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US-Snowboarderin hilft im Krankenhaus
"Wir sind alle ein Team"

Die US-Amerikanerin Brittani Coury holte bei den Paralympics in Pyeongchang eine Silbermedaille - jetzt in der Coronakrise geht die ausgebildete Krankenschwester zurück in ihren alten Job. Im DLF erzählt sie, was sie dazu bewegt hat und welche Rolle der Teamgedanke im Sport dabei spielt.

Brittani Coury im Gespräch mit Marina Schweizer | 05.04.2020
Im März 2018 feiert die Snowboarderin Brittani Coury in Pyeongchang bei den Paralympischen Winterspielen ihren Gewinn der Silbermedaille.
Die Snowboarderin und Krankenschwester Brittani Coury hofft, dass das Coronavirus die Welt nicht spaltet, sondern vereint (imago images / ZUMA Press)
Die Snowboarderin Brittani Coury hat bei den Paralympischen Winterspielen 2018 die Silbermedaille gewonnen. In der Coronakrise arbeitet sie wieder als Krankenschwester an der University of Utah. Im Deutschlandfunk spricht sie über ihre Beweggründe und darüber, warum sie hofft, dass das Coronavirus die Welt vereint.
Marina Schweizer: Warum arbeiten Sie wieder als Krankenschwester?
Brittani Coury: Naja, wissen Sie: Ich bin so gesegnet mit dem Leben, das ich habe. Ich kann durch die Welt reisen, mein Land repräsentieren und ich hatte im Laufe meines Lebens so viel Unterstützung als Athletin. Außerdem bin ich Krankenschwester. Und es kommt mir so vor, als wäre das jetzt genau meine Zeit, in der ich etwas zurückgeben kann. Eben weil ich mich so glücklich schätzen kann und ich so viele Leute um mich herum habe, die mich unterstützen.
Und ich liebe es, Menschen zu pflegen. Wenn wir unsere Ausbildung machen, wissen wir ja, was auf uns zukommt. Ich meine: Es gab zwar zuvor noch keinen Corona-Ausbruch, aber es gibt ja jeden Tag, an dem wir zur die Arbeit gehen, Gefahren. Und deshalb gehe ich auch zurück zu meinem Job mit derselben Einstellung, wie ich jede andere Schicht auch antreten würde. Deshalb habe ich nicht wirklich Angst, wenn ich jetzt zurückgehe. Ich will das machen, um anderen Menschen zu helfen.
Schweizer: Was ist Ihr Eindruck, was erwartet Sie da jetzt?
Coury: Ich weiß nicht, auf was ich mich da einlasse. Wie es sein wird und wie es für mich danach sein wird. Was ich weiß ist, dass es mein Herz bricht, wenn ich in den Nachrichten die Pflegekräfte sehe, die etwas über ihre Erfahrungen berichten. Man kann sehen, wie schwer es für sie ist. Es ist jedes Mal, wenn man jemanden in einem kritischen Zustand hat, der es nicht schafft, echt hart für die Pflegenden.
Wir suchen uns das ja eigentlich aus, um Menschen zu helfen. Und ich kann es mir nicht vorstellen, wie es ist, zu tun, was man kann und es geht trotzdem schrecklich aus. Das ist wahrscheinlich meine größte Angst: Zur Arbeit zu gehen und nicht helfen zu können.
"Ich habe keine Angst davor, an der Front zu helfen"
Schweizer: Sie werden als Krankenschwester sicherlich helfen können. Können Sie etwas dazu sagen, in welchem Krankenhausbereich Sie jetzt einsteigen?
