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US-Präsidenten und Rassismus
Die dunkle Seite der amerikanischen Geschichte

Das "Glück der Freiheit" versprach die Verfassung von 1787 dem Volk der Vereinigten Staaten - das galt allerdings nicht für die gesamte Bevölkerung. Das rassistische Unrecht an den eingeschleppten Sklaven und an der indigenen Bevölkerung gehört untrennbar zur Geschichte der USA und ihrer Präsidenten.

Von Eva-Maria Götz | 29.10.2020
Das Mount Rushmore National Memorial in den Black Hills im USBundesstaat South Dakota. Die Erinnerungsstätte mit den Büsten der USPräsidenten (l-r) George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln wurde in den Jahren 1927 gegründet
Licht und Schatten in der Präsidentengalerie am Mount Rushmore: George Washington und Thomas Jefferson waren Sklavenhalter, Abraham Lincoln verabscheute die Sklaverei (picture-alliance / dpa/ Jerzy Dabrowski)
Während 1787 beim Konvent in Philadelphia um die Einigkeit des Landes gerungen wurde, war die Sklaverei längst Fakt. Der wirtschaftliche Aufschwung der jungen Republik basierte auf Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen, die gegen ihren Willen aus Afrika nach Amerika transportiert worden waren. Zwischen 1600 und 1800 waren eine Million Europäer nach Amerika ausgewandert. Im gleichen Zeitraum wurden zweieinhalb Millionen Afrikaner mit Gewalt dorthin verbracht. Es war nicht so, dass den Gründungsvätern der USA dieses Dilemma nicht bewusst gewesen wäre. Doch zählte die Vereinigung der in viele Einzelstaaten zersplitterten Nation weißer Bürger letztendlich mehr als moralische Fragen. Simon Wendt, Professor für American Studies an der Goethe-Universität Frankfurt:
"Es ging darum, eine neue Nation zu gründen und speziell im 18. Jahrhundert waren solche Dinge wie die Rechte der Nicht-Weißen Bevölkerung relativ unwichtig. Und insofern muss man sehen, dass Rassismus letztendlich eine wichtige Rolle bei der Gründung der amerikanischen Nation gespielt hat. Diese Idee, dass man tatsächlich auch der schwarzen Bevölkerung bestimmte Rechte einräumen könnte, war nach der amerikanischen Revolution zwar für kurze Zeit wichtig, wurde dann aber immer weniger wichtig in folgenden Jahrzehnten. Und am Ende gab es dann für mehrere Jahrzehnte einen Konsens, dass die Sklaverei zwar ein Übel ist - aber ein Übel, das der Nation hilft."
Afrikanische Sklaven werden im 19. Jahrhundert auf einem Schiff nach Amerika transportiert und verkauft. 
Sklaverei sahen manche der Gründungsväter der USA zwar als moralisches Dilemma, aber als "ein Übel, das der Nation hilft." (dpa / picture alliance)
Mit Waffengewalt gegen die indianische Bevölkerung
Doch nicht nur der menschenverachtende Umgang mit den Schwarzen ist in die DNA der Vereinigten Staaten eingeschrieben. Überall dort, wo sich die Euroamerikaner ausbreiteten, trafen sie auf die indigene Bevölkerung, die dort selbst seit Jahrhunderten Landwirtschaft und Handel betrieb. Professorin Heike Bungert, Historikerin an der Universität Münster: "Diejenigen, die im Weg waren und wo Euro-Amerikaner überlegten, wie sie die vertreiben könnten."
Schätzungsweise 500 bis 600 verschiedene indianische Gruppen mit wahrscheinlich fünf bis sieben Millionen Menschen lebten auf dem Gebiet, auf das nun die weißen Siedler Anspruch erhoben und diesen auch mit Waffengewalt durchsetzten, so die Autorin einer Geschichte der indigenen Nationen der USA. Doch die Regierungspolitik zeigte sich weitgehend indifferent, sowohl gegenüber den Interessen der Indianer sowie denen der Schwarzen.
Ein Präsident wie der Autor der Unabhängigkeitserklärung, Thomas Jefferson, der selbst Sklavenhalter war und heimlich Kinder mit seiner Sklavin Sally hatte, plädierte zwar offiziell halbherzig für die Emanzipation der Schwarzen. Allerdings machte er auch keinen Hehl aus seiner Ansicht, dass er Schwarze für "minderwertig" hielt. Und in den Indianern sah er, so Heike Bungert, "im Gegensatz zu Afroamerikanern eine Gruppe, die man irgendwie dann doch integrieren kann, die in Anführungszeichen ‚zivilisierbar‘ ist, was heutzutage schlimm klingt."
