburg, Kampnagel
10.05.2019 Berlin,Tempodrom