Freitag, 19. April 2024

Archiv

US-Vizepräsident in Israel
"Pence hat Öl ins Feuer gegossen"

Mit seinem Besuch in Israel habe US-Vizepräsident Mike Pence nicht zu einer Beruhigung der Lage beigetragen, sagte Nahost-Expertin Bettina Marx im Dlf. Im Gegenteil: Sein heutiger Besuch an der Klagemauer werde von den Palästinensern als Provokation verstanden.

Bettina Marx im Gespräch mit Mario Dobovisek | 22.01.2018
    US-Vizepräsident Mike Pence spricht auf einer speziellen Plenarsitzung der Knesset in Jerusalem am 22. Januar 2016
    "Reiter der Trumpokalypse": US-Vizepräsident Mike Pence hat in Israel eine messianische Rede gehalten. Er gilt als erzkonservativer evangelikaler Christ (imago stock&people / Emil Salman )
    Mario Dobovisek: Jerusalem, die Hauptstadt Israels, die geteilte Stadt, die umstrittene Stadt, denn auch die Palästinenser beanspruchen die Heilige Stadt, zumindest Teile von ihr. Geübte Praxis der Diplomaten deshalb; ihre Botschaften sind fast ausnahmslos in Tel Aviv, um nicht zu provozieren, um keine Vorfestlegungen zu machen und damit den Friedensprozess, wenn es ihn denn noch gibt, zu gefährden.
    Seit US-Präsident Donald Trump den Umzug seiner Botschaft nach Jerusalem angekündigt hat, jubelt die israelische Regierung und toben die Palästinenser. Trumps Vize ist gerade auf Reisen im Nahen Osten. Gestern hat er vor der Knesset, Israels Parlament gesprochen.
    Heute hat er weitere Termine. Unter anderem will er die Klagemauer besuchen. - Am Telefon begrüße ich Bettina Marx. Lange war sie Journalistin im Nahen Osten [Anm.: Unter anderem als Korrespondentin im ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv]. Und leitet heute das Büro der grünen Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Guten Morgen, Frau Marx.
    Bettina Marx: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    "Empörung und Zorn" der Palästinenser
    Dobovisek: Die Wogen glätten im Nahen Osten, das hatten viele Beobachter von Pence' Besuch in Israel erhofft. Stattdessen hat er gestern vor der Knesset den Umzug der US-Botschaft schon für das nächste Jahr angekündigt, deutlich früher als erwartet. Was bedeutet das für die Region?
    Marx: Die Wogen hat er damit ganz sicherlich nicht geglättet. Ganz im Gegenteil. In einer israelischen Zeitung wurde er heute als ein "Reiter der Trumpokalypse" bezeichnet. Er hat eher noch Öl ins Feuer gegossen. Er hat eine sehr messianische Rede gehalten, eine Rede, die ihm als einem sehr religiösen, evangelikalen Christen auch entsprochen hat, und in Palästina hat man darauf mit Empörung und Zorn reagiert.
    Der Chefunterhändler Saeb Erikat hat gesagt, dies sei eine messianische Rede gewesen, die die Extremisten bedient habe. Und der Präsident, Mahmud Abbas, der derzeit in Europa weilt, hat versucht, die Europäer dazu zu bewegen, dass sie nun im Gegenzug Palästina als Staat anerkennen sollen. Aber er hat keine Zustimmung dafür bekommen.
    Dobovisek: US-Präsident Donald Trump war bereits an der Klagemauer im Ostteil Jerusalems, als erster US-Präsident. Heute wird ihm sein Vize folgen. Eine unnötige Provokation, Frau Marx?
    Marx: Nun ja, es ist schwierig. Denn Ostjerusalem ist von Israel widerrechtlich besetzt und annektiert. Die Klagemauer liegt mitten in der Altstadt, die von Israel besetzt wurde. Selbst Trump ist zwar dort hingegangen, hat sich aber nicht von Israelis begleiten lassen, hat damit im Grunde auch anerkannt, dass Israel die Altstadt von Jerusalem, Ostjerusalem besetzt und dass er nicht mit israelischen Politikern zusammen da hingeht. Man wird sehen, wie das heute ist.
    Es ist sicherlich eine Provokation an die Adresse der Palästinenser, die das so auch empfunden haben. Sie haben darauf reagiert mit einem Generalstreik, haben einen Generalstreik ausgerufen. Hier im Westjordanland spielt das sicherlich keine große Rolle, wird niemanden groß beeindrucken, wenn die Schulen und Universitäten und die Geschäfte und die Restaurants geschlossen bleiben. Aber in Jerusalem macht das dann schon Eindruck und auch Herr Pence wird das sehen, wenn er in die Altstadt kommt, dass die arabischen Geschäfte alle geschlossen sind.