Coury: Ich werde in einem Bereich für akute internistische Fälle arbeiten. Wir haben noch nicht so viele Covid-Fälle in Utah, aber jedes Krankenhaus bereitet sich gerade auf Worst-Case-Szenarien vor. Ich kann mir vorstellen, dass ich da mitten hinein gelange. Ich weiß nicht wirklich, wie stark ich dem Virus ausgesetzt sein werde. Aber wenn es eine Situation gibt, in der sie eine Krankenschwester brauchen, die sich mit Schutzkleidung ausrüstet und mit anpackt, dann will ich das auch tun. Ich habe keine Angst davor, an der Front zu helfen. Meine größte Sorge ist, dass ich es habe und es nicht weiß. Man kann es ja haben, ohne es zu bemerken. Meine Sorge ist, dass ich es an Patienten weitergebe. Das würde mich fertig machen.
Schweizer: Sie haben keine Angst, sagen Sie. Ist das etwas, was Sie vom Sport haben? Dort ist man ständig Herausforderungen aufgesetzt, nur eben nicht solchen.
Coury: Ich habe keine Angst, weil mein Glaube über der Angst steht. Ich glaube, dass, wenn ich meine Arbeit so gut mache, wie möglich, dann werde ich auch beschützt. Und falls nicht und falls ich den Virus bekomme und der schlimmste Fall eintritt, dann habe ich wenigstens das gemacht, was ich liebe. Ich glaube, das wäre in Ordnung. Das klingt jetzt vielleicht etwas morbide, aber: Ich hatte ein gutes Leben, ich habe alles getan, was ich konnte und wenn mir etwas zustößt, dann wenigstens, während ich das gemacht habe, was ich liebe.
Und diesen Ansatz verfolge ich auch beim Snowboarden. Ich meine: Snowboardcross ist gefährlich. Menschen können sich da schwer verletzten, es ist ein verrückter Sport. Ich habe da den gleichen Ansatz: Wenn mir etwas Schlimmes zustößt und ich den Berg nicht überlebe, dann sterbe ich wenigstens bei dem, was ich liebe. Ich weiß nicht, ob meine Familie das okay findet, aber ich glaube, sie würden das verstehen. Und meine Freunde auch. Sie sehen ja, wie leidenschaftlich ich bin. Und sie würden sehen, dass es das wert war.
Die US-amerikanische Snowboarderin Brittani Coury am 16. März 2018 in ihrem Wettbewerb bei den Paralympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang.
March 16 2018 Pyeongchang South Korea Brittani Coury of the US on her second run in the Snowbo (imago images / ZUMA Press)
Schweizer: Sie haben auf Instagram geschrieben, dass Snowboarden Sie dazu bewogen hat, Krankenschwester zu sein. Was ist die Geschichte dahinter?
Coury: Ja, ursprünglich wäre ich nie ins Gesundheitswesen eingestiegen. Als ich eine Teenagerin war, war ich eine verlorene Seele. Snowboarden war die eine Sache, die ich gut konnte und liebte, wo ich mich aufgehoben fühlte. Und ich hatte schon früh eine Sprunggelenksverletzung, als ich mit dem Snowboarden anfing. Und mit dieser Verletzung kamen acht Jahre, in denen ich nicht das tun konnte, was ich wollte. Und bevor ich mich zur Amputation entschied, hatte ich ganze neun Gelenk-OPs. Und acht davon hatte ich innerhalb von zweieinhalb Jahren. Also: eine OP nach der anderen.
Und die Krankenschwestern, die sich um mich kümmerten, haben ihre Sache so gut gemacht, dass ich daraus gelernt habe, was Krankenschwestern ausrichten können, welchen Einfluss sie auf Menschen haben können. Und ich habe auch gelernt, wie es sich anfühlt, wenn Krankenschwestern nicht so gut sind. Auf dieser Reise ist mir klar geworden, dass ich so jemand für andere sein könnte. Also habe ich mich dazu entschlossen, Krankenschwester zu werden. Und wenn es nur für den einen Patienten ist, dem ich helfen kann. Ich kann mich gut in die Menschen hineinversetzen, ich weiß, was es bedeutet, wenn man es vier bis fünf Mal versuchen muss, bei dir einen Venenzugang zu legen. Es tut weh. Meine Mission ist einfach, meine Erfahrung als Patientin heranzuziehen und zu hoffen, dass meine Patienten das eine oder andere nicht durchmachen müssen.
"Social Distancing rettet Leben"
Schweizer: Ich würde gerne mit Ihnen über eine Sache sprechen, die, glaube ich, nicht nur hier in Deutschland Thema war: Es wurde viel darüber geredet, dass Sport sich vielleicht zu wichtig genommen hat in diesen vergangenen Wochen. Als es darum ging: Welche Gesellschaftsbereiche sich nicht zu wichtig nehmen sollten und wo man einfach zuhause bleiben sollte. Auch wenn es um eine Vorbildrolle geht, was ist da Ihre Sicht der Dinge? Ist Spitzensport unwichtig in solchen Zeiten und muss dem mehr Rechnung getragen werden?
Coury: Ich zumindest glaube das. Menschenleben sind wichtiger als alles andere. Das müssen wir wertschätzen und priorisieren. Social Distancing rettet Leben. Man sieht die Gesichter der Menschen vielleicht nicht, aber sie sind real. Und würden Sie sich dabei gut fühlen, wenn Sie am Ende wüssten, Sie gehen eine Sportveranstaltung und Sie stecken alle Menschen um Sie herum an, ohne dass Sie möglicherweise wissen, dass Sie das Virus haben?
Ich habe einen Artikel gelesen, in dem die Frage gestellt wurde: Wären Sie in der Lage, jede einzelne Person zu benennen, mit der Sie in der vergangenen Woche in Kontakt standen, wenn Sie dieses Social Distancing nicht machen würden? Und wäre es okay für Sie, jede dieser Personen aufzulisten, wenn Sie das Virus hätten?
Ich habe kurz darüber nachgedacht. Gerade habe ich Covid nicht, es wird erst als Krankenschwester direkt vor mir sein. Aber ich würde mich schrecklich fühlen, wenn ich ein Familienmitglied, einen Freund oder jemand anderes anstecken würde. Ich glaube, wir müssen einen Schritt zurücktreten und verstehen, wie wichtig Menschenleben sind. Und Interaktionen. Ich meine: Wir sind eine so technologieaffine Generation. Und hoffentlich kann uns das Social Distancing auch zeigen, wie wichtig das ist. Wenn wir beim Abendessen sitzen oder ein Gespräch haben, vielleicht nehmen wir dann mal nicht das Handy in die Hand, wenn jemand vor uns sitzt. Hoffentlich ist das ein Weckruf, dass wir die Interaktion, die wir nach dieser Zeit wieder haben können, wieder schätzen.
"Das ist ein Realitätscheck für die ganze Welt"
Schweizer: Gibt es etwas, was Sie schon jetzt aus dieser Krise mitnehmen. Etwas, worauf Sie zurückschauen werden, was Sie als Lehre fürs Leben mitnehmen?
Coury: Das ist ein Realitätscheck für die ganze Welt. Und es zeigt mir, auch durch den Sport: Wir sind alle ein Team. Im paralympischen und olympischen Sport sind wir alle ein Team, wir kämpfen alle für eine Sache. Und man ist unter Leuten von überall aus der Welt. Und dieses Virus ist eine globale Sache, es sind ja nicht nur die USA, die leiden. Es ist die ganze Welt. Also, meine Hoffnung ist, dass dieses Virus uns wirklich etwas vereint. Dass es uns hilft, Prioritäten zu setzen und die Messlatte dafür, was wirklich wichtig ist. Und hoffentlich verstehen das die Anführer auf dieser Welt. Unsere Zeit hier auf der Welt ist kurz und wir sollten das Beste daraus machen. Anstatt sich ständig in Konflikte zu begeben oder ständig das eine gegen das andere zu stellen. Hoffentlich kann uns das vereinen und einen neuen Blick darauf geben, was wichtig ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.