Historische Aufnahme von nordamerikanischen Kiowa-Indianern vor ihrem Tipi. (undatiert)
Keine Chance gegen den Landhunger der euroamerikanischen Neuankömmlinge: die indianische Urbevölkerung "war im Weg". (picture alliance / dpa / National_Antropological_Archive)
Kultureller Genozid an den indigenen Gruppen
Obwohl die indigenen Völker in den Anfangsjahren der USA durch eingeschleppte Krankheiten, Mord und Vertreibung um ein Drittel dezimiert wurden, will Heike Bungert nicht von einem Genozid sprechen: "Das heißt, die Intention, ein ganzes Volk auszurotten, zu töten, war nicht unbedingt da." Aber: "Man kann definitiv sprechen von einem kulturellen Genozid, denn die indigenen Kulturen sollten ja dabei zerstört werden. Oder von einem Ethnozid, es sollte diese Gruppen nicht mehr erkennbar als Gruppen geben."
Simon Wendt beschreibt den Fortgang der Geschichte: "Man muss sich das mal vor Augen führen, dass im 19. Jahrhundert die Idee, dass nicht-weiße Menschen Rechte haben und Menschen sind wie Du und ich, dass das ja eine radikale und revolutionäre Idee war. Die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung dachte ja, dass das gar keine richtigen Menschen sind. Und deswegen muss man sehen, dass die Präsidenten, die die Sklaverei öffentlich unterstützt haben, letztendlich den Konsens der Bevölkerung auch widergespiegelt haben."
23.06.2020, USA, Washington D.C.: Die Statue von Andrew Jackson, des siebten Präsidenten der USA, ist mit dem Wort "Killer" besprüht. Anti-Rassismus-Demonstranten hatten zuvor versucht, die Statue zu stürzen.
Andrew Jackson, der siebte Präsident der USA, ist verantwortlich für die Vertreibungspolitik gegen die Indianer (Andrew Harnik / AP / dpa)
Die Vertreibungspolitik von "Indianerhasser" Andrew Jackson
Ein Präsident, der die Abschaffung der Sklaverei für provokant und verfassungswidrig hielt, war zum Beispiel Andrew Jackson, der 1828 die Demokratische Partei gründete. Lange Zeit die Partei, die sich für Rassentrennung und die Vormachtstellung der Weißen einsetzte. In die Geschichte ging Jackson ein als "Indianerhasser". "Er hatte sich schon einen Namen gemacht durch Kriege gegen Indianer und ist gewählt worden mit dem Versprechen, dass sogenannte Indianer-Problem zu lösen durch Umsiedlung. Es gab ja noch eine ganze Menge indigene Gruppen, vor allem die etwas unglücklich genannten ‚fünf zivilisierten Stämme‘ im Südosten, die bekanntesten vielleicht die Cherokee, die in Georgia, aber auch in anderen Staaten siedelten und sich angepasst hatten", sagt Heike Bungert.
Unter Andrew Jackson wurde den Indigenen ihr fruchtbares Land in den Südstaaten abgenommen und sie wurden gezwungen, in die kargen, trockenen Gebiete des heutigen Oklahoma umzusiedeln. "Diese Vertreibungspolitik, bei der auch circa ein Drittel der Cherokee und auch der anderen vier indigenen Gruppen ums Leben gekommen sind, das war also jetzt eine der schlimmsten Indianerpolitiken im 19. Jahrhundert. Und es gab da ja durchaus einige nicht so glückliche Politikmaßnahmen."
Situation der Schwarzen nach Abschaffung der Sklaverei kaum verbessert
Unter Ulysses Grant, der nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs in den 1860er- und -70er-Jahren das Land wiederaufbaute, wurden die Abschiebung von Indianern in Reservate mit geringer Bodenqualität und die Zwangschristianisierung fortgesetzt. Und auch für die schwarze Bevölkerung im Süden verbesserte sich wenig. Die Sklaverei galt zwar offiziell als abgeschafft. Simon Wendt von der Universität Frankfurt am Main: "Durch verschiedene Verfassungszusätze wurden Afroamerikanern auf dem Papier eigentlich die gleichen Rechte eingeräumt, aber diese Rechte wurden nicht umgesetzt, weil der Norden letztendlich das Interesse an dieser Gruppe verloren hatte."
Und Historikerin Heike Bungert erläutert: "Es hat vor allem keine materielle Basis für deren Leben nach der Sklaverei gegeben. Es ist nicht Land verteilt worden. Die Ex-Sklaven Besitzer haben weiter ihr Land behalten dürfen, sodass es zu großer Armut kam, dass die Afroamerikaner nach wie vor abhängig waren von den weißen Landbesitzern."
Little Rock, Arkansas: 9. September 1957. Weiße Studenten an der North Little Rock High School verwehren sechs schwarzen Kommilitonen den Zutritt
Die Aufhebung der Rassentrennung bedeutete nicht, dass Schwarze ihre Rechte auch problemlos wahrnehmen konnten (imago stock&people)
"Crow-Laws" sorgen für Rassentrennung bis ins 20. Jahrhundert
Zwar gab der Republikaner Ulysses Grant schwarzen Männern im Jahr 1870 das Wahlrecht. Doch die mit dem herabwürdigenden Namen "Crow-Laws" benannten Gesetze - also "Krähen-Gesetze"- legten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Rassentrennung im öffentlichen Leben fest. Das änderte sich erst langsam in den 1950er-Jahren unter Präsident Harry Truman. Weniger, weil die seit Beginn des Jahrhunderts existierende Bürgerrechtsbewegung immer stärker wurde, als aus außen- und machtpolitischen Gründen.
Die amerikanische Historikerin Jill Lepore: "Grund dafür war, dass die USA nach 1949 in den Kalten Krieg eintraten und Harry Truman sagte: Wir sind die Anführer der freien Welt und werden den Totalitarismus in jeder Form bekämpfen. Da fragten die Sowjets: Ihr seid frei, was sollen dann die Rassengesetze? Wir erzählen in der Zeitung Prawda die Geschichten aller Schwarzen, die von der Polizei zusammengeschlagen wurden. Die Sowjets konnten über viele Vorkommnisse in den USA berichten, die im Widerspruch standen zu der ganzen Freiheitsrhetorik. Und sogar in der Truman-Administration sagte man sich, wenn wir den Kalten Krieg gewinnen wollen, müssen wir dieses Problem lösen und die Anführer der Bürgerrechtsbewegung triumphierten."
Richard Nixon und seine Sekretärin Rose Mary Woods im Februar 1973 im Oval Office.
Mit rassistischen Ressentiments erfolgreich ins Weiße Haus: Richard Nixon. (imago/ZUMA Press)
Auch Richard Nixon setzt auf Rassismus im Wahlkampf
Doch wirklich gelöst wurde das Problem nicht. Weder von Harry Truman noch von seinen Nachfolgern Eisenhower, Kennedy oder Johnson. Und unter Richard Nixon, der übrigens den Wandel der Republikaner hin zu der Partei der weißen Konservativen weiterbeförderte, wurde Rassismus im Wahlkampf gezielt eingesetzt.
Simon Wendth: "Bei Richard Nixon geht es darum, dass er bzw. sein Wahlkampfteam eine Strategie entwickelt haben, in der es darum geht, herauszufinden, wer wen hasst und dementsprechend dann den Wahlkampf ausrichtet. Und das bedeutet, dass man die Ängste schürt vor Black-Power-Aktivisten, die Ängste schürt vor scheinbar gewalttätigen Afroamerikanern und durch diese Ängste versucht, konservative weiße Amerikaner auf seine Seite zu bringen, was im Falle von Richard Nixon ja auch geklappt hat.
Heike Büngert: "Aber er war tatsächlich gut in Umweltpolitik und in seiner Indianerpolitik. Er hat sich offen eingesetzt für indigene Selbstbestimmung. Er hat z.B. den Heiligen Blue Lake an die Taos-Indigenen zurückgegeben, 1970."
Selbst Barack Obama kann Alltagsrassismus nicht abschaffen
Große Hoffnungen lagen 2009 auf dem ersten schwarzen Präsidenten. Doch den strukturellen Alltagsrassismus konnte auch ein Barack Obama nicht abschaffen, zumal während dessen Amtszeit der Kongress von Republikanern dominiert wurde, die dem Präsidenten die Grenzen seiner Macht aufzeigten. Immerhin: "Es hat ja durchaus auch Fortschritte gegeben. Ich meine, gerade von Obamacare profitieren immer noch auch stark Afroamerikaner, auch natürlich Indigene, die eigentlich auch den Indian Health Service haben. Insofern hat man einfach vielleicht zu viel erwartet von einem Präsidenten, der auch gerade eben kein Präsident für Schwarze sein wollte, sondern ein Präsident für die ganzen USA."
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020