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US-Opernfestival "Glimmerglass"
Opernperlen auf Truthahnfarm

Immer enger scheint der Kultur- und Musikbetrieb global vernetzt. Aber das ist nur die eine Seite: Gleichzeitig ist auch die gegenteilige Tendenz zu beobachten. Im wohl wichtigsten US-Opernfestival in Glimmerglass sind seit den letzten Jahren geradezu programmatisch fast ausschließlich amerikanische Künstler tätig - mit bemerkenswertem Erfolg.

Von Bernhard Doppler | 23.08.2016
    Der amerikanische Schriftsteller und Dramatiker Arthur Miller ("Der Tod des Handlungsreisenden", "Hexenjagd") im Dezember 1956 nach seiner Ankunft auf dem Idlewild Flughafen in New York.
    Sein Drama "Hexenjagd" wurde beim "Glimmerglass-Festival" als Oper gezeigt: Arthur Miller (picture alliance / dpa)
    Glimmerglass: das ist ein geheimnisvoller Platz in John Fennimoore Coopers Lederstrumpf-Romanen, weit abseits von den Großstädten idyllisch in New York State am Otsega-See gelegen. 1987 ist dort eine Truthahnfarm in ein Opernhaus umgebaut worden. 2016 stecken nun dort in Vogelkostümen die Figuren von Gioacchino Rossinis "La gazza ladra" - nicht nur die stumme Titelrolle, die "Diebische Elster", die schon vor Beginn der Vorstellung unter dem Festspiel-Publikum auf Diebeszug aus ist. Eine Fantasy-Geschiche mit gurrenden, schnatternden, immer wieder in halsbrecherische Koloraturen abhebenden Vögeln hat Regisseur Peter Kazaras aus Rossinis Oper gemacht, in der es um nichts weniger als um eine beinahe fälschlich vollzogene Todesstrafe geht. Die Produktion ist eine Neuentdeckung dieser Oper für Amerika und bietet ein großes Belcanto-Ensemble, wobei insbesondere auch das Orchester unter Musikdirektor Joseph Colaneri aufhorchen lässt
    Junge Sänger für das Festival
    Eigentlich ist das Glimmerglass-Festival für den amerikanischen Opernbetrieb atypisch - der Zuschauerraum mit gut 1000 Plätzen vergleichsweise intim. Ungewöhlich für die USA vor allem: der Repertoirebetrieb. Jahr für Jahr werden vier Neuproduktionen erarbeitet, täglich wechselnd gespielt, am Samstag sogar zwei verschiedene Vorstellungen. Vor allem für das Young Artist Programm eine - allerdings selbst gesuchte - strapaziöse Überforderung. Aus über 1000 Bewerben wurden 2016 40 ausgewählt, die nun neben ihren master classes in kleineren Rollen, im Chor, manchmal als cover einspringend und im reichhaltigen Rahmenprogramm unentwegt auf der Bühne stehen.
    "La Bohéme" - der einzige Opernklassiker 2016 - spiegelt, wenngleich völlig historisiert, ein wenig die Collegesituation der Young Aritst nach. Rudolfo (Michael Bandenburg) und Mimi (Raquel Gonzales) sind nämlich alumni dieses Programms. Glimmerglass ist darüberhinaus auch Reservoir für die Washington Oper, die die Intendantin Renata Zambello ebenfalls leitet:
    "Viele Young Artist beginnen hier und gehen dann nach Washington und dann kommen sie von Washington wieder hierher, um die großen Partien zu singen. Das ist eine Art Kreis. Wichtig ist mir vor allem beim Ensemble der Glimmerglass-Mix, ein Mix, den sonst keine Company in Amerika hat und der so große Verschiedenartigkeit bietet, im Repetoire, aber vor allem auch bei den Künstlern auf der Bühne. Wir repräsentieren gewissermaßen Amerika, wir verpflichten viel mehr African Americans, Asiaten und Latinos als sonst eine Company."
    Selbstbewusste amerikanische Oper
    Die engeren Kontakte zur europäischen Opernszene um 2000, als Glimmerglass mit der New York City Oper kooperierte, sind Renata Zambello nicht so wichtig, sie setzt selbstbewusst auf eine eigenständige, von Europa emanzipierte, amerikanische Operntradition. Besonders überzeugend zeigt sich das an "Sweeny Todd" von Stephen Sondheim. Zu entdecken ist die immer wieder überraschend ambitionierte intellektuelle Musiksprache Sondheims, die keineswegs den Vorstellungen eines Allerwelts-Broadway-Musicals entspricht. Der Dirigent John de Main arbeitet die Effekte, Zitate, Lyrismen und Chöre diffizil heraus und kommt selbstverständlich ohne jegliche technische Verstärkung aus. Greer Grimsley, zuvor Fliegender Holländer, ist ein auch schauspielerisch ungemein eindrucksvoller Massenmörder Sweeny Todd, und vor allem die Inszenierng von Christopher Alden, die das Geschehen in einem Pop-Art Setting der 60er Jahren wie ein Lehrstück vorführt, findet immer wieder scharfe prägnante Bilder.
    Aktuelle politische Werke
    Oper als Ausgangspunkt gesellschaftlicher Diskussionen: Das kann die amerikanische Oper durchaus zeigen. Robert Wards "Crucible" inszenierte Renata Zambello selbst. Zwar bereits 1961 uraufgeführt, zeigt diese amerikanische Oper, wie aktuell Arthur Millers "Hexenjagd" sein kann. Als Oper, als Gegeneinander unterschiedlicher Stimmen, Leidenschaften, Interessen und Lügen überzeugt hier Musiktheater weit eindringicher noch als die Vorlage, Arthur Millers well made play:
    "Wir haben die ganze Saison unter das Motto "ungerecht angeklagt" gestellt, und wir haben ja auch Richterin John Ruth Bader Ginsburg vom Supreme court eingeladen. "Sweeny Todd" ist sehr politisch und gibt vor allem einen Kommentar zur Thatcher-Ära in England und "Crucible" ist zwar in der Vergangenheit angesiedelt, aber es spricht ganz klar von aktuellen Konflikten in Amerika bei dieser Wahl mit Donald Trump; die wäre für uns sehr schwer vorstellbar, aber alles kann passieren."
    Als man 1987 das Opernhaus in Glimmerglass baute, war das der erste Opernneubau in den USA nach mehr als 20 Jahren; man baute es, heißt es, ausgerechnet mitten in einer schweren Krise der amerikanischen Oper. Eine Krise der US-Oper besteht wohl nach wie vor, wie etwa das Ende der New York City Oper zeigte; aber Glimmerglass macht auch deutlich, wie lebendig amerikanische Oper sein kann.