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USA müssen "nicht jede militärische Aktion mit den Europäern leiten"

In Zukunft könnten die Europäer bei Sicherheitsproblemen, die in der Nachbarschaft auftauchten, die Führungsrolle übernehmen, sagt Daniel Hamilton. Der Politikwissenschaftler äußert sich auch über die mögliche Politik von US-Außenminister John Kerry, der Hillary Clinton abgelöst hat.

Daniel Hamilton im Gespräch mit Bettina Klein | 15.03.2013
    Bettina Klein: Überraschend hat die Syrien-Frage nun doch den derzeitigen EU-Gipfel beschäftigt, wenn sie auch bisher nicht offiziell auf der Tagesordnung stand. Und die Hauptnachricht lautet dabei: nach Großbritannien drängt nun auch Frankreich darauf, die Rebellen in Syrien zu bewaffnen, und zwar - so hört sich das an heute Morgen - notfalls in einem Alleingang, wenn sich der Rest der Europäischen Union dazu nicht entschließen kann.
    Wie die EU oder wie Staaten der Europäischen Union sich entscheiden werden, das ist heute Morgen also noch offen. Und aus den USA hört man von Außenamtssprecherin Nuland, man unterstütze Versuche, die syrische Opposition zu stärken. Kein Wort aber zu einer Bewaffnung. Ich habe darüber vor der Sendung mit dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Daniel Hamilton gesprochen und gefragt, welche Position die USA in dieser Frage nun eigentlich einnehmen.

    Daniel Hamilton: Es gibt auch eine Debatte in den USA, gleichermaßen. Im Moment ist die Regierung nicht so weit, dass man das unterstützen würde, aber Secretary [Anm. der Redaktion: US-Außenminister] Kerry hat zuletzt auch plädiert, dass die USA doch Hilfe bereitstellen für die Rebellen, aber nicht Waffen. Man versucht doch, klare Linie zu zeigen, aber ohne dass man hineingerät in den Bürgerkrieg, weil man auch nicht weiß, wohin diese Waffen kommen. Und deswegen ist die Debatte auch lebendig. Das Problem ist, wie wir helfen können, wenn es so weitergeht. Das ist eine große menschliche Tragödie.

    Klein: Wer befürwortet im Augenblick die Bewaffnung der Rebellen in den USA?

    Hamilton: Das sind manchmal einfach verschiedene Think Tanks oder verschiedene Gruppen oder Leute, die Leitartikel schreiben und so. Aber keine politische Kraft hat sich so geäußert, keine Partei in dem Sinne, und wie gesagt: Innerhalb der Obama-Regierung gibt es bestimmt verschiedene Meinungen, aber das ist Interna und ich glaube, im Moment ist es einfach noch nicht so weit.

    Klein: Rechnen Sie damit, dass man irgendwann dahin kommen wird, zu diesem Standpunkt, und dann auch die Europäer möglicherweise in ihrer Gesamtheit dazu drängen wird, dann dort mitzumachen?

    Hamilton: Es sieht nicht so aus, dass die Amerikaner die Europäer drängen. Es sieht so aus, als ob eigentlich einige Europäer die Amerikaner drängen, und das ist einfach so. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner nach Krieg in Afghanistan und Irak und Libyen und, wie man sieht, jetzt auch in Mali, ich glaube, man ist nicht bereit, wenn man nicht sieht, wie man helfen kann, wie man weitergeht. Syrien ist nicht wie Libyen, es ist einfach eine ganz andere Größe und sehr kompliziert, und ich weiß nicht, wie man im Moment wirklich einsteigen könnte mit Waffen. Das ist schwierig.

    Klein: Sie haben das Stichwort Libyen genannt. Genau vor zwei Jahren, als der Arabische Frühling begonnen hatte, hat sich genau an Libyen ja die Debatte sehr stark entzündet in den USA: Eingreifen, sich zurückhalten, welche Rolle sollten die USA selbst spielen. Die Republikaner haben dem Präsidenten Obama damals vorgeworfen, er würde so etwas machen, was sie umschrieben hatten als Leading from behind. Das war das Stichwort damals. Ist es immer noch diese Art der Zurückhaltung auch der Obama-Regierung, von der wir auch mit Blick auf Syrien, auch auf andere Staaten des Arabischen Frühlings, auch in Zukunft werden ausgehen können?

    Hamilton: Ich glaube, die US-amerikanische Regierung hat eine ziemlich klare Botschaft für die Europäer. Das ist: innerhalb unserer Sicherheitspartnerschaft, unseres Bündnisses, wir haben nicht mehr den Kalten Krieg. Wir haben viele Probleme in der Welt, Sicherheitsprobleme, aber es sind nicht alle in Europa. Und die Amerikaner haben mit vielen Sicherheitsproblemen in der Welt zu tun. Europa ist ziemlich reich, ziemlich friedlich, ziemlich gemeinsam und könnte vielleicht doch dort führen, wo einige Sicherheitsprobleme auftauchen in der Nachbarschaft - sagen wir es so. Dass die Amerikaner dabei sein werden, sie werden dort das liefern, was nur die Amerikaner liefern können, zum Beispiel die Franzosen nach Mali fliegen, oder gewisse Logistik herbeiführen, oder andere Qualitäten, die die Europäer an sich nicht haben. Aber sie sind bequem mit dem Gedanken, dass die Europäer manchmal diese Sachen führen. Die Amerikaner müssen nicht jede militärische Aktion mit den Europäern leiten, das ist die Änderung.

    Klein: Also Sie können sich vorstellen, dass die US-Regierung das begrüßen würde, wenn die Europäische Union jetzt zum Beispiel, wie Frankreich das vorschlägt, auf einer Dringlichkeitssitzung das Waffenembargo gegen Syrien aufhebt und da vorangeht und die Rebellen tatsächlich anfängt zu bewaffnen - als ein Schritt, als eine Maßnahme? Wäre das etwas, wo man dann sagen würde, okay, die Europäer haben gelernt, jetzt alleine da vorzugehen?

    Hamilton: Das würden sie nie alleine machen. Das Ausmaß hier von Syrien ist so groß, auch die Europäer an sich können das nicht gut regeln. Ich glaube, man würde wissen wollen, was ist der Plan, wenn man vorprescht auf europäischer Seite. Die Fragen würden kommen: Habt ihr das wirklich durchgedacht, was sind die Auswirkungen hier, was bedeutet das für die Nachbarländer, was bedeutet das für Israel, die Türkei und so weiter. Und mit wem handeln sie eigentlich, wer in Syrien ist der Partner?

    Klein: Anfang der Woche wurde berichtet, dass die USA allerdings Rebellen an Waffen ausbilden, und zwar in Jordanien. Das ist bisher nicht offiziell bestätigt worden, die Außenamtssprecherin, Victoria Nuland, hat, glaube ich, auch gesagt, sie könne dazu nichts sagen. Gehen Sie davon aus, dass das zutrifft und dass sich damit, wie das ja hier interpretiert wurde, doch so eine Art Strategiewechsel andeutet?

    Hamilton: Ja wie ich sagte: Ich glaube, Secretary Kerry hat so was angesprochen. Das ist die Richtung, den Rebellen überhaupt zu helfen und dort zu helfen, wo man kann, aber nicht mit Waffen direkt. Ausbildung - das machen die amerikanischen Militärs oft in der Welt mit diesen Gruppen. Also ich finde schon, die werden so was machen, auch wenn sie es nicht zugeben, und die werden ähnliche Sachen machen, um die Rebellen zu unterstützen, aber ohne, dass sie direkt die Waffen liefern in diese Gruppen.

    Klein: Der israelische Präsident Schimon Peres hat dieser Tage ein Eingreifen der Arabischen Liga gefordert, er hat das vor dem Europaparlament gesagt. Damit sind wir bei einem Nachbarstaat aus der Region, bei Israel, der nächste Woche wieder eine große Rolle spielen wird, wenn Präsident Obama das Land besuchen wird - zum ersten Mal. Was erwarten Sie, welche Rolle wird er da spielen mit Blick auf den Nahost-Konflikt, aber auch zunächst mal mit Blick auf Syrien?

    Hamilton: Zu dem ersten Punkt. Ich glaube, was auch neu ist hier, zum Beispiel Libyen, dass die Arabische Liga mit der NATO gearbeitet hat. Das ist sehr neu. Und dass in Mali, dass die Afrikanische Union mit den Franzosen, mit den anderen arbeitet - wir haben neue Konstellationen hier, die vor einigen Jahren undenkbar waren, und das ist interessant. Es geht nicht nur um Amerikaner und Europäer, es ist, wie die Region an sich mit ihren Konflikten umgeht.
    Und das gilt auch zum Thema Israel und die Palästinenser und um die Nachbarschaft. Präsident Obama hat Israel nicht besucht in seiner ersten Amtszeit und ich glaube, er ist der Meinung und viele, er sollte das jetzt doch machen. Er versucht deswegen einen Neubeginn mit Netanjahu nach der Präsidentschaftswahl, wo Netanjahu ziemlich für Romney war. Das war ziemlich klar. Und die müssen wieder ein Verhältnis miteinander haben und dann müssen sie die Probleme wieder mit dem Iran und Syrien nehmen, wie wollen wir damit umgehen. Ein neuer Aspekt ist doch diese Arabische Liga und dass die Araber an sich sich beteiligen wollen und irgendwie sich engagieren wollen. Wie können wir das zusammen machen, auch mit den Israelis zusammen, das ist ziemlich neu, das sind neue Aspekte hier.

    Klein: Aber es wird bei dem Besuch, verstehe ich Sie richtig, vor allen Dingen erst mal darauf ankommen, das Verhältnis zu verbessern, wieder aufzubauen, und weniger darum, jetzt konkrete Schritte einzuleiten, auf die ja viele in der Welt, nicht nur in der Region warten?

    Hamilton: Ich glaube schon. Ich glaube, es ist eher ein politischer Besuch, den Neuanfang zu haben. Secretary Kerry, finde ich, wird dann eher der Mann sein, der versucht, ins Detail zu kommen und mit den Israelis und mit den anderen Nachbarn in der Region einiges wirklich zu tun. Das ist der Unterschied. Kerry wird der sein, der sich engagiert; Obama wird einfach schauen, dass im Rahmen sozusagen alles läuft, aber Kerry ist der Mann, der das unternehmen wird.

    Klein: John Kerry, der neue US-Außenminister, hat Hillary Clinton abgelöst vor einigen Wochen. Werden wir deutlich andere Akzente sehen, eine andere Art des Amtsverständnisses, das er zum Beispiel in der Region dann einbringen wird?

    Hamilton: Ich glaube schon. Ich glaube, Hillary Clinton hat versucht, mit Präsident Obama das Image von Amerika in der Welt nach der Bush-Zeit zu verbessern. Natürlich Präsident Obama an sich hat das Image verbessert in manchen Augen der Welt, aber sie hatte auch eine gewisse Ausstrahlung. Sie konnte sehr gut mit der Zivilgesellschaft arbeiten, sie hat nicht nur diplomatische Arbeit mit Diplomaten geleistet. Sie hat sehr viel weit darüber hinaus neue Partnerschaften, neue Länder aufgesucht, mit denen die USA nicht so große Beziehungen hatten. Das hat sie sehr gut gemacht. Sie hat aber nicht Weltprobleme gelöst in dem Sinne. Ich glaube, John Kerry wird das anders machen. Er wird diese Themen wahrscheinlich persönlich anpacken. Mit dem Iran, da muss in diesem Jahr einiges geschehen, und das liegt bei ihm jetzt.

    Klein: Haben Sie eine Vorstellung, genau was er da jetzt in die Wege leiten wird, wenn es um den Iran geht?

    Hamilton: Das ist meine persönliche Meinung. Ich glaube, irgendwann müssen diese Gespräche zu einem bilateralen Gespräch führen. Man kann den Rahmen haben mit den anderen Mächten, auch mit der EU und so weiter, aber letztendlich die Iraner und die Amerikaner müssen miteinander sprechen und irgendwann muss das kommen. Die Iraner haben auch ihre Wahl und deswegen ist alles ein bisschen im Fluss, aber irgendwann muss das kommen. Die Iraner brauchen einiges von den Amerikanern und die Amerikaner müssen mit den Iranern sprechen. Ob Kerry das einleitet oder ob das eingeleitet wird irgendwie, weiß ich nicht. Es ist schwierig. Die Iraner haben bis jetzt Nein gesagt, aber schauen wir mal.

    Klein: Daniel Hamilton vom Center for Transatlantic Relations der Johns Hopkins University in Washington.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.