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US-Wahlkampf
Umdenken beim Streitthema Waffen zeichnet sich ab

Die allermeisten Amerikaner wollen mittlerweile strengere Überprüfungen bei Waffenkäufen. Es ist eines der Themen, das darüber entscheiden könnte, wer bei der Wahl 2020 das Weiße Haus gewinnt.

Von Sarah Zerback | 09.09.2019
John Willer schießt mit einem Maschinengewehr auf dem Gelände des Big Sandy Machine Gun Shoot, außerhalb von Wikieup, Arizona, USA.
Ein Sportschütze mit einem Maschinengewehr auf dem Gelände eines Schießstandes in Arizona, USA. (picture-alliance / dpa / Jim Lo Scalzo)
Odessa trauert - Bürgermeister, Nachbarn, Angehörige, Freunde, die keine Antwort darauf haben, warum sieben Menschen sterben mussten, warum ein 36-Jähriger eine Stunde lang um sich geschossen hat an diesem 31. August.
Fragen, die sich auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Beto O‘Rourke stellt. Kurz nach der Tat auf einer Wahlkampfveranstaltung:
"Was wir aber wissen ist: Das ist beschissen. Wir wissen, dass das aufhören muss in diesem Land. Es gibt keinen Grund, dass als unser Schicksal zu akzeptieren, als unsere Zukunft. Und doch ist das genau das, was wir gerade machen."
Und da war es auch egal wer in den vergangenen Jahren im Weißen Haus saß. Doch in der demokratischen Parteibasis brodelt es schon lange. Und so fordern führende Köpfe aktuell gleich eine ganze Reihe von Gesetzesverschärfungen.
Ganz vorne mit dabei: universelle Hintergrundüberprüfungen durch das FBI, sogenannte Background-Checks, um in speziellen Datenbanken nach Vorstrafen zu suchen. Welche Linie US-Präsident Donald Trump in dieser Angelegenheit verfolgt, bleibt rätselhaft, das zeigen allein seine jüngsten Statements.
Schärfere Überprüfungen hätten keine der Massenschießereien verhindert, so der Präsident. Allein im August gab es in den USA drei davon, 38 Menschen starben, 75 wurden verletzt.
NRA zur Terrororganisation erklärt
Andrew Patrick widerspricht dem US-Präsidenten vehement. Er ist Mitglied der "Coalition to Stop Gun Violence" in Washington, einer der ältesten und größten Organisationen des Landes, die sich gegen Waffengewalt einsetzt.
"Wir haben Hintergrundüberprüfungen, aber die sind gespickt mit Schlupflöchern. Das ist ein Gesetz, das vor 25 Jahren geschrieben wurde, bevor das Internet als Marktplatz für Waffenverkäufe da war. Wir haben das doch gerade erst in Odessa gesehen, wo eine Privatperson die Hintergrundüberprüfung nicht bestanden hat und dann am Ende ein Gewehr AR-15 gekauft hat, legal über einen Privatverkauf, wo man in Texas nicht überprüft wird. Wir haben unglaublich schwache Gesetze, die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren von der NRA nur noch schwächer gemacht wurden."
Junge Männer und Frauen stehen auf einem Bürgersteig, manche von ihnen telefonieren mit dem Handy.
Studierende der US-Universität von Charlotte (North Carolina) versammeln sich am 1.5.2019 in einer Straße nach tödlichen Schüssen auf dem Campus. (John Simmons/The Charlotte Observer / AP / dpa)
Die National Rifle Association hat sich in den knapp 150 Jahren ihrer Geschichte von einer Art Jägerclub zur mächtigsten Waffenlobby der USA entwickelt. Aktuell geschwächt durch interne Skandale, hat die Stadt San Francisco die NRA gerade zur Terrororganisation erklärt.
Auch wenn das ohne handfeste Konsequenzen bleibt - es steht für ein Umdenken. Laut Umfragen wollen die allermeisten Amerikanerinnen und Amerikaner strengere Überprüfungen – sogar unter den Waffenbesitzern.
"Die Letzten, die die Botschaft verstehen, sind die Politiker und an diesen Punkt kommen wir glaube ich gerade. Wenn man sich nur mal Walmart und all diese Firmen anschaut, die in der letzten Woche gesagt haben: Tragt keine Waffen mehr in unseren Geschäften, wir verkaufen keine Munition mehr für Sturmgewehre mit großer Kapazität. Das ist ein Kulturwandel. Und der wird so weitergehen, weil wir eine Epidemie haben in diesem Land. Die Menschen verlangen von ihren gewählten Volksvertretern, dass sie handeln und wir glauben, dass ist, was jetzt endlich passieren wird."
Industrieland mit den meisten Schusswaffen pro Einwohner
Und es ist eines der Themen, das darüber entscheiden könnte, wer der nächste Präsident, die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird. Gepusht durch unzählige Amokläufe an Schulen - Sandy Hook, Parkland und die Proteste unter dem Motto "March for our lives", für die sich hunderttausende junge Menschen engagieren. Und jüngst befeuert durch den Amoklauf in der texanischen Grenzstadt El Paso, mitten in einem Einkaufszentrum.
In Panik verstecken sich Menschen unter Tischen und Bänken, filmen die Schüsse, vermutlich abgefeuert aus Hass, aus Rassismus. 22 Menschen sterben, darunter auch der Neffe von Octavio Ramiro Lizarde, der selbst auch getroffen wurde.
"Ich bin so dankbar, dass ich am Leben bin. Er hatte die Chance, mich zu töten, aber er hat es nicht, weil Gott bei mir war."
Wenig später tritt auch der US-Präsident vor die Presse, strahlend, an seiner Seite die First Lady, ein Baby auf dem Arm, das gerade zum Waisen geworden ist. Für so viel Zynismus muss er viel Kritik einstecken. Ebenso dafür, dass er nicht handelt. Stattdessen betont Donald Trump immer wieder: Nicht die Waffen sind schuld, sondern die Menschen und deren Psyche.
Das Bild zeigt den Oberkörper des Verkäufers mit tätowiertem Arm, der das Gewehr in den Händen hält. Er trägt zudem ein Halfter mit Pistole am Gürtel.
USA - Die Waffe als Teil der Identität
Einwanderung, Unabhängigkeit, Besiedelung: Die große Emotionalität, mit der in den Vereinigten Staaten über Waffen und deren Kontrolle gestritten wird, hat tief in der Geschichte verankerte Ursachen. Dass der Besitz einer Waffe zu den Grundrechten gehört, halten längst nicht mehr alle für zeitgemäß.
"Die Menschen, die in diesem Land mit einer psychischen Erkrankung leben, wurden in dieser Debatte zu Sündenböcken gemacht. Und das ist eine Methode um von dem eigentlichen Problem abzulenken. Auch Deutschland und der Rest der Welt haben psychische Erkrankungen, Videospiele, Filme. Was der Rest der Welt nicht hat, ist dieser fast schon Lieferservice von Schusswaffen und Hochleistungswaffen."
Die Vereinigten Staaten sind das Industrieland mit den meisten Schusswaffen pro Einwohner. Die werden dann nicht nur eingesetzt für Amokläufe und Morde, sondern vor allem für Suizide und sie führen immer wieder zu tödlichen Unfällen. Um das zu stoppen, werden jetzt auch auf Bundesebene so genannte "Red Flag Laws" diskutiert.
Verärgerter Donald Trump
Diese Gesetze ermöglichen Angehörigen, Betreuern oder auch Polizisten, psychisch kranken oder vorbestraften Menschen die Waffen zu entziehen, zeitlich begrenzt. In vielen Bundesstaaten ist das schon möglich. Ganz zum Ärger von Donald Trump und seinen Unterstützern auf Fox & Friends. Wann auch immer das Waffenrecht verschärft werden soll, sehen sie darin einen Angriff auf ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Waffenbesitz.
"Das ist ein Menschenrecht. Waffengesetze sind Menschenrechte für Millionen Amerikaner, die sich selbst schützen und beschützen wollen. Und da geben wir nicht nach."
Tatsächlich sagen drei von vier US-Amerikanern, das Recht auf Schusswaffen sei wichtig fürs eigene Freiheitsempfinden. Andrew Patrick von der Anti-Waffen-Bewegung erklärt sich das so.
"Ich denke den Amerikanern wurde in den vergangenen 40 Jahren eine Lüge verkauft, Waffen mit Freiheit gleichzusetzen, diese verfälschte, perverse Lesart des zweiten Verfassungszusatzes. Die wirkliche Freiheit hat doch ein Amerikaner, der ohne Waffengewalt leben kann."
Waffen aber komplett zu verbieten, so weit geht selbst die Anti-Waffen-Gruppe nicht - und nennt es Realismus. Denn egal, wie die Debatte im US-Kongress in den kommenden Tagen verläuft, eines ist klar: Für eine Abschaffung des Rechts auf Waffenbesitz, wird es absehbar keine Mehrheit geben.