    "Die Plästinenser sind müde und erschöpft"
    Dobovisek: Erwarten Sie neben Protesten und Streiks heute auch Ausbruch von Gewalt?
    Marx: Nein, eigentlich erwarten wir das nicht. Im Grunde haben wir Gewalt ja permanent auf einer sehr niedrigen Stufe. Die Gewalt geht hauptsächlich von der israelischen Armee, von den israelischen Sicherheitskräften aus, die immer sehr schnell mit scharfer Munition reagieren. Wenn Palästinenser zum Beispiel an den Checkpoints demonstrieren oder im Gazastreifen, wenn junge Palästinenser an den Zaun herangehen, um dort zu demonstrieren, dann kommt es immer wieder zu Toten. Fast jeden Tag müssen wir Tote beklagen unter jugendlichen Palästinensern. Das ist so das Level der Gewalt, das wir haben.
    Aber dass eine große Welle der Gewalt von palästinensischer Seite aus droht mit einer Rückkehr beispielsweise zu Selbstmordanschlägen oder zu Explosionen in Bussen, ist eigentlich nicht zu erwarten. Die meisten Palästinenser sind eher resigniert, sind müde, erschöpft. Auch die Ankündigung, dass es einen Generalstreik heute gibt, hat eigentlich keine große Begeisterung ausgelöst. Die meisten Menschen, mit denen ich zu tun habe, haben ziemlich resigniert mit den Achseln gezuckt und gesagt, was soll das, das bringt uns nicht weiter, damit schaden wir uns nur selbst.
    Dobovisek: Viel Resignation also. Hat Trump, haben die USA mit ihren Umzugsplänen die wenigen noch verbliebenen Friedensoptionen völlig zunichte gemacht?
    Marx: Ob sie sie ganz zunichte gemacht haben, das kann man eigentlich nie sagen. Es gibt ja immer die Hoffnung, dass vielleicht auch aus ganz schlechten Entwicklungen sich noch mal etwas Positives wendet. Aber zunächst mal muss man schon sagen: Ja, es gibt im Moment überhaupt keinen Anknüpfungspunkt. Die Amerikaner, auch Pence gestern wieder, fordern die Palästinenser auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Pence hat nicht mit einem einzigen Wort über die Siedlungen gesprochen, über diese permanente Provokation, dass die Palästinenser ihres Landes beraubt werden.
    Israels Regierung von Zwei-Staaten-Lösung abgerückt
    Wenn man sie auffordert, an den Verhandlungstisch zurückzukommen, dann muss man ihnen doch sagen, worüber sollen sie denn eigentlich verhandeln, was bleibt denn eigentlich noch zu verhandeln. Die israelische Regierung, ihre Minister, auch Netanjahu selbst, der Ministerpräsident, haben sehr deutlich gemacht, dass sie abgerückt sind von der Zwei-Staaten-Lösung, dass sie sich eine gerechte Lösung zu diesem Konflikt eigentlich nicht mehr vorstellen können.
    Dobovisek: Während US-Vizepräsident Pence durch den Nahen Osten reist, versucht Palästinenser-Präsident Abbas in Brüssel die EU-Außenminister davon zu überzeugen, Palästina als Staat anzuerkennen. Sie haben es gerade angesprochen. Frankreich könnte sich das durchaus vorstellen, spricht von einem echten Partnerschaftsabkommen. Und auch aus Luxemburg hören wir entsprechende Signale. Kommt vielleicht über die Bande Europa wieder Bewegung in den Nahost-Konflikt?
    Marx: Das wäre schön. Das wäre wirklich zu erwarten. Das wäre auch zu wünschen. Aber ich bin da doch sehr am Zweifeln, denn die Europäer sind hier leider überhaupt nicht einig. Gerade in dieser Angelegenheit sind sie nicht einig, in vielen anderen Punkten natürlich auch nicht. Es gibt ja nicht wirklich eine gemeinsame Außenpolitik, kohärente Außenpolitik. Viele osteuropäische Staaten wie Polen, wie Tschechien, wie Ungarn haben eine ganz andere Position, stehen an der Seite Israels, würden einen solchen Schritt nicht mitgehen. Eigentlich wäre das jetzt die Stunde der Europäer. Eigentlich wäre das der Punkt, wo sie eingreifen könnten, wo sie sich melden könnten auf der diplomatischen Bühne. Aber dafür müssten sie natürlich einig sein und müssten gemeinsam marschieren und gemeinsam etwas vorlegen, was für die Palästinenser und Israelis akzeptabel ist.
    Dobovisek: Eigentlich, sagt Bettina Marx. Sie leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Vielen Dank!
    Marx: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.