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USA
Immer mehr Flüchtlinge zieht es nach Kanada

Sie kommen zu Fuß, illegal über Felder, über Bahntrassen oder Landstraßen: Immer mehr Menschen flüchten aus den USA weiter über die grüne Grenze nach Kanada - dort schwindet nun allmählich die traditionell liberale Haltung gegenüber illegalen Migranten.

Von Georg Schwarte | 25.03.2017
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    Kanadas Einwanderungspolitik galt bislang als sehr liberal (Imago - Peter Carroll)
    Seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten im November ist die Zahl der Flüchtlinge, die von den USA nach Kanada gehen sprunghaft gestiegen. Sie gehen deshalb, weil sie nur so eine Chance auf ein Asylverfahren in Kanada haben. Wenn sie legal einreisen werden sie zurückgeschickt, weil sich die USA und Kanada seit 2004 gegenseitig als sichere Drittländer anerkennen. Wer aber illegal zu Fuß über die grüne oder im Moment eher weiße Grenze kommt hat auch eine Chance auf ein Leben in einem Land ohne Trump. In Kanada sieht man das inzwischen nicht mehr so gelassen.
    Sie kommen zu Fuß. Über Felder, entlang der Bahnlinien. Über kleine Landstraßen. Und es kommen immer mehr. Flüchtlinge flüchten aus den USA unter Präsident Trump hinüber nach Kanada: In Emerson Franklin, einem kleinen kanadischen Grenzdorf in Manitoba kamen allein am vergangenen Wochenende 29 Flüchtlinge illegal über die amerikanische Grenze: So viele wie noch nie:
    Dough Johnson von der Gemeindeverwaltung formuliert eher nüchtern, was manche Einwohner mittlerweile wütend macht. Warum kommen die nicht so wie andere auch, auf legale Art und Weise. Dann bekommen sie auch Hilfe.
    Erstmals Mehrheit für Abschiebungen
    Im liberalen Kanada, scheint die Stimmung zu kippen. Erstmals sprechen sich ähnlich wie im Nachbarland USA fast 50 Prozent der Kanadier dafür aus, illegale Einwanderer zu deportieren. 41 Prozent der Kanadier sagen, diese Flüchtlinge machten Kanada weniger sicher, 46 Prozent sind mit der liberalen Einwanderungs- und Asylpolitik ihres Premiers Trudeau unzufrieden. Jenes Premiers, der nach dem de-facto-Einreiseverbot für muslimische Flüchtlinge in den USA die Menschen eingeladen hatte, nach Kanada zu kommen:
    Damals applaudierten die Kanadier. Jetzt aber gibt es immer mehr Kritik. Im kleinen Grenzort Emmerson Franklin leben weniger als 700 Kanadier. Über 300 Flüchtlinge sind mittlerweile dort gestrandet.
    "Die Einwohner sind nicht mehr zufrieden. Das hört nur auf, wenn die Regierung die Politik ändert."
    Derzeit aber werden die illegal eingereisten Flüchtlinge noch willkommen geheißen. Das ist das alte Grenzhäuschen der Amerikaner sagt der Mann. Im Schutze der Dunkelheit kommen die Flüchtlinge. Menschen, die oft eine Weltreise hinter sich haben. Dachten, sie seien in den USA sicher. Dann kam Trump und dann kamen die Zweifel, so wie bei diesem Mann, der auf seiner langen Reise eigentlich immer von den USA träumte.
    Trumps Rhetorik, das jetzt – nach dem ersten gescheiterten Versuch zweite Einreiseverbot für Menschen aus überwiegend muslimischen Ländern. Offenbar Grund genug für manche, wieder die Habseligkeiten zusammenzuraffen und aus dem Fluchtziel USA nach Kanada zu fliehen, sagt Jean Nikolas Beuze, der für das UN-Flüchtlingshilfswerk in Kanada arbeitet.
    Und kanadische Grenz- und Bundespolizisten helfen, statt Flüchtlinge am Grenzübertritt zu hindern, auch wenn der zuständige Minister sagt, für niemanden gebe es einen Freifahrtschein nach Kanada. Offiziell können Asylbewerber nicht gleich an der kanadischen Grenze um Asyl bitten. Die Polizisten müssten sie zurückschicken. Überqueren sie aber die Grenzlinie illegal und befinden sich bereits auf kanadischen Boden, ist es anders. Dann haben sie ein Recht auf ein offizielles Asylverfahren. Noch werden die Asylbewerber zumeist mit offenen Armen empfangen – trotz der offenbar kippenden Stimmung im Land: Die Polizei hilft statt zu deportieren.
    Konservative Politiker aber wollen, dass sich all das jetzt auch in Kanada ändert. Michelle Rempel etwa fordert im kanadischen Parlament in Ottawa die liberale Regierung auf, das Problem endlich nicht mehr als Witz zu behandeln.
    Mit einsetzendem Tauwetter erwarten sie in Manitoba immer mehr Flüchtlinge, die aus den USA unter Präsident Trump flüchten. Hinüber ins liberale Kanada. Sollten die Zahlen der ersten Monate anhalten, würden 40 Prozent mehr Illegale über die amerikanisch-kanadische Grenze strömen als noch ein Jahr zuvor. Der Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerkes sagt, wir wissen nicht, wie das hier in Kanada weitergeht:
    Dass Flüchtlinge in Scharen aus dem einstigen Zufluchtsort USA fliehen würden, ist jedenfalls eine ganz neue Erfahrung für den großen Nachbarn Kanada, der sich mit den USA die längste Landgrenze der Welt teilt: 9000 Kilometer.