Freitag, 29. März 2024

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US-Politologe zu Trumps Baltimore-Tweet
"Rassistische Ansätze kommen beim kleinen weißen Mann an"

Für die Attacken von US-Präsident Donald Trump auf einen Abgeordneten und potenzielle Wähler in Maryland gebe es einen klaren Grund, sagte der Politologe Andrew Denison im Dlf. "Weil wir im Wahlkampf sind. Es ist eine Mobilisierungstaktik." Und ein Spaltpilz für den politischen Gegner.

Andrew Denison im Gespräch mit Dirk Müller | 29.07.2019
US-Präsident Donald Trump vor dem Weißen Haus in Washington
Der Politologe Andrew Denison glaubt, Trump riecht es, wenn irgendwo spalterisches Potenzial ist, und streut dann Salz in die Wunde. (picture alliance/Stefani Reynolds/CNP/AdMedia)
Dirk Müller: Der Präsident schlägt wieder zu – rhetorisch. Politisch wird das Weiße Haus wohl geschwächt werden, denn Dan Coats, Geheimdienstkoordinator von Donald Trump will wohl nicht mehr so richtig. Er hört auf, für den Präsidenten zu arbeiten, zu groß sind offenbar die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden. Es geht dabei um einen Schlüsselposten in der amerikanischen Administration. Es geht um die Koordination der Geheimdienste. Ob Coats nun freiwillig geht, aus eigenen Stücken, das ist noch nicht ganz klar.
Dan Coats nimmt also seinen Hut, Donald Trump verliert den nächsten engen Mitarbeiter, eben seinen Chef der Geheimdienste. Darüber sprechen wollen wir mit dem amerikanischen Politikwissenschaftler Andrew Denison von Transatlantic Networks. Guten Tag!
Andrew Denison: Herr Müller, Guten Tag!
Müller: Wie wichtig ist dieser Koordinator der Geheimdienste?
Denison: Der ist schon sehr wichtig. In Amerika werden ja die Dienste etwas ernster genommen und auch besser finanziert als in Deutschland. Der verfügt über einen Etat von über 50 Milliarden Dollar. Das ist fast zehnmal so viel pro Kopf wie in Deutschland. Es ist wirklich eine sehr große Aufklärungscommunity, sagen wir, Gemeinschaft von 17 Agenturen. Also dieser Posten ist sehr wichtig.
Der Direktor aller Geheimdienst-Direktoren
Müller: Wir haben auch gelesen, er ist der Direktor der Geheimdienste, das ist teilweise auch so geschrieben worden. Jeder einzelne Geheimdienst, wie beispielsweise CIA, hat ja einen Direktor. Also er ist aber der Chef aller Direktoren.
Denison: Genau, und wichtig nicht nur dieser gigantische Aufklärungsapparat, wenn Sie die Analyse machen, natürlich auch, wenn Sie das so nennen wollen, sondern er kommt täglich oder als Vertreter ins Weiße Haus rein und spricht mit dem Präsidenten, mit dem Daily Intelligence Brief, über die Gefahren der Welt und was los ist. Also das ist auch ein sehr wichtiger Grund.
Müller: Das heißt, das könnte der Mann sein, der im Grunde über das Weltgeschehen, aber auch über interne Abläufe am besten informiert ist von allen.
Denison: Ja. Also die Dienste natürlich, die sollen nicht den Präsidenten ausspionieren, aber der Director of National Intelligence ist sowohl für die Abwehr durch den FBI wie für Aufklärung im Ausland durch CIA oder NSA verantwortlich. Deshalb ja, vielleicht ist das ein Motiv, weil Donald Trump auch immer Verdacht hat gegen die Dienste Amerikas.
Müller: Das war ja von Anfang an offenbar sehr gestört, dieses Verhältnis zu den Diensten. Die Russland-Affäre hat eine große Rolle dabei gespielt. Nun hat er ja vor zwei Jahren extra den Coats ausgewählt, zu diesem Mann hatte er Vertrauen. Warum ist diese Basis zerbrochen? Nur wegen Russland/Iran, das, was wir eben an Beispielen gehört haben in unserem Beitrag?
Denison: Ja, Herr Müller, wir sehen hier ein Muster, gerade in der Außenpolitik. Donald Trump ist reingekommen, und in der Auslandspolitik waren eher Leute, die so weltgewandt waren und nicht so radikal extrem wie er, weder in der Rhetorik noch vielleicht in der Ansicht, welche Rolle Amerika in der Zukunft spielen soll. Das war Rex Tillerson, das war Mattis in der Verteidigung, das war Nikki Haley als UNO-Botschafterin.
Dann hat er seine eigenen Leute reingebracht Schritt für Schritt. Dan Coats war der letzte, und viele haben vorher gesagt, das kann nicht sein, diese riesige Kluft zwischen dem Wahrsager, der Wahrheitssager und Donald Trump, der nie die Wahrheit hören will, sondern die er eigentlich verachtet und nur Loyalität sehen möchte, und jetzt geht er. Das ist besorgniserregend.
Designierter Nachfolger gilt als äußerst Trump-loyal
Müller: Ist das konsequent vom Präsidenten zu sagen, okay, dann geh doch?
Denison: In gewissem Sinn, natürlich ist das konsequent. Da kommen wir aber zurück auf die Frage, was auch der Herr Kollege Kößler gesagt hat: Wenn die Berater eines Präsidenten nicht bereit sind, Widerrede zu leisten, sondern Loyalität steht über alles, kann das taktisch eine Weile lang funktionieren, aber ich denke, das führt uns dann zu einem Weißen Haus, das realitäts-, weltfremd ist, und kann dann nicht mehr handeln, ist auch gefährlich. Gott sei Dank ist der Präsident nicht alleine dafür verantwortlich, diese Entscheidung zu treffen, sondern im Kongress, im Senat muss man schon auch eine Mehrheit bekommen.
Müller: Und da wären wir auch schon beim Thema: Der neue Mann soll John Ratcliffe werden aus Texas. Auch ein bekannter texanischer Politiker, der ja vor allem auch dadurch aufgefallen ist, jedenfalls in der gesamten amerikanischen Diskussion, dass er – und da haben wir wieder das Stichwort – sehr loyal sein soll gegenüber Donald Trump. Wie sicher ist das, dass er nominiert wird beziehungsweise dann auch die Zustimmung bekommt?
Denison: Ihr Kollege Herr Kößler hat angedeutet, was er für Probleme haben könnte: weder Erfahrung noch wirklich politische Neutralität, und das ist sehr wichtig für diesen Platz. Der Vorsitzende des Senatsaufklärungsausschusses, ein guter Mann, Buehr aus North Carolina, ein Republikaner, aber die machen einigermaßen, meine ich, wenn ich sage, gut, dass er überparteilich arbeiten kann, der hat noch nicht Lob geäußert für Ratcliffe. Also hier ist wieder ein Kampf angesagt. Mueller-Anhörung vorbei, und jetzt gehen wir in das nächste Schlachtfeld rein, und das wird eins. Auf der anderen Seite im Repräsentantenhaus, da bewegt sich auch weiterhin einiges.
Müller: Ist das nicht ein naives Argument zu sagen, politisch neutral? Wer ist in diesem Job, in diesem Posten politisch neutral?
Denison: Alles ist relativ, besonders in der Politik. Relativ neutral. Also jemand, der auftritt wie der Ratcliffe letzte Woche: "Damn sure" und so, fluchen im Repräsentantenhaus im Anhörungssaal. Das ist zu weit. Es ist eine Gradwanderung. Man muss Vertrauen zwischen einem Präsidenten und seinen Sicherheitsberatern haben. Wenn Dan Coats da die Wahrheit spricht, und der Trump hört nicht mehr zu, sondern ist am Twittern oder so was, dann kann das auch nicht funktionieren. Dann muss man jemanden finden, der sowohl bei Trump ankommt als auch irgendwie noch halbwegs in der Realität gebunden ist.
"Die Dienste sollen wirklich unabhängig sein"
Müller: Das ist ja auch der Vorwurf gegen Ratcliffe an zweiter Stelle, nämlich zu wenig Erfahrung zu haben, gar keine Erfahrung zu haben, keine Vorkenntnisse zu haben. Bei uns wird ja auch jemand Verteidigungsminister oder Verteidigungsministerin, ohne sich vorher mit der Thematik auseinandergesetzt zu haben. Dann ist das auch ein Argument, aber kein entscheidendes Argument. Wie gravierend ist das in den Vereinigten Staaten?
Denison: Sowohl wie in Deutschland schaut man natürlich auf die politischen Fähigkeiten – Charisma, Durchsetzungskraft, irgendwie Strategie und Taktik im Gleichgewicht zu halten. All diese Fähigkeiten kann man in einem weiten Bereich von politischen Kompetenzen durchsetzen und einbringen, aber am Ende, das leuchtet doch auch ein, das sind Netzwerke, das sind persönliches Vertrauen mit all denen, die da im Schatten der Gesetze arbeiten. Ich würde dieses politische Amt, ja, politisch auch, aber schon ganz anders definieren, selbst als Verteidigungsminister oder als Außenminister. Die Dienste sollen wirklich unabhängig sein.
Müller: Herr Denison, jetzt müssen wir die Gelegenheit nutzen, wenn wir Sie am Telefon haben – ich schaue auf die Uhr, noch knapp gute zweieinhalb Minuten, die noch zur Verfügung stehen –, hier eine kleine Zäsur machen. Das, was wir in den Nachrichten heute schon gesehen haben, im Internet, für alle weltweit nachzulesen, ist die Cummings-Affäre oder Trump-Affäre, wie auch immer. Um das noch mal kurz zu sagen: Er beleidigt den demokratischen Kongressabgeordneten Elijah Cummings. Er soll sich um seine heruntergekommen Stadt Baltimore kümmern und nicht so viel über Amerika nachdenken, kurz paraphrasiert, und er bezeichnet Baltimore, die besagte Stadt, an der Ostküste gelegen, als Rattennest. Warum tut er das?
Denison: Weil wir im Wahlkampf sind und weil er Donald Trump ist. Donald Trump weiß wie kein anderer die Streitigkeiten zu finden. Er kann die riechen, in die er dann Salz streuen will wie eine offene Wunde. Hier weiß er, dass diese rassistischen Ansätze auch bei dem kleinen weißen Mann ankommen, die in Ohio oder Michigan in der Fabrik, auch wenn die Fabrik weiterarbeitet, der dazu geneigt ist, mit Trump eine gewisse Sympathie zu haben und findet es einfach geil, wenn man frech sein kann. So benutzt er diese Rhetorik.
Trumps Provokation spaltet auch die Demokraten
Er weiß auch, dass es dazu führt, dass unter den Demokraten, die davon völlig zu Recht entsetzt sind, dass es Streitigkeiten auslöst über wie soll man darauf reagieren, und darf man Trump einen Rassisten in der Öffentlichkeit nennen oder nicht, oder einen Faschisten, und soll man jetzt voll gegen ihn da gehen. Die Demokraten sind, wie sagt man, sehr unorganisiert und fragmentiert, und der Trump weiß Streitigkeiten unter denen anzuzetteln.
Müller: Jetzt haben wir heute Morgen auch in der Redaktion darüber diskutiert, jetzt haben einige Kollegen auch gesagt, warum soll das jetzt klug sein, also vor dem Hintergrund Wahlkampf haben Sie auch argumentiert, Hunderttausende und vielleicht auch andere, die sich da betroffen fühlen, Baltimore Stadt, Baltimore Region und so weiter, die können doch Donald Trump jetzt nicht mehr wählen.
Denison: Ja, aber guck mal, das sind eine Millionen oder mehr, die da wohnen, die werden sowieso für Donald Trump nicht wählen, aber gehen wir dann in den Westen, in einen Staat wie Nevada, nicht sehr viele Leute, einige Millionen, und da könnte es einen Unterschied machen, denn das würde schon vielleicht die so eher Rechtsgeneigten, die nicht abstimmen gehen, mobilisieren gegen ihre linksgerichteten ökosozialistischen, Multikulti-, Grenze-offen-für-alle-Demokraten zu kämpfen. In dem Sinne, es ist eine Mobilisierungstaktik, nicht für Maryland, sondern in den Battleground-States, auch unter den Fabrikarbeitern in Michigan oder Ohio.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.