Dienstag, 19. März 2024

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US-Präsidentschaftswahl
"Trump wird die Auseinandersetzung auf die Straße tragen"

Würde US-Präsident Donald Trump eine knappe Niederlage anerkennen? Diese Frage gehöre zu den Unwägbarkeiten der US-Wahl im November, sagte USA-Experte Rüdiger Lentz im Dlf. Sollte Trump gegen das Ergebnis vorgehen, seien bürgerkriegsähnliche Zustände nicht auszuschließen.

Rüdiger Lentz im Gespräch mit Friedbert Meurer | 29.08.2020
Trump-Anhänger in New Hampshire mit Wahlkampf-Flaggen
Trump-Anhänger in New Hampshire - die Lager in den USA stehen sich unversöhnlich gegenüber, meint Rüdiger Lentz (picture alliance/ Zuma Press/ Allison Dinner)
Am 3. November sind Präsidentschaftswahlen in den USA. US-Präsident Donald Trump hat bereits mehrmals angedeutet, er werde einen Wahlsieg seines demokratischen Kontrahenten Joe Biden nicht akzeptieren. Doch was dann? Rüdiger Lentz ist langjähriger Beobachter der Politik und Gesellschaft in den USA und leitet die Denkfabrik Aspen Institute in Berlin. Im Interview spricht er über mögliche Szenarien des Wahlausgangs.
Friedbert Meurer: Sehen Sie schwarz für den 3. November?
Rüdiger Lentz: Zumindest können wir nicht vorhersehen, was passiert. Da gibt es verschiedene Unwägbarkeiten. Eine ist zum Beispiel, dass möglicherweise gar kein Ergebnis in der Nacht existiert, weil durch die Auszählung der Briefwahlen, die ja von Trump sowieso grundsätzlich infrage gestellt wird, das ganze Ergebnis sich weit verzögern könnte, sodass wir möglicherweise am Morgen des 4. aufwachen und noch gar kein Ergebnis haben. Dann die Frage, ob das Ergebnis anerkannt wird: Vor allen Dingen Trump hat immer wieder sozusagen von vornherein bezweifelt und immer wieder unterstellt, dass ihm die Wahl von den Demokraten geklaut, entwendet werden könnte. Und so hat er seine Anhänger auch versucht zu mobilisieren. Hier ist die große Frage, ob er ein Wahlergebnis, wenn es denn existiert, überhaupt anerkennt und möglicherweise versucht, mit allen Schritten dagegen vorzugehen.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
"Auseinandersetzung auf der Straße auch mit Gewalt"
Meurer: Mit welchen Schritten meinen Sie? Wenn es juristische sind, kann man ja sagen, das ist nun mal das Prozedere in den USA.
Lentz: Er wird die Auseinandersetzung auf die Straße tragen, genauso wie er jetzt ja durchaus die Auseinandersetzung auf der Straße eher befeuert, als dass er versucht, sie zu dämpfen. Und Auseinandersetzungen auf der Straße, das haben wir gesehen in den USA, das ist eine langjährige Erfahrung, findet auch mit Gewalt statt.
Meurer: Nehmen wir mal an, es kommt am 3. November in der Nacht zum 4. November zu einem klaren Ergebnis, sodass es nicht mehr auf einzelne Bundesstaaten ankommt. Gilt dann auch das Szenario, das Sie befürchten?
Lentz: Das wäre die große Hoffnung, glaube ich, dass das Wahlergebnis so klar ist, dass er eingestehen muss, dass er verloren hat. Ich glaube, daran klammern sich viele, vor allen Dingen Demokraten und vor allen diejenigen, die befürchten, dass es sonst zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen kann. Aber sicher ist das eben leider nicht.
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"Die Institutionen halten"
Meurer: Wenn Sie das Szenario beschreiben, Herr Lentz: Knapper Wahlausgang, Trump schickt seine Leute auf die Straße, ruft sie auf, es kommt zu gewalttätigen Ausschreitungen – könnte das denn verhindern, dass Joe Biden von den Wahldelegierten, den Wahlmännern und -frauen gewählt wird zum Präsidenten?
Lentz: Das ist eher unwahrscheinlich, und er, Joe Biden, hat ja schon mit einer Bemerkung gesagt, da muss eben der Präsident sozusagen mit der Nationalgarde aus dem Weißen Haus befördert werden. Aber allein, dass wir solche Äußerungen hören im Vorwahlkampf, zeigt, wie angespannt die Situation ist. Noch halten auch die Institutionen. Ein gutes Zeichen ist, dass das amerikanische Militär definitiv gesagt hat, wir werden uns aus allen Dingen, die die Wahl berühren, raushalten. Gut ist auch, dass ein Bundesrichter zum Beispiel vor wenigen Tagen erst gesagt hat, Trump muss seine Steuererklärung jetzt veröffentlichen. Die Institutionen halten, das ist im Moment noch das, worauf wir uns verlassen können.
