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USA-Experte: Kein überraschendes Urteil zu Guantanamo

Der amerikanische Oberste Gerichtshof, der Supreme Court, hat entschieden, dass die Militärkommissionen, die über Terrorverdächtige in Guantanamo richten sollen, gegen amerikanisches und internationales Recht verstoßen. Dies sei kein überraschendes Urteil, sagte Manfred Berg im Deutschlandfunk. Guantanamo hänge der amerikanischen Außenpolitik inzwischen "wie ein Mühlstein um den Hals".

Moderation: Christiane Kaess | 02.07.2006
    Kaess: Jetzt ist amtlich, was schon lange vermutet wurde: Der amerikanische Supreme Court hat entschieden, dass die von Präsident Bush eingesetzten Militärkommissionen, die über Terrorverdächtige in Guantanamo richten sollen, gegen amerikanisches und internationales Recht verstoßen. Durch das umstrittene Gefangenenlager des amerikanischen Militärstützpunktes auf Kuba wurden seit den Anschlägen des 11. Septembers Hunderte von Häftlingen geschleust. Im Moment werden dort noch ungefähr 450 festgehalten, nur gegen 10 ist Anklage erhoben worden. Neben internationalen Organisationen haben sich auch Politiker wie Tony Blair oder Bundeskanzlerin Angela Merkel immer wieder für eine Schließung von Guantanamo ausgesprochen, bisher ohne Konsequenz. Am Telefon ist jetzt der USA-Experte Manfred Berg. Herr Berg, der Supreme Court gilt nach den Neubesetzungen der letzten Zeit als mehrheitlich konservativ. Hat Sie das Urteil überrascht?

    Berg: Eigentlich nicht. Man muss wissen, dass der vorsitzende Richter John Roberts an einem Urteil mitgewirkt hat, das das Bundesberufungsgericht in Washington gefällt hatte in diesem Fall. Er hat sich zurückgezogen aus diesem Fall, er konnte in diesem Fall also nicht mitwirken. Der andere von Präsident Bush neu ernannte Richter Alito hat mit der Minderheit gestimmt. Insofern haben wir hier die bekannten Konfliktlinien zwischen liberalen und konservativen Richtern. Historisch hat es mich auch nicht überrascht, denn es gibt allgemein ein Muster, demzufolge der Oberste Gerichtshof in Krisenzeiten zunächst bereit ist, für eine gewisse Zeit der Exekutive große Vollmachten einzuräumen, dann aber auf einer Rückkehr zu traditionellen Einschränkungen präsidentieller Macht besteht.

    Kaess: In dem Urteil jetzt heißt es, zumindest die rudimentärsten Prozessrechte müssten für die Tribunale gelten. Jetzt ist der US-Kongress dran zu entscheiden. Dort haben führende Vertreter der Republikaner gleich nach dem Urteil verkündet, sie werden sich dafür einsetzen, die Tribunale doch zu erhalten. Ist das nach diesem Urteil rechtlich möglich?

    Berg: Das ist natürlich rechtlich möglich. Das ist eine der wichtigsten Aussagen des Urteils, dass die fehlende Autorisierung durch den Kongress die Tribunale wesentlich behindert, aber ich denke, dass die Republikanische Partei insgesamt selbst sehr gespalten ist. Einer ihrer führenden Repräsentanten, John Warner, hat sich sehr skeptisch geäußert. Und im Übrigen ist es so, dass es ja nicht nur um die Ermächtigung durch den Kongress geht, sondern das Gericht hat ganz deutlich in dem Urteil klargemacht, dass auch im Falle einer Ermächtigung durch den Kongress die Prozessrechte der Angeklagten durchaus substantiell gestärkt werden müssten.

    Kaess: Eine Schließung des Lagers machen ja Bush und Außenministerin Condoleezza Rice auch davon abhängig, ob die Heimatstaaten der Inhaftierten sich bereit erklären, diese zu verwahren. Mit Deutschland wird da auch verhandelt. Nach Informationen des "Focus" will die USA vier Häftlinge nach Deutschland schicken. Welche Garantien erwarten sich denn die USA da?

    Berg: Das dürfte im Einzelnen zu verhandeln sein. Ich denke, dass die USA hier eher bilaterale Garantien anstreben. Ich kann mir kaum vorstellen, dass etwa in Fällen wie Jemen, der Kläger im Fall Hamdan versus Rumsfeld ist Jemenit, hier zufrieden stellende Garantien etwa im Hinblick auf ein Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11. Septembers zu erreichen sein werden.

    Kaess: Auf dem EU-Amerika-Gipfel in Wien hat sich Bush vage zu Guantanamo geäußert. Hierzulande wurde das vielfach so interpretiert, als habe er die Schließung des Lagers in Aussicht gestellt. Wenn dies der Kongress aber ablehnt, gibt es da eine Diskrepanz. Wäre Bush tatsächlich gewillt, das Lager zu schließen und die Abgeordneten nicht?

    Berg: Also Bush hat natürlich ganz deutlich gemerkt, dass Guantanamo dem amerikanischen Prestige international großen Schaden zufügt und der amerikanischen Außenpolitik, die ja wieder stärker multilaterale Züge angenommen hat, wie ein Mühlstein um den Hals hängt. Insofern glaube ich durchaus, dass er dieses Lager gerne schließen würde. Ich denke auch, dass im Kongress durchaus eine Mehrheit dafür zu erreichen wäre oder jedenfalls mehrheitliche Unterstützung für den Präsidenten zu erreichen wäre. In der Tat ist die Frage, was dann mit den Gefangenen geschieht. Was die amerikanische Regierung auf jeden Fall vermeiden will, sind Prozesse vor amerikanischen Gerichten nach den etablierten Maßstäben amerikanischer Gerichtsbarkeit, denn in diesen Fällen dürften Verurteilungen sehr, sehr schwierig werden wegen einer außerordentlich problematischen Beweislage im Einzelfall.

    Kaess: Vor ein paar Wochen haben sich drei Insassen in Guantanamo das Leben genommen. Die Männer hatten davor mit einem Hungerstreik gegen ihr unbegrenztes Festgehaltenwerden protestiert. Sie sollen zwangsernährt worden sein. Und die Militärbehörden haben das Bestehen von Guantanamo danach verteidigt und haben die Suizide als Fortsetzung des Fanatismus interpretiert. Wie beurteilen Sie denn diese Selbstmorde, Verzweiflungstat oder Fanatismus?

    Berg: Das kann ich insofern nicht beurteilen, als ich selbstverständlich keine Kenntnisse über die konkreten Motive der Menschen habe, die sich umgebracht haben. Auf der anderen Seite ist natürlich für jeden nachvollziehbar, in welch schwierige Situation es Menschen bringt, die über Jahre hinweg in Isolationshaft gehalten werden, ohne irgendeine Perspektive über ihr weiteres Schicksal zu haben. Ich denke - und ich habe das persönlich auch so empfunden -, dass die Äußerungen der amerikanischen Militärbehörden weithin als zynisch angesehen wurden und man sich damit sicher keinen guten Dienst geleistet hat.

    Kaess: Es dringen ja sehr wenig Informationen aus Guantanamo nach außen. Schätzen Sie, dass die Menschen, die dort einsitzen, tatsächlich gefährliche Terroristen sind?

    Berg: Das mag im Einzelfall durchaus so sein. Nur: Das müsste dann irgendwann einmal geprüft werden, und das ist der Tenor dieses Urteils auch, es gibt in einem Rechtsstaat keine Grundlage dafür, Menschen ohne jedwede Rechtsgrundlage dauerhaft zu inhaftieren. Irgendwann haben sie das Recht auf rechtliches Gehör, und das muss auch für Terroristen gelten.

    Kaess: Manche Kommentatoren meinen, die Tatsache, dass die US-Regierung solche Militärtribunale eingerichtet hat, würde auf Dauer das Rechtsgefüge einer demokratischen Nation unterminieren. Sehen Sie das auch so?

    Berg: Natürlich, das ist vollkommen klar! Wenn dies jedenfalls in bestimmten Rechtsbereichen zur Regel und nicht zur Ausnahme wird, dann unterminiert das die klassischen Freiheits- und Bürgerrechte. Aber auch hier sehe ich Anknüpfungspunkte in dem Urteil, das die Militärtribunale ja auch ganz deutlich abgegrenzt hat von der klassischen Militärgerichtsbarkeit. Insofern wird sich die Bush-Administration tatsächlich überlegen müssen, wenn sie eine Gesetzesvorlage in den Kongress einbringt, welche Rechte sie den Angeklagten zugesteht, denn wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass dieses Gesetz dann ebenfalls irgendwann beim obersten Gerichtshof landet.

    Kaess: Welche Rolle kommt denn Europa zu, das die USA in dieser Hinsicht zwar verurteilt, aber auf der anderen Seite verwenden europäische Geheimdienste auch Informationen, die aus Verhören aus Guantanamo stammen?

    Berg: Nun ja, das wird ja bei uns sehr, sehr kontrovers diskutiert und selbstverständlich auch von Repräsentanten der Bush-Administration entsprechend süffisant kommentiert. Aber ich denke schon, dass die Kritik in Europa wichtig ist, denn, wie ich eben bereits sagte, die amerikanische Regierung hat erkannt, dass die hochfahrende unilaterale Politik, die sie seit 2002, 2003 betrieben hat, dauerhaft nicht durchzuhalten ist, dass sie Bündnispartner und Kooperationspartner benötigt, nicht zuletzt in der Iran-Frage, und dass insofern die ganze Guantanamo-Frage und auch die Frage der Einhaltung der Menschenrechte für das Prestige der Vereinigten Staaten außerordentlich wichtig ist.

    Kaess: Vielen Dank für das Gespräch!