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US-Politologin erwartet Machtverlust für Bush

Die amerikanische Politologin Cathleen Fischer rechnet mit einer herben Schlappe für die Republikaner von US-Präsident George Bush bei den anstehenden Kongresswahlen. Auch wenn die Demokraten nach der Abstimmung am Dienstag nicht die Mehrheit in beiden Kammern stellen sollten, werde Bush danach stark angeschlagen sein, erwartet die Wissenschaftlerin vom Zentrum für strategische und internationale Studien in Washington. "Auch viele Republikaner werden sich eher von dem Präsidenten distanzieren wollen", sagte sie.

Moderation: Stefan Heinlein | 06.11.2006
    Stefan Heinlein: In der amerikanischen Hauptstadt begrüße ich jetzt am Telefon die amerikanische Politikwissenschaftlerin Cathleen Fischer vom Center for Strategic and International Studies. Guten Morgen, beziehungsweise guten Abend nach Washington!

    Cathleen Fischer: Ja, schönen guten Morgen!

    Heinlein: Wird es noch spannend morgen, oder ist das Rennen um das Kapitol tatsächlich schon gelaufen?

    Fischer: Es bleibt sehr, sehr spannend. Also laut den neuesten Umfragen, allerdings auf Bundesebene, wollen die meisten Amerikaner einen Wechsel in Washington, zumindest im Abgeordnetenhaus. Die Demokraten müssten dann 15 Sitze gewinnen und im Senat 6 Sitze. Ich würde sagen, ein Machtwechsel im Repräsentantenhaus scheint mir wahrscheinlich, aber das ist eher unsicher im Senat. Es wird, denke ich, sehr spannend bleiben.

    Heinlein: Warum dieser Wunsch nach einem Wechsel in den USA? Ist man so unzufrieden mit dem Präsidenten und damit auch mit seiner Partei?

    Fischer: Man ist sehr unzufrieden. Wahlkampfthema Nummer eins ist der Irak-Krieg gewesen. Ungefähr zwei Drittel der Amerikaner sind inzwischen gegen den Krieg. Die Zustimmungswerte des Präsidenten sind auch gefallen. Für viele Wähler sind diese Wahlen ein Referendum über den Krieg, dazu kommen auch Korruption und moralische Skandale, sowie in manchen Wahlkreisen die wirtschaftliche Lage, also Einwanderung, Arbeitslosigkeit.

    Heinlein: War es also ein außenpolitischer Wahlkampf? Sie sagen eine Art Volksabstimmung über den Irak-Krieg - haben diese Sex- und Korruptionsaffären, die im Wahlkampf ja vor allem nun ausgegraben wurden, keinen Einfluss auf die Wahlentscheidung?

    Fischer: Das werden wir dann am Dienstag sehen. Man muss auch sagen, die Stimmung ist nach Änderung. Aber da sind auch andere Faktoren im Spiel. Zu erst einmal, die Amtsinhaber haben bei uns immer einen sehr großen Vorteil. Das ist wegen einer gewissen, ja sagen wir Wahlkreismanipulation, nach den Volkszählungen gibt es alle zehn Jahre. Zweitens: Bei manchen Wahlkreisen, da spielen die jeweiligen Kandidaten und Lokalthemen eine entscheidende Rolle. Und dritter Faktor, und da spielen dann diese Skandale eine Rolle, ist eben die Wahlbeteiligung. Historisch gesehen ist die Wahlbeteiligung bei Kongresswahlen eher gering. In diesem Jahr scheinen die Demokraten sehr stark motiviert zu sein, aber die Republikaner haben ein sehr gutes System, ihre Parteibasis zu motivieren. Entscheidend wird bleiben, ob die christlich-religiösen Wähler zur Wahlurne gehen. Die Christlich-Konservativen sind ungefähr 24 Prozent der Wählerschaft.

    Heinlein: Stehen denn diese konservativen Wähler, diese religiöse Rechte in den USA immer noch geschlossen hinter George Bush, oder hat er auch dort an Glanz, an Einfluss verloren?

    Fischer: Das ist auch interessant gewesen. In der Mehrheit stimmen Sie immer noch für den Präsidenten, für republikanische Kandidaten, aber man sieht ja auch inzwischen gewisse Spaltungen unter den Konservativen. Das ist auch die Frage: Was sind die so genannten Wertewähler? Geht es dann hauptsächlich um solche Fragen wie Abtreibung oder Stammzellenforschung, oder geht es auch um andere Werte? Und da spielen, denke ich, diese Korruptionsskandale eine Rolle. Aber das werden wir am Dienstag sehen.

    Heinlein: Ist die konservative Revolution in den USA, für die Bush ja unter anderem stand, insgesamt auf dem Rückzug?

    Fischer: Ich würde sagen, da geht am Dienstag, egal, wie die Wahlen ausgehen, eine gewisse Bush-Ära doch zu Ende. Bei unserem System wird dann Bush nach dem Dienstag zur so genannten lahmen Ente. Ich denke, das Verhältnis zwischen dem Kongress und dem Weißen Haus wird sich dann verändern. Das ist klar vorauszusehen, auch wenn die Demokraten nicht die Mehrheit stellen. Auch viele Republikaner werden sich eher von dem Präsidenten distanzieren wollen. Beide Parteien werden den Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2008 haben.

    Heinlein: Der Präsident als "lame duck", als lahme Ente haben Sie gerade gesagt, welche konkreten Auswirkungen auf die Tagespolitik, auf die Entscheidungen in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit wird denn diese Tatsache dann haben?

    Fischer: Ich würde sagen, für beide Parteien, für den Präsidenten bleibt Irak Thema Nummer eins. Beide Parteien wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt und vielleicht noch schlechte Alternativen. Das wird ja die erste Priorität bleiben. Was die Außenpolitik im Allgemeinen angeht, da würde ich sagen, da bleibt das Weiße Haus, da bleibt Präsident Bush eher entscheidend. Präsident Bush zum Beispiel scheint überzeugt zu sein von der Notwendigkeit pragmatischer Zusammenarbeit mit den Europäern. Das wird sich nicht ändern.

    Heinlein: Könnte es in der Irak-Frage zu einer Art großen Koalition kommen zwischen Demokraten und Republikanern und es dann möglicherweise schneller gehen mit einem Abzug der US-Truppen vom Golf?

    Fischer: Wir müssen zuerst mal abwarten und sehen, wie die Wahlen ausgehen. Dann werden die Parteien vor wichtigen Entscheidungen stehen. Für die Demokraten: Die müssen sich dazu entscheiden, werden sie mit dem Präsidenten, mit den Republikanern pragmatisch zusammenarbeiten, auch was den Irak angeht, oder werden sie sich auf Konfrontationskurs zusteuern. Die Republikaner werden sich mit ähnlichen Fragen auseinandersetzen müssen. Unsere Parteien sind wirkliche Sammelbecken für verschiedene Strömungen und Interessengruppen, und die werden sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und dann bestimmen müssen, ob Sie miteinander zusammenarbeiten.

    Heinlein: Eine Konfrontation zwischen Kongress und Weißem Haus, hieße das ein Stillstand der US-Politik, weil beide Seiten im Alleingang gar nichts mehr bewegen können.

    Fischer: Ja, das ist klar. Was den Irak angeht, müssen die eigentlich zusammenarbeiten. Beide Parteien und der Präsident warten auf die Ergebnisse der so genannten Baker-Kommission. Die arbeitet überparteilich und sollte dann Vorschläge machen, wie wir dann mit diesem Problem, mit dem Problem im Irak fertig werden können.

    Heinlein: Aus Washington war das die amerikanische Politikwissenschaftlerin Cathleen Fischer vom Zentrum für strategische und internationale Studien. Ich danke für das Gespräch und gute Nacht nach Washington.

    Fischer: Ich bedanke mich auch, gute Nacht.

    !Programmtipp: Deutschlandfunk, Hintergrund Politik, Montag, 6. November, 18.40 bis 19.00 Uhr: "Reif für den Machtwechsel? – Die USA vor den Kongresswahlen"