Meurer: Das, was wir jetzt erleben, Herr Lentz, wird ja verglichen mit der Präsidentschaftswahl 2000 zwischen George W. Bush damals und Al Gore. Die Entscheidung fiel in Florida – viele werden sich noch erinnern an diese Lochstreifenkarten, das funktionierte nicht, es musste wochenlang nachgezählt werden, noch mal nachgezählt werden. Die Gerichte haben entschieden, und am Ende ging es gut aus. Vertrauen Sie darauf, dass das eigentlich jetzt im Jahr 2020 sich im schlimmsten Fall so wiederholen würde?
Lentz: Es wäre der beste Fall, wenn es sich so wiederholen würde. Denn wir dürfen eins nicht vergessen: Die Entscheidung fiel in Florida, aber letztendlich fiel sie im Supreme Court in den USA, in Washington, wo der Supreme Court mit einer Stimme dann entschieden hat, dass die Wahl so, wie sie in Florida ausgezählt worden ist, rechtens ist. In dieser ganzen Zwischenzeit hat die Bevölkerung relativ ruhig gehalten. Genau das ist jetzt nicht zu erwarten. Es ist viel aufgeheizter, die politische Situation. Und wir dürfen eins nicht vergessen: In den 20 Jahren stehen sich die Lager sehr viel unversöhnlicher gegenüber. Wir haben jetzt schon einen Lagerwahlkampf mit Vorwürfen und Anschuldigungen von beiden Seiten, der außerordentlich schmutzig wird, und der wird jetzt eingeleitet in den nächsten zwei Monaten durch Wahlkampf-Ads, die in den "Battleground States", in den Staaten, die umstritten sind, wahrscheinlich die TV-Märkte überschwemmen werden.
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"Bürgerkriegsähnliche Zustände nicht auszuschließen"
Meurer: Wenn Sie sagen, eine gerichtliche Entscheidung durch den Supreme Court wäre noch das beste Szenario, was ist das schlechteste?
Lentz: Ich will das Wort gar nicht in den Mund nehmen, aber bürgerkriegsähnliche Zustände werden im Moment so nicht auszuschließen sein. Ich glaube, dann ist es die Frage an die Institutionen und auch die Frage an die Polizei und die staatliche Gewalt, ob sie damit Herr wird. Der augenblicklich amtierende Präsident tut jedenfalls alles, um Öl in das Feuer zu gießen und um die Bevölkerung sozusagen gegeneinander aufzuhetzen. Genau diese Stimmung ist es, die in vielen Beobachtern eine unglaubliche, sagen wir mal, Unsicherheit auslöst und Sorge bereitet.
Meurer: Was hat sich in der US-Gesellschaft verändert, dass so ein irrsinniges Szenario möglich ist?
Lentz: Was sich verändert hat, war eine schleichende Veränderung in den letzten 20, 30 Jahren, die, glaube ich, von denjenigen, die in den Städten an der West- oder Ostküste gelebt haben und leben, so nicht bemerkt worden ist. Das sind die sogenannten fly-over-states. Das ist Mittelamerika mit seiner gläubigen, zum Teil auf dem Land befindlichen Bevölkerung, die sich abgehängt fühlt, die mit der Technologie, mit der Globalisierung nicht klarkommt, die übrigens auch lange Zeit sozusagen als Zielgruppe bei den Wahlen vergessen worden ist. Denken Sie an West Virginia, an Teile von Virginia, denken Sie an Wisconsin, denken Sie an Teile von Pennsylvania. Das sind Trump-Wähler außerhalb der Städte und auch in den Vorstädten, die jetzt Angst haben, dass die Unruhen übergreifen können. Da genau sitzen die Unabhängigen, um die jetzt gekämpft wird. Denn sie werden letztendlich die Wahl entscheiden, so wie sie die Wahl auch entschieden haben bei den Midterm Elections, die ja die Demokraten gewonnen haben. Um die geht es jetzt.
"Wir hoffen alle, dass der Spuk vorübergeht"
Meurer: Wir reden über verschiedene Szenarien, ich frage einfach zum Abschluss, Herr Lentz: Mit welchem Ergebnis rechnen Sie am 3. November?
Lentz: Sie hören, dass ich mich etwas zurückhalte und etwas schweige, weil es ist wahnsinnig schwer vorherzusehen. Ich glaube, eins ist sicher: Es ist nicht sicher, dass Biden gewinnt, und es ist auch nicht sicher, dass Trump verliert. Es kann ein überwältigendes Ergebnis für Biden geben, aber die nächsten zwei Monate sind mit großen Unsicherheiten behaftet, und ich würde heute keine Prognose abgeben wollen. Was ich hoffe, ist, glaube ich, eindeutig klar geworden: Wir alle hoffen, dass dieser Spuk von vier Jahren vorübergeht, und zwar möglichst schnell